Frucht der Pionierarbeit

Darauf, was derzeit die allgemeine Stossrichtung des ­Autobaus zu sein scheint, ist man bei Nissan so richtig stolz. Mit gutem Grund: Der Ariya hebt sich von der Masse ab.

Achtung. Folgender Abschnitt könnte aus einem Lehrmittel für überambitionierte Marketingleute stammen: Mit dem ­Leaf war Nissan Elektropionier, das Crossover-Segment wurde mit dem Qashqai und Juke entscheidend mitgeprägt. Als logische Folge resultiert daraus der Ariya, der «ultimative Crossover». Entwickelt für die anspruchsvolle Kundschaft in Europa entsteht so in Verbindung mit der langjährigen Rennsporterfahrung ein Fahrerlebnis, das allen Anforderungen gewachsen ist – und mehr.

Der erste Eindruck zählt

Na, interessiert? Sollten Sie auch sein. Umso mehr, als diese lobenden Worte nur zu Teilen von Nissan, sondern von uns stammten. Und weil der Ariya auf dem Papier zwar wie viele andere klingt, aber einige spannende Eigenheiten aufweist.

Beginnen wir mit dem hübschen Äusseren, was in Anbetracht des Gesamtpakets noch am wenigsten interessant erscheint. Elektrische SUV-Coupés sind stark im Kommen, derzeit plant fast jeder Hersteller mit dieser Karosserieform. Der Ariya transportiert das Markengesicht in die Moderne und präsentiert sich mit schmalen Leuchten und klaren Konturen selbstbewusst. Ein auslaufender Chrombogen verleiht Eleganz. Hinten sorgen die abfallende Dachlinie und der mit zwei Aussparungen versehene, an den Toyota BZX4 erinnernde Dachspoiler für ein modernes Erscheinungsbild, das Leuchtband macht den Ariya optisch breiter.

Denn: So gross er auf Bildern auch wirkt, mit einer Länge von 4.6 Metern ist er kürzer als ein Golf Variant und reiht sich damit am oberen Ende der Kompaktklasse ein. Der Radstand beträgt ganze 2775 Millimeter, diese Kombination wird durch das schlaue Packaging und die damit möglichen kurzen Überhänge erreicht. Während in anderen Autos, also in Verbrennern oder in ursprünglich nicht auf für EV vorgesehenen Plattformen stehenden E-Autos, innen dann noch Dinge wie die Klimaanlage, die Mittelkonsole oder der Kardantunnel viel Raum einnehmen, erscheint das Platzangebot im Ariya noch üppiger. Die Mittelkonsole kann per Knopfdruck verschoben werden, der Fussraum zwischen den Passagieren ist offen, Stauraum gibt es mehr als genügend. Das Kofferraumvolumen ist je nach Batteriegrösse mit 415 bis 468 Litern angegeben, (obere) Kompaktklasse eben. Dafür steht den Passagieren auf der Rückbank, ausser für den Kopf, sehr viel Platz zur Verfügung.

Schön und gut, doch das kann die Konkurrenz auch. Stimmt. Zumeist vermag sie es aber nicht derart hübsch zu verpacken. Überrascht hat, wie gut sich der Ariya anfasst. Edle Materialien und Oberflächen sorgen für einen futuristischen Lounge-Charakter. Da der Ariya auf einer komplett neuen Plattform basiert, ist jede Menge Hightech mit an Bord. Das beginnt beim breit gefächerten Bildschirmangebot und endet noch lange nicht mit den vielen Touchflächen. Da dies unweigerlich die Zukunft ist, ist es durchaus einige Zeilen wert, wenn das alles nicht nur lieblos hingeklatscht, sondern derart spektakulär anzuschauen ist. Wenn dann noch ein verständliches haptisches Feedback beim Betätigen der beleuchteten Symbole erfolgt, dann hat das schon etwas. Diese kommen für die Steuerung der Klimaanlage zum Einsatz und unter anderem für das Verstellen der Fahrmodi. Dort wiederum hätten wir uns etwas haptisch Ertastbares gewünscht, weil man allein mit blinder Betätigung keine Chance hat. Als wie zuverlässig sich die in das Holzfurnier integrierten Touchflächen tatsächlich im Alltag erweisen, können wir nach der ersten kurzen Testfahrt nicht beurteilen.

Grosse Pläne

Ebenfalls nichts sagen können wir über die Effizienz, da die WLTP-Werte ausstehen. Geladen wird mit maximal 130 kW vergleichsweise langsam. «Uns war eine stabile Ladeleistung wichtiger», sagt Alexander Pasternak, Produkt Manager EV bei Nissan. 360 Kilometer sollen nach 30 Minuten drin sein, standardmässig via CCS. Für mehr Ladetempo muss man sich wohl noch etwas gedulden. Zunächst plant Nissan mit kobaltfreien Lithium-Ionen-Akkus, die Festkörperbatterie soll 2028 folgen.

«Wir wagen, das zu tun, was andere nicht tun», sagt François Bailly, Leiter der Region Afrika, Naher Osten, Indien, Europa und Ozeanien bei Nissan. Deshalb ist man besonders stolz, dass die CMF-EV-Plattform, auf der bislang der kleinere Renault Megane E-Tech steht, von Nissan entwickelt wurde – bis 2030 werden 23 EV folgen. Und dass man in der Allianz auf das Wissen, das sich Nissan in der Formel E angeeignet hat, grossen Wert legt. «Die Erfahrungen hinsichtlich der Hardware, der Fahrwerksregelung und des Energiemanagement wurden direkt für den Ariya adaptiert», so Tommaso Volpe, Nissan-Motorsportdirektor.

Was nicht heissen soll, dass der Ariya ausgesprochen dynamisch unterwegs wäre. Beschleunigung und Durchzugsvermögen sind zwar elektrotypisch ausgeprägt. In Kurven aber stellt sich ein eigentümliches Verhalten ein, nicht störend, aber trotzdem markant: Durch die im Unterboden sitzende Batterie mit einer Grösse von je nach Ver­sion 63 oder 87 kWh und den daraus resultierenden niedrigen Schwerpunkt sitzt der Ariya satt auf der Strasse. Die unabhängig geführte Federung wiederum lässt die Fahrgastzelle aufschaukeln, sodass Kurven zwar schnell und dank der stimmigen Lenkung präzise durchfahren werden können, sich das aber wie nach ein, zwei Sake zu viel anfühlt.

Beim ersten Kennenlernen waren wir mit der schwächsten Version mit Frontantrieb unterwegs, weshalb offen bleibt, ob das Chassis der stärkeren Allradversion ebenso stark auf Komfort abgestimmt ist. Sie soll mit einer elektronisch gesteuerten Drehmomentverteilung an beiden Achsen kommen, die das kurvenäussere Rad leicht beschleunigt und damit die Kurvenstabilität erhöht. Fest steht, dass im kommenden Jahr eine Performancevariante mit 290 kW (394 PS) mit einer speziellen Abstimmung der Federn gegen zu hohe Chassisbewegungen folgen wird. Womit das eingangs gedachte Marketing-Lehrmittel um einen Satz erweitert werden dürfte: Der Ariya bietet alles, was das Herz begehrt. Doch das wird erst die Zukunft zeigen. 

Ein anderer Ansatz auf dem Weg in die Elektrozukunft

Wir bekommen vom Markt die Rückmeldung, dass Plug-in-Hybrid-Kunden nicht regelmässig genug laden», sagt Matthew Wright, Direktor Antriebsstrang im Nissan Technical Centre Europe. Steckerhybride wird es bei Nissan unter anderem deshalb keine geben. Die Japaner setzten zur Überbrückung bis ins reine Elektrozeitalter – 2023 soll die gesamte Modellpalette elektrifiziert sein, 2026 sollen 75 Prozent der Verkäufe rein elektrisch sein, 2030 dann 100 Prozent – auf einen Seriell-Hybrid. «Wir wollen den Kunden auf diesem Weg begleiten. E-Power gibt das Fahrgefühl eines Elektroautos, ohne dass man es aber jemals laden muss», sagt Wright. Das von Nissan E-Power genannte und komplett selbst entwickelte System braucht den Verbrenner nur noch, um Strom zu erzeugen. Die mechanische Verbindung zu den Vorderrädern entfällt – später soll auch eine Allradvariante folgen –, ein Getriebe spart man sich, den Radantrieb übernimmt eine Elektromaschine (140 kW, 300 Nm).

Ein verbundenes Fahrgefühl soll trotzdem herrschen, sagt Wright. Na ja, sagen wir. Die Reaktion auf die Gaspedalbetätigung ist elektrotypisch unmittelbar, allerdings herrscht keine Harmonie von Verbrennerdrehzahl und Geschwindigkeit, die hohe Geräuschkulisse erinnert an ein CVT, wie die erste Fahrt im Qashqai zeigt. Später wird das System auch im neuen Siebensitzer-SUV X-Trail zum Einsatz kommen. Was stimmig ist, ist das Elektrogefühl. Bei kleiner Leistungsanforderung bis 60 km/h übernimmt der Elektromotor über eine Strecke von maximal drei Kilometer, die Rekuperation ist so stark, dass One-Pedal-­Driving möglich ist.

Der 1.5 Liter grosse Dreizylinder mit 115 kW (156 PS) treibt einen Generator zur Stromerzeugung an. Anders als bei einem Elektrofahrzeug mit Range-Extender unterstützt der Benziner dabei nicht nur, wenn die Ladung zur Neige geht. Das Verdichtungsverhältnis ist variabel. «14:1 für mehr Effizienz, 8:1 bei hoher Leistungsanforderung», sagt Wright, wobei ein Wirkungsgrad von knapp 40 Prozent erreicht werde. «Mit weiteren Entwicklungsschritten sind bis zu 50 Prozent möglich», ist Wright überzeugt. Der Generator schickt die Energie entweder direkt zum Elektromotor oder über einen Inverter zur rund 2 kWh grossen Pufferbatterie.

In Japan kommt die Technologie seit mehreren Jahren zum Einsatz. Dort allerdings lediglich mit einem kleinen 1.2-Liter-Dreizylinder-Sauger. «Das ist perfekt für Tokio, nicht aber für Europa. Hier braucht es mehr Leistung. Die DNA aber ist dieselbe», sagt Wright. Eben: EV-ähnliches Fahren ohne Ladezwang. 

Der Verbrenner (v. l.) speist über einen Inverter (M. l.) die Batterie (h.) mit hoher Leistung oder direkt die Elektromaschine (v. r.), die die Vorderräder antreibt. Künftig soll auch Allradantrieb verfügbar sein.

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