Es war einmal ein sehr kleines Land im Herzen Europas, in dem Rundstreckenrennen während vieler Jahrzehnte verboten waren. Trotzdem bäumte sich dieses kleine Land immer wieder auf. Jene, deren Leidenschaft das Rennfahren ist, brachen ins Ausland auf, wo sie Rennen fahren durften. Aber dieser Extraaufwand machte sie nur noch stärker.
Die Namen der erfolgreichen Schweizer Exponenten hier aufzuzählen, macht keinen Sinn. Die Liste ist mittlerweile zu lang. Und eigentlich genügt es auch, wenn wir uns den 4. November 2023 mit dem Finale der Langstreckenweltmeisterschaft in Bahrain vor Augen führen. In allen drei Kategorien – Hypercars, LMP2 und LMGTE – wurde für die Sieger auch die Schweizer Flagge gehisst.
Buemi, die Nummer eins
Ehre, wem Ehre gebührt. Denn immerhin gewann Sébastien Buemi mit dem neuseeländischen Teamkollegen Brendon Hartley seinen vierten WM-Titel, während der dritte Mann im Toyota GR010 Hybrid mit der Startnummer 8, der Japaner Ryo Hirakawa, den zweiten Titel holte. Die Ausgangslage vor dem Finale war klar: Toyota hatte den Herstellertitel in der Hypercarklasse bereits auf sicher und wusste, dass der Fahrertitel nur für die beiden eigenen Teams in Frage kam. Mit einem Vorteil für das Auto mit der Nummer 8, das dank des gewonnenen Punktes für die Poleposition mit 16 Zählern Vorsprung ins Rennen ging. Es war ein wichtiger Zusatzpunkt, da er es dem Toyota-Team um Buemi erlaubte, sich im Fall der Fälle mit dem dritten Platz im Rennen zu begnügen.
Der andere Toyota wurde bereits in der ersten Kurve abgedrängt. Buemi, der immer startet, bevor er das Lenkrad an einen Teamkollegen abgibt, kam heil durch und sorgte so für die Führung seines Toyota. Nach zwei von acht Stunden Rennzeit betrug der Vorsprung 34 Sekunden, zur Rennmitte deren 43 auf den zweiten Toyota, der nach dem missglückten Start wieder auf Kurs war. Es war ein perfektes Rennen für Buemi. Und die Saison, war es sie auch? «Natürlich haben wir in Le Mans nicht gewonnen, aber wir haben unsere Vorteile in einer immer stärker werdenden Meisterschaft gezeigt. Es ist immer etwas Besonderes, ein Rennen zu gewinnen, aber ein Titel hängt von der Konstanz ab. Auch wenn wir nicht immer das schnellste Auto hatten, haben wir dennoch in jedem Rennen gepunktet. Die Saison mit einem Sieg zu beenden, ist das Sahnehäubchen», sagt der Pilot aus Aigle VD.
Ruhiger Delétraz – eiserne Frey
In der LMP2-Klasse befand sich das Auto des Rennstalls WRT mit der Startnummer 41 von Louis Delétraz aus Genf, Robert Kubica aus Polen und Rui Andrade aus Angola vor dem Finale in einer idealen Position. Mit 33 Punkten Vorsprung auf das Europol-Team mit dem Obwaldner Fabio Scherer, das die 24 Stunden von Le Mans gewonnen hatte, konnte Delétraz’ Mannschaft das Rennen gelassener angehen. «Auf dem Papier war es also einfach, aber ich weiss, dass bei Langstreckenrennen auch in der letzten Runde noch etwas Entscheidendes passieren kann. Vor zwei Jahren habe ich in Le Mans durch einen Kurzschluss weniger als fünf Kilometer vor dem Ziel verloren.» In Bahrain führte der Genfer nach einem cleveren Rennen. «Wir mussten die Reifen schonen und sparten gleichzeitig Sprit, sodass wir im Vergleich zu unseren Gegnern fast eine komplette Tankfüllung einsparen konnten.» Clever!
Es bleibt noch die vielleicht ergreifendste Schweizer Geschichte dieses Finales der Langstrecken-WM. Es war ein historisches Rennen, auch weil es das letzte Rennen der LMGTE-Klasse in der WM war, die Tourenwagen werden ab 2024 durch GT3-Boliden ersetzt. Das letzte LMGTE-Rennen war zugleich das erste, bei dem ein Frauenteam siegte. Die Iron Dames im Porsche 911 RSR-19, angeführt von der Solothurnerin Rahel Frey mit der Belgierin Sarah Bovy und der Dänin Michelle Gatting, mussten für diesen Erfolg alle Register ziehen. Gatting war in ihrem letzten Stint besonders gefordert, als der Aston Martin von D’Station Racing bis auf weniger als zwei Sekunden an den Porsche der eisernen Frauen herankam.
Während die Dänin konzentriert am Steuer sass und Bovy nervös an ihren Fingernägeln kaute, schien Rahel Frey in der Box zu versinken. «Dieser Sieg nach einer fünfjährigen gemeinsamen Erfahrung ist etwas sehr Emotionales. Wir können stolz darauf sein. Wir haben gezeigt, dass die Iron Dames in der Lage sind, sich auf höchstem Niveau des GT-Rennsports zu behaupten. Ich hoffe auch, dass diese Erfahrung der jüngeren Generation dient. Es werden noch mehr Frauen in den Rennsport kommen. Das ist ein Projekt, in das ich sehr involviert bin», erklärte die 37-jährige Solothurnerin. Die Iron Dames beendeten die Meisterschaft auf dem zweiten WM-Platz. Den Titel sicherte sich Corvette bereits Mitte September in Fuji (Japan).
So erfolgreich, dass sogar ein Superstar nachfragt
Louis Delétraz gehörte in Bahrain auch zu den Siegern. In der Langstrecken-WM stand der Genfer dieses Jahr in der Kategorie LMP2 bei sechs von sieben Läufen auf dem Podium. Und er holte den letzten Titel einer Kategorie, die aus der WM verschwindet. Etwa 15 LMP2-Fahrzeuge werden jedoch bei den 24 Stunden von Le Mans (F) 2024 nochmals dabei sein. Und sie werden weiterhin in den European Le Mans Series (Elms) und den Asian Le Mans Series an den Start gehen.
In den Elms wurde Louis Delétraz dieses Jahr Dritter, und in der US-amerikanischen Sportwagenmeisterschaft Imsa bescherte der Genfer Wayne Taylor Racing fast den Titel. Doch obwohl er drei verschiedene Meisterschaften auf dem Podest abschloss, hat Delétraz noch immer nicht genug. «Im Dezember werde ich die Asian Le Mans Series kennenlernen», erklärt der 26-Jährige, der es nicht bereut, dass er vor drei Jahren dem Formelrennsport endgültig den Rücken gekehrt hat. Nach vier Saisons in der Formel 2 und einem kostspieligen Status als Testfahrer bei Haas in der Formel 1, wo einige Versprechen nicht eingehalten wurden, hat er sich für den Langstreckensport entschieden: «Jetzt kämpfe ich jedes Wochenende um den Sieg. Seit zwei Jahren bin ich zu 100 Prozent Profi, ich verdiene mein Geld mit dem Rennfahren.»
Am Wochenende in Bahrain traf er in seiner Box einen gewissen Valentino Rossi. «Ein ganz Grosser! Wir hatten uns bereits im Rahmen des 24-Stunden-Rennens von Le Mans getroffen, und am Vorabend des Finales in Bahrain haben wir unser Gespräch fortgesetzt. Er hörte nicht auf, Fragen zu stellen, er wollte alles wissen. Einem solchen Star Ratschläge geben zu dürfen – ich habe wirklich nicht gedacht, dass mir das einmal passieren würde», lacht der Genfer über die Begegnung mit dem ehemaligen Motorrad-Superstar.
Fokus Amerika
Nächstes Jahr wird sich Delétraz vermehrt Richtung Amerika orientieren. Dort wird er die gesamte Imsa-Meisterschaft fahren, wie gehabt in einem Acura-Hypercar von Wayne Taylor Racing by Andretti. Aber das Team wird dieses Mal zwei Acura einsetzen, die Ambitionen steigen. «Weil die Marke der Honda-Gruppe gehört, werden wir nicht in der Langstrecken-WM starten. Ich kenne also mein Programm ausserhalb der Imsa noch nicht. In Le Mans würde ich aber auch in einem LMP2 starten», sagt Delétraz.
Der Langstreckensport ist bei jungen Piloten auch nicht mehr so verpönt wie in der Vergangenheit. Sie haben begriffen, dass eine Karriere in einem Formelauto unbezahlbar geworden ist. «An der Langstrecken-WM und der Imsa werden nächstes Jahr zehn Hersteller teilnehmen. Die Technologien, die dort entwickelt werden, sind interessant», fügt Delétraz an. Und die Disziplin könnte schon bald einen Weltstar in ihren Reihen begrüssen: Valentino Rossi. Das sagt nicht Delétraz, sondern der Veranstalter selbst.