Bergrennen Gurnigel BE, 10. September, am Sonntagnachmittag. Der dritte und letzte Rennlauf steht noch aus, aber beim Motorhome von Marcel Steiner kommen die ersten Gratulanten vorbei. Der 48-jährige Berner ist vor dem Finale eine Woche später in Les Paccots FR Schweizer Bergmeister der Rennsportwagen, schon weil der Titelverteidiger Eric Berguerand seinen Lola FA99 wegen eines Motorproblems für die Heimreise parat macht. «Jemand muss ihm sagen, dass er das Auto stehen lassen soll, andernfalls bekommt er keine Punkte gutgeschrieben», weist Marcel Steiner seine Teammitglieder an. Es passt zu Steiner: Mit Berguerand hat er sich zwar seit 2010 in der Schweizer Bergmeisterschaft als Titelgewinner stets abgewechselt, der Respekt vor dem grossen Konkurrenten aus dem Wallis ist mit der Zeit aber umso grösser geworden.
Der sechste Titel von Steiner ist der erste nach langen und harten Jahren, nicht nur wegen der Pandemie. 2008 gewann er mit dem Martini-BMW MK77 die Deutsche Bergmeisterschaft, 2010 doppelte er in der Schweiz nach. Als er 2012 mit dem Osella FA30-Zytek zwei weitere Titel in der Berg-SM gewonnen hatte, machte er sich seinen eigenen Fahrplan bis zur Saison 2015 und fuhr auch im Ausland Rennen. 2016 meldete er sich mit neuem Fahrzeug, dem Lobart LA01-Mugen, in der Berg-SM zurück, aber funktioniert habe das Auto erst ab 2017. Steiner holte sich Titel Nummer vier und 2018 Nummer fünf.
Das nervenaufreibende Projekt
Die Nerven wurden zunehmend strapaziert, als der Protoyp 2020 einen Honda-Turbomotor verpasst bekam. Dass das Projekt in Zusammenarbeit mit der Motorenschmiede Helftec Engineering in Hildisrieden LU ambitioniert war, wies Steiner nie von der Hand – nicht zuletzt deshalb rechnete er auch mit Rückschlägen. Aber beim einen oder anderen Bergrennen traf man Steiner deswegen zunehmend angesäuert an. Rückblickend erklärt er aber: «Die technische Herausforderung reizte mich eben schon sehr!»
Aber dieses Jahr durfte sich Steiner schon beim Auftakt zur Berg-SM in Hemberg SG freuen – obwohl es ganz anders hätte laufen können. Sein Sieg in Rekordzeit war der erste bei einem Schweizer Bergrennen, bei welchem das Auto mit synthetischem Treibstoff betankt war. Monate später gesteht Steiner: «Ich wusste nicht, was mich erwartete. Ich hatte deshalb schon Angst um den Motor.» Nach dem Überraschungserfolg zeigte eine Analyse mit dem Schmierstoffexperten Midland, «dass nur das Öl öfter gewechselt werden muss».
Nicht immer sei es nach dem traumhaften Auftakt gut gelaufen. Beim Bergrennen La Roche FR erhoffte sich Steiner mehr, «am Ende siegte Eric zu deutlich». In Massongex VS war der zweite Platz hinter Berguerand ein unerwarteter Erfolg, weil Steiner davon ausging, es würde sein Streichresultat werden. In Anzère VS wollte er siegen, «aber im ersten Lauf machte ich einen folgenschweren Fehler.» Bei den Bergrennen Les Rangiers JU, Oberhallau SH und am Gurnigel – mit Rekordzeit – schlug er zurück. Das Bergrennen in Osnabrück (D) vor der Siegesserie sei wegweisend gewesen: «Dort hat das Auto tadellos funktioniert, und die Fahrwerkabstimmung stimmte endlich.» Marcel Steiner ist nun auch der erste Titelgewinner, bei welchem das Auto eine Saison lang mit synthetischem Treibstoff betankt war. «Der Motor wird noch zerlegt und kontrolliert, dann sehen wir, ob wir so weitermachen.»
Rücktrittsgedanken
Bergrennen Gurnigel, 10. September, es ist spät geworden. Steiner wird gefragt, ob Berguerand den Helm an den Nagel hänge. «Ein Gerücht», winkt Steiner ab. Die Saison ist abgehakt, vom Rennsport und von der Reiserei hat man erstmal genug. Bis der Frühling kommt. «Vermutlich werden wir erst dann wissen, ob Eric noch fährt», sagt Steiner. Und wie geht es mit ihm weiter? «Na ja, man wird älter. In vergangenen, schwierigen Jahren habe ich sicher das eine oder andere Mal an den Rücktritt gedacht. Aber das ist Vergangenheit, der jüngste Titel macht Mut, ich will ihn verteidigen.»