Um die Bedeutung dieser Nachricht zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass Jenzer Motorsport der einzige Rennstall in der FIA Formel 3, also der Nachwuchsrennserie des Autoweltverbandes, ist, der unabhängig arbeitet. Die neun übrigen Teams haben im besten Fall sogar Formel-1-Werkteams wie Ferrari oder Alpine im Rücken. Und verfügen damit über Geldressourcen, von denen Teamchef Andreas Jenzer im Berner Seeland nur träumen kann. Mehr Geld heisst zum Beispiel: sehr viele Testkilometer für ein Team und seine Fahrer, mit einem immer ausreichenden Kontingent an neuen, schnellen Reifen.
Der Rennstall Art GP zum Beispiel, ein Team gegründet von Frédéric Vasseur, in der Formel 1 einst Teamchef von Alfa-Romeo-Sauber und aktuell von Ferrari, war in der FIA Formel 3 seit der Premierensaison 2019 immer dritte Kraft. «Es macht uns schon sehr stolz, dass wir diesen grossen Rennstall diese Saison hinter uns gelassen haben», sagt Jenzer. Rang sechs in der Teamwertung mit 108 Punkten. Dazu ein Sieg beim Lauf in Spa-Francorchamps (B) Ende Juli durch Taylor Barnard sowie vier weitere Podestplätze durch den Briten und den Italiener Nikita Bedrin. Erfolgreicher war Jenzer Motorsport in der FIA Formel 3 noch nie. Die bisher beste Saison war 2019, unter anderem mit dem heutigen Formel-1-Piloten Yuki Tsunoda (7. Teamrang, 67 Punkte).
Der Knoten löste sich spät
Schon Anfang März beim Saisonauftakt in Bahrain ahnte Andreas Jenzer, dass sein Team dieses Jahr auf Erfolgskurs fahren könnte. «Unsere Piloten Taylor Barnard, Nikita Bedrin und Alex Garcia waren zwar allesamt Formel-3-Neulinge. Aber schnell waren sie schon damals unbestritten. Mir war deshalb früh klar, dass wir regelmässig bei Rennen in die Top Ten fahren könnten», erinnert er sich. Die zählbaren Erfolge feierte das Team spät in der Saison, aber schon beim fünften Lauf in Barcelona (E) hatte es ein Auto auf Startposition zwei stehen. «Der Knoten löste sich Ende Juli beim Lauf in Budapest, als Bedrin im Sprintrennen Dritter wurde. Das hat vor allem Barnard gestört – und natürlich entsprechend angestachelt», erklärt Jenzer den späten Aufschwung.
Fahrer sind letztlich aber immer nur so gut wie das Team, das hinter ihnen steht. «Diesbezüglich bin ich wirklich zufrieden. Das Team rund um Chefingenieur Peter Flückiger ist super aufgestellt. Das ist nötig, denn diese Formel-3-Autos sind nicht einfach zu handhaben. Wir müssen sie so abstimmen, dass sie funktionieren und es einem Fahrer möglich ist, mit der Konkurrenz mitzuhalten. Dieses Zeitfenster ist enorm klein.» 4.744 Sekunden beträgt die Totaldifferenz bei neun der zehn Qualifyings zwischen der Poleposition und dem zehnten Startplatz! Durchschnittlich trennt also eine halbe Sekunden den Ersten vom Zehnten. Nur bei der Qualifikation zum Strassenroulette in Monaco waren es rund zwei Sekunden.
«Er hat Potenzial»
Viel enger ist es bei der Formel 4 Italien, der inoffiziellen Weltmeisterschaft. Auch dort ist die Konkurrenz hochkarätig. Prema und Van Amersfoort sind Jenzer aus der Formel 3 bestens bekannt, sie stellen fast das halbe Feld. Jenzer-Pilot Ethan Ischer bezahlt dort viel Lehrgeld. Vor dem letzten Lauf ist er noch punktelos. Aber in der tschechischen F4-Meisterschaft holte er am Wochenende den Titel. In Italien besteht ein Feld aus weit über 30 Piloten, in Tschechien sind es über zehn. «Aber dort kann Ethan testen. Es ist einfach, in der F4 Italien während einer Saison eine halbe Million Euro zu vernichten. In Tschechien kostet die Gebühr für ein Training hingegen keine 100 Euro», vergleicht Andreas Jenzer. Der 16-jährige Waadtländer Ischer verfügt über wenig Rennerfahrung. Nach zwei Jahren Kartplausch setzte er sich vergangenes Jahr bei Jenzer erstmals in einen Rennwagen. «Es hat Potenzial. Es wäre gut, wenn er uns noch ein Jahr erhalten bliebe», sagt Jenzer. Er weiss, dass Erfolg nicht allein vom Geld abhängt.