Am späten Sonntagnachmittag war es vorbei. Noch vor dem dritten und entscheidenden Lauf zum Bergrennen am Gurnigel BE packte Eric Berguerand seine Siebensachen. Der Motor seines Lola FA99 streikte, «er gab schon im Training komische Geräusche von sich, und er verliert Öl, deshalb verzichte ich auf den dritten Lauf». Dem Walliser ist es vor dem achten und abschliessenden Lauf zur Berg-SM dieses Wochenende in Les Paccots FR nicht mehr möglich, seinen siebten nationalen Titel zu holen (Berg-SM 2013–2016, 2019, 2022, Coupe der Schweizer Berge 2005). «Das ist nicht schlimm, es war eine amüsante Saison. So ist das Leben. Gratulation an Marcel!»
Marcel Steiner, der neue Schweizer Meister bei den Rennwagen, hatte sein Motorhome nur ein paar Meter weiter parkiert und nahm bereits erste Gratulationen für seinen sechsten Titelgewinn nach 2010, 2011, 2012, 2017 und 2018 entgegen. Als die AUTOMOBIL REVUE vorbeischaute, war Reto Meisel, Tourenwagenmeister 2022, vor Ort. «Eric war schon da», meinte Marcel Steiner. Die beiden sind seit Jahren Konkurrenten, seit 2010 haben sie sich als Meister abgewechselt, aber der gegenseitige Respekt war immer da. Die Erleichterung über den jüngsten Erfolg sah man Steiner am Sonntagabend noch nicht an. «Im Kopf bin ich leer. Genauso geht es Eric, wie er mir gesagt hat. Der Titelkampf war extrem herausfordernd, keiner hat dominiert, wir waren praktisch immer gleichauf», erinnert sich der Berner. Zum Saisonstart Mitte Juni in Hemberg SG war Steiner der erste Fahrer im Schweizer Bergrennsport, der mit synthetischem Treibstoff in Rekordzeit und damit Zusatzpunkten zum Sieg fuhr, in Les Rangiers JU, Oberhallau SH und eben nun am Gurnigel legte er nach. Dazwischen gewann Berguerand in La Roche FR, ebenfalls mit Rekordzeit, in Massongex VS und Anzère VS.
Auch die Tage am Gurnigel hätten Nerven gekostet, sagte Steiner. Die beiden ersten Trainings seien gut, aber nicht gut genug gewesen. Für das dritte Training habe er keine guten Pneus gehabt, trotzdem fuhr er mit 1:41.174 Minuten Bestzeit auf der 3.7 Kilometer langen Strecke. Diese unterbot er tags darauf gleich im ersten Rennlauf mit 1:39.420 Minuten und legte mit dem neuen Streckenrekord bei seinem Heimrennen den Grundstein zum Tagessieg und Titelgewinn.
Streckenrekord als Basis zum Titel
Wahrlich meisterlich durch die Saison ging Bruno Sawatzki. Mit seinem Porsche 991.1 Cup eilte er in seiner Klasse von Sieg zu Sieg – und damit Richtung Meistertitel bei den Tourenwagen als Nachfolger von Reto Meisel. Trotzdem kam der Rheintaler beim vorletzten Lauf zur Berg-SM nochmals ins Schlingern, genauer kurz vor dem Ziel des zweiten Rennlaufs. «Ich wollte die Entscheidung, geriet aber auf die Wiese – und war nur noch Passagier. Ob es ein Fahrfehler war, werden wir auf den Videos sehen.» Der Porsche schlug hinten rechts an, «zum Glück ging wenig kaputt, der Auspuff war verkrümmt, aber Ölleitung und Ähnliches blieben heil», meinte Sawatzki. Porsche-Konkurrent Christoph Zwahlen habe bei den Arbeiten vor dem entscheidenden Rennlauf mit angepackt und ihm so zum siebten Saisonsieg und zum vorzeitigen Titelgewinn verholfen. Den Titel kann Sawatzi auch Roger Schnellmann nicht mehr streitig machen. Der Mitsubishi-Pilot holte sich in der Tageswertung zwar einmal mehr den Sieg bei den geschlossen Autos, unter dem Strich fehlen ihm nun aber die Punkte vom ausgelassenen Bergrennen Massongex und Zusatzzähler für Rekordzeiten.
Sieben Siege, sechs Rekordzeiten
Sehr viel entspannter brachte Stephan Burri das Wochenende hinter sich. Schon vor dem dritten Rennlauf grinste der Berner. Die ersten beiden hatte er erfolgreich und im Total weit vor der Konkurerenz hinter sich gebracht. «Damit hatte ich den einen nötigen Punkt auf sicher, dieser war für das Gurnigel-Bergrennen mein Ziel», rechnete Burri vor. Der Scirocco-Pilot raste diese Saison mit bisher sieben Siegen und sechs Rekordfahrten in der Klasse Interswiss bis 2000 Kubikzentimeter als Nachfolger von Martin Bürki regelrecht zum Gewinn des Bergpokals, der Meisterschaft für Tourenwagen bis zwei Liter Hubraum. Burri erfüllte sich damit einen Traum: Den ersten grossen Titel seiner Karriere hatte er aber zu Saisonbeginn nicht zum Ziel, der Umstieg von einem 1.6-Liter-Polo auf den Zweiliter-Scirocco brachte zu viele Unklarheiten mit sich, Burri sprach immer wieder von «der nervösen Hinterachse».
Steiner, Sawatzki, Burri – so heissen die drei Titelgewinner dieser Berg-SM. Andere wie Robin Faustini kämpfen um den Anschluss. Der Aargauer mit dem auf diese Saison stärker motorisierten Osella FA30 hatte in den Tageswertungen und im Kampf gegen Steiner und Berguerand mitreden wollen. Am Gurnigel wurde er zum vierten Mal Dritter in dieser Saison, einmal, in Les Rangiers, wo Berguerand nicht fuhr, schaute Platz zwei heraus. Beim vorletzten Lauf in Oberhallau erlebte er sein schwärzestes Wochenende mit Rang 13. «Motiviert und bissig bin ich, aber ich erreiche noch nicht das Level, das ich mir mit diesem Auto wünsche», erklärte Faustini. In Les Paccots bekommt Faustini zwar noch eine Gelegenheit, zuzuschlagen. Trotzdem gibt er zu, dass er schon ans nächste Jahr denkt: «Das Auto lässt sich sehr gut lenken. Es zeigt sich aber, dass wir an der Balance, wenn die Bremse gelöst wird und ich Gas gebe, arbeiten müssen.»
Alles bleibt beim Alten
Vater Martin Bürki und Sohn Mike Bürki starten öfter gemeinsam bei Slaloms und Bergrennen zur Schweizer Meisterschaft. Besonders am Gurnigel war, dass Martin Bürki nicht in seinem legendären VW MB Polo sass, sondern Mike Bürki (Bild r.). Der Junior trat in die Fussstapfen des Seniors, des neunmaligen Slalommeisters, den er in der Klasse E1 bis 1600 Kubikzentimeter ebenbürtig vertrat. Mike Bürki siegte mit über fünf Sekunden Vorsprung vor dem zweitplatzierten Joel Werthmüller. Man kann also sagen: Trotz Rollentausch blieb alles beim Alten, entsprechend stolz war der Vater. Gelächelt hat Martin Bürki am Sonntagabend aber nicht nur deswegen. Nach einem Rechtsstreit gegen Konkurrent Yann Pillonel behält er seine Fahrerlizenz – und damit primär die Freude am Fahren. Denn am Gurnigel pilotierte er den McLaren 765 von Franz Salzmann (l.) und fuhr mit einer Lauftzeit von 2:04.761 Minuten einen Rekord für Superserienwagen bis 3000 Kubikzentimeter. «Und nächstes Wochenende in Les Paccots nehme ich den BMW M3. Ich bin glücklich!», meinte Martin Bürki.