Die Eckdaten der neuen Formel E sind beeindruckend: Die dritte Generation der Elektroboliden, die Gen-3-Cars, haben rund 50 Kilogramm abgespeckt und wiegen noch 850 Kilogramm, sie verfügen über eine maximale Leistung von 350 gegenüber bisher 250 Kilowatt, und die maximale Rekuperation schnellte von 250 auf 600 Kilowatt hoch. Es ist nachvollziehbar, dass Edoardo Mortara, der beste Formel-E-Schweizer der beiden letzten Jahre, nach den ersten vier Testtagen auf dem Rundkurs von Valencia (E) beeindruckt ist. Aber der bald 36-jährige Genfer, der 2021 Gesamtzweiter der Formel E war und dieses Jahr hinter Stoffel Vandoorne (B, Mercedes) und Mitch Evans (Neuseeland, Jaguar) Gesamtdritter, weiss, dass die Saison 2023 für ihn und seine Rennfahrerkollegen noch einige Überraschungen parat hält.
AUTOMOBIL REVUE: Zuerst wollen wir natürlich wissen, wie sich die neue Generation der Formel-E-Autos mit einem riesigen Leistungszuwachs anfühlt?
Edoardo Mortara: Ich denke, wir hätten bei den Testfahrten in Valencia schneller sein können. Nach dem Wechsel des Reifenherstellers von Michelin zu Hankook erwarten wir auch Fortschritte bezüglich der Einheitsreifen. Noch bauen die neuen Reifen zu wenig Grip auf im Vergleich zu den Vorgängern. Die 350 Kilowatt Leistung werden uns nicht immer zur Verfügung stehen, wir werden aber in der Qualifikation und auf schnellen Runden darauf zurückgreifen können. Grundsätzlich ist die neue Technik der Gen-3-Cars aber effizienter als bisher – und das fühlt man definitiv!
Viel Energie für das Rennen wird aus der Rekuperation gewonnen. Muss man also zum Beispiel sehr viel anders bremsen als bisher in der Formel E?
Nein, für uns Piloten ändert sich nichts. Die Bremstechnik allerdings hat sich stark verändert. Bisher hatten wir vier Karbonbremsen, die wir oft nutzten. Nun sind es noch deren zwei an der Vorderachse, die wir aber wenig einsetzen, weil die Autos nun vorne und hinten (250 bzw. 350 kW – Red.) über elektrische Bremsleistung verfügen. Auf diese Weise werden die sehr effizienten Gen-3-Cars speziell während der Rennen zu 90 bis 95 Prozent abgebremst. Aber die Ingenieure investierten zuvor Stunden in die Entwicklung von Software, damit sich der Bremsvorgang für uns Piloten so normal wie möglich anfühlt.
Dieses Jahr soll es auch möglich sein, die Elektrorennwagen bei schnellen Boxenstopps aufzuladen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Das wird spannend, denn solche Stopps geben den Teams Möglichkeiten für unterschiedliche Strategien während der Rennen. Ob und wann diese Boxenstopps mit Schnellladung kommen, weiss ich aber derzeit auch nicht.
Aufgrund der rasanten Entwicklung der Formel E fragt man sich, ob Rennen auf engen Strecken in Metropolen wie bis anhin noch zeitgemäss sind. Wäre es nicht sinnvoller, wenn die Formel E wie bei den Tests auf Rennstrecken mit weiten Auslaufzonen wechselte?
Diese Frage müssen die Verantwortlichen des Autoweltverbandes FIA beantworten. Die Idee der Formel E mit ihren elektrischen Rennwagen ist es aber seit jeher, dass sie ihre E-Prix in Städten austrägt. Aber auch ich meine, dass das die Formel E ausmacht. Es entspräche nicht ihrer DNA, wenn sie die Rennen künftig auf Rundstrecken austragen würde, selbst wenn die Elektrorennwagen immer schneller werden.
Sie fahren neu für Maserati. Für Sie als halben Italiener dürfte dies emotional sein, oder nicht?
Natürlich ist es für mich etwas Besonderes. Aber letztlich ist es jenes Team, mit dem ich in den vergangenen Jahren Erfolge gefeiert habe.
Dass Sie das Team bereits kennen, ist sicher kein Nachteil für die kommende Saison.
Es hilft natürlich bei einer grossen Herausforderung, wie sie uns bevorsteht. Niemand in diesem Team muss sich beweisen. Ich weiss aus Erfahrung, dass dieses Team weiss, wie man gewinnt.
Sie und Ihr neuer Teamkollege Maximilian Günther waren bei den Testfahrten meist ganz vorne dabei. Macht das Sie beide und Maserati automatisch zu Titelanwärtern?
Bei den Testfahrten waren viele Dinge positiv, andere weniger. Bis zum Auftakt in Mexiko Mitte Januar gibt es noch viel zu tun. Und die Konkurrenz ist auf Augenhöhe. Wir werden sehen.
Günther ist der Schnellste, Buemi nach Unfall wohlauf
Vier Tage lang testete die Formel E auf dem Rundkurs von Valencia (E) die neue, dritte Generation der Autos für die Elektrorennserie. Schnellster Pilot war Edoardo Mortaras Maserati-Teamkollege Maximilian Günther. Der Deutsche holte sich drei Tagesbestzeiten und stellte mit einer Zeit von 1:25.127 Minuten am letzten Testtag auch eine Rekordzeit auf. Schnellster Schweizer war Edoardo Mortara. Der Genfer, 2021 Gesamtzweiter der Formel-E-WM und dieses Jahr Gesamtdritter, belegte an drei Testtagen einen Top-Five-Platz. Langstreckenweltmeister und Ex-Formel-E-Champion Sébastien Buemi holte sich am dritten Testtag die drittschnellste Rundenzeit. Der Waadtländer, der seit der Einführung der Formel E für das Team Dams gefahren war und auf die kommende Saison zu Envision-Jaguar wechselte, war nach einem Unfall, wohl durch Bremsversagen verursacht, am Schlusstag wohlauf. Der Berner Nico Müller (Bild), der mit Abt-Mahindra sein Formel-E-Comeback gibt, klassierte sich stets im hinter Bereich.