Plan B ist kein Thema

Für den Rennsport begibt sich die Liechten­steinerin aus der Komfortzone. Die Chance für eine Karriere ist besser denn je.

Einen prominenteren Gastgeber in der Welt des Motorsport gibt es nicht. «Dass die W-Serie neu Teil des Rahmenprogramms der Formel 1 ist, ist wie ein wahr gewordener Kindertraum», sagt Fabienne Wohlwend. Es geht dabei nicht nur um die Leistung bei den Rennen, es geht auch darum, im Fahrerlager Kontakte zu knüpfen. Sehen und gesehen werden. Wohlwend weiss, wovon sie spricht: 2019, als die W-Serie, die Formelklasse für Frauen mit einheitlichen Formel-3-Autos, ihre erste und wegen Corona bisher einzige Saison erlebte, wurde sie im Rahmen der deutschen Tourenwagenserie DTM gefahren: «Als einzige deutschsprachige Pilotin der Serie war ich gefragt bei den Interviews. Insofern hat das natürlich gepasst.» Die DTM habe den Rennfahrerinnen ein tolles Schaufenster geboten, «aber die Formel 1 geniesst doch bedeutend mehr Aufmerksamkeit. Die besten Sponsoren sind hier, und wir Rennfahrerinnen sind ganz nah dran!»

Als Gesamtsechste 2019 hat Wohlwend dieses Jahr den Titel im Sinn. Beim Auftakt der W-Series in Spielberg (A) war sie bereits in Champagnerlaune: Platz drei hinter den Britinnen Alice Powell und Sarah Moore. Dass sich die 23-jährige, nur 1.63 Meter grosse Liechtensteinerin erfolgreich durchsetzen kann, hat sie schon bewiesen. Via Kart (mit Titelgewinnen in ihrer Heimat und der Schweiz) und Formel 4 kam sie 2017 zu den Sportwagen, erst im Audi Sport TT Cup, dann in der Ferrari Challenge Europe. Dort wurde Wohlwend 2017 Gesamtdritte der Coppa Shell (für Amateure), im Jahr darauf holte sie bei den Halbprofis die Trofeo Pirelli, und diesen März beim verschobenen Ferrari-Weltfinale 2020 in Misano (I) auch einen Rennsieg sowie den Vizetitel bei den Profis – und das immer mit dem Zürcher Rennstall Octane 126. 

Mit dem Rennsport Geld verdienen

Die Formel 1 sei einmal ihr Ziel gewesen. «Während der Schulzeit habe ich in Freundschaftbücher unter Traumberuf immer Formel-1-Fahrerin geschrieben», sagt Wohlwend und lacht. Heute würde sie Profirennfahrerin reinkritzeln. «Mein Ziel ist es, mit dem Rennsport Geld zu verdienen.» Für die Karriere auf vier Rädern hat sie Ende 2019 auch den sicheren Job bei der VP Bank in Vaduz gekündigt. «Die Saison 2020 war mit 15 Rennwochenenden durchgeplant, alles war super – dann kam Corona.» Zu ihrem Glück hatte sie mit Octane 126 ­einen Mehrjahresvertrag: «Befürchtungen hatte ich keine.» Und gefragt ist sie auch darüber hinaus: Ab 2019 startete sie vereinzelt bei Rennen der Nürburgring-Langstreckenserie (NLS).

Natürlich sei es riskant gewesen, auf die Motorsportkarriere zu setzen. «Meine Familie bestand darauf, dass ich einen Plan B habe, sodass ich eine Perspektive habe, falls es mit dem Rennsport nicht klappen sollte.» Aber selbst ihr Papa habe beim ersten Besuch an einer Rennstrecke zugebeben müssen, dass die Tochter wirklich schnell Auto fahren könne, sagt Wohlwend und lacht. Momentan könne sie von Sponsoren leben, «und vom Preisgeld, aber dieses hängt von meiner Leistung auf der Rennstrecke ab». Dafür kniet sie sich rein: «Für den Erfolg muss man verzichten. Meine Agenda ist neben Rennen gefüllt mit Terminen für Fitness, für Meetings mit Sponsoren et cetera.»

Dass sie als Frau in der Männerwelt des Motorsports bisweilen noch mehr Engagement und Überzeugungsarbeit leisten müsse, daran habe sie sich gewöhnt. «Wenn ich, die kleine Blondine, früher auf dem Rennplatz erschienen bin, haben viele gedacht, ich sei die neue Marketingfrau.» Der Aargauer Fabio Leimer, nach seinem GP2-Titelgewinn 2013 mit einem Fuss in der Formel 1, hat Wohlwend einst bei Octane 126 empfohlen. «Als ich erstmals in der Box auftauchte, das Team begrüsste und anfügte, dass ich die Rennfahrerin sei, schauten mich alle zuerst schräg an.» Fabienne Wohlwend nimmt solche Begebenheiten längst mit Humor. «Die dummen Sprüche nehme ich niemandem krumm. Es freut mich umso mehr, wenn ich als Kleinste dann von zuoberst auf dem Podest herunterwinke.» Es nütze durchaus auch, eine Frau in der Motorsportwelt zu sein. «Marketingtechnisch geniesse ich Vorteile, denn eine Frau in dieser Männerdomäne ist erfrischend. Ja, sicher, es hilft – aber wenn du keine Resultate vorweist, dann kommst du nicht lange über die Runden.»

Resultate will sie in der zweiten W-Serie-Saison und im Schaufenster Formel 1 liefern. Noch sei der Plan B keine Option: «Ich bin gespannt, wie sich die neue DTM mit den GT3-Autos entwickelt. Für Amerika bin ich auch offen. Und dann gibt es noch Langstreckenklassiker wie jene von Le Mans oder auf dem Nürburgring, die auf jeder Bucketlist eines Rennfahrers stehen.» Premiere bei den 24 Stunden am Nürburgring hatte sie Anfang Juni. Fabienne Wohlwend nimmt gerade erst richtig Fahrt auf Richtung Profikarriere.

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