«No more boring cars», verordnete Toyota-Präsident Akio Toyoda 2016 seinen Entwicklern. Der Japaner mit Benzin im Blut war es satt, dass die Fachpresse seine Autos, geprägt von Prius und Konsorten, fortwährend als den Inbegriff von Langeweile charakterisierte.
Als diese Anweisung bekannt wurde, nahmen das die Fachmedien nicht besonders ernst. Schliesslich klang das in etwa so, wie wenn der Klassenstreber plötzlich einen bunt glitzernden Jumpsuit anzöge und sein Leben in eine Raveparty umzukrempeln drohte. Dabei sagt doch schon das Sprichwort, dass stille Wasser tief gründen. Und die Japaner waren schon seit langen Jahren so still wie kaum sonst jemand. Bereits seit dem MR2 vor rund zwanzig Jahren gab es keinen Sportler mehr, der bei Toyota entwickelt wurde – GT86 und GR Supra waren Kopfgeburten von Subaru und BMW.
Vom Rennsport abgeleitet – wirklich
Bei den Serienmodellen schlurfte Toyota also lustlos dahin, aber im Rennsport verhielt sich die Sache anders. Die Abteilung Toyota Motorsport war in Gazoo Racing (GR) umbenannt worden, ihre Anstrengungen schlugen sich in markanten Siegen in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (ab 2013) und im Rallyesport (WRC, ab 2017) nieder. Der GR Yaris WRC bildete die Grundlage und die Inspiration für den GR Yaris. «Wie immer, das übliche Marketing-Blabla», war die erste Reaktion – aber für einmal haben die Werber nicht alles aus der Luft gegriffen, die Rennsportverwandschaft scheint bei diesem Modell so imminent wie seit Langem nicht mehr. Das Reglement der FIA schreibt den Modellen, die in der WRC antreten, eine Serie von mindestens 25 000 zivilen Ausführungen vor. Toyota verzichtete auf Tricks und stellte in Zusammenarbeit mit Gazoo Racing einen kleinen Wilden auf die Räder, welcher der aggressiven WRC-Waffe viel näher ist als dem braven Yaris-Stadtflitzer.
Die schreierische Karosserie des GR Yaris ist bereits ein Indiz dafür, dass der tempoverrückte Japaner nicht mit dem Normalo-Yaris zu verwechseln ist. Unverändert bleiben lediglich Scheinwerfer, Rücklichter, Aussenspiegel und Antenne, mehr nicht. Im vergrösserten Stossfänger klafft ein riesiger Lufteinlass, welcher dem Ladeluftkühler Frischluft verschafft. Der obere Luftstrom bläst über ein kohlefaserverstärktes Kunststoffdach, das 45 Millimeter tiefer liegt. Die Aerodynamiker lassen das Dach hinten um weitere 91 Millimeter abfallen, womit sie dem Dachspoiler noch mehr Anpressdruck anerziehen.
Der Leichtbau betrifft natürlich nicht nur das Dach. Toyota spart auch Gewicht mit vorderen Kotflügeln, Motorhaube und Türen aus Aluminium. Während der Serien-Yaris auch als Fünftürer angeboten wird, bleibt der GR strikt ein Dreitürer. Dank sechs Zentimeter mehr Breite (1805 mm) scheint der GR bereits im Stand auf die Fahrbahn gedrückt zu werden.
Einmalig in seinem Segment
Schon mit den äusseren Modifikationen lässt der GR Yaris alle angeblich vom Rennsport abgeleiteten Rivalen weit hinter sich. Und dann kommt die Krönung unter dem Blech. Toyota und Gazoo Racing lassen sich bei den Spezialteilen nicht lumpen. Das fängt bereits bei der Plattform an. Die Baugruppen gehören zu den teuersten Komponenten im Fahrzeugbau, und die Hersteller verwenden sie in so vielen Modellen wie nur möglich, um den Skaleneffekt zu optimieren. Nicht so der GR Yaris. Dieser setzt sich aus Teilen der GA-B-Plattform (Yaris) an der Vorderachse und der GA-C-Plattform (Corolla) hinten zusammen. Der Kunstgriff beschert dem GR Yaris doppelte Querlenker an der Hinterachse, ein technisches Highlight, das es in der Kleinwagenkategorie noch nicht gab. Die Liste der technischen Schmuckstücke im GR Yaris ist aber noch viel länger. Die kombinierte Plattform macht auch die zweite Premiere in der Sportsparte dieser Klasse möglich: den Allradantrieb. Gut, der Suzuki Swift kann ebenfalls als 4×4 geordert werden, aber nicht der Swift Sport.
Das Vorzeigestück des Hot Hatch von Toyota ist allerdings der Motor. Auch dieser ist eine Exklusivität. Die Techniker entwickelten einen Turbo-Dreizylinder mit 1618 Kubikzentimetern Hubraum und einer Höchstleistung von 261 PS bei 6500 U/min. Ja, wirklich, zweihunderteinundsechzig galoppierende Rössli. Zum Vergleich: Der VW Polo GTI als nächster Gegner kann mit bloss 207 PS aufwarten. Auch das Drehmoment des GR Yaris schürt die Vorfreude: 360 Nm zwischen 3000 und 4600 U/min. Der antrittsstarke Polo muss mit 320 Nm auskommen.
Fehltritt im Interieur
Mit den vielversprechenden Werten des Datenblatts im Kopf nehmen wir hinter dem Lenkrad Platz. Der erste Eindruck ist etwas ernüchternd. Das Interieur ist in dunklen Tönen gehalten, die Hände erfühlen Hartplastik links und rechts, das Armaturenbrett wirkt altbacken. Und wie ist wohl der Bildschirm des Infotainments mit seinen veralteten Grafiken zu erklären? Verblüffend auch die Reaktion auf das Antippen der Navigationsfunktion: «Nicht verfügbar», meldet der Computer. Ob sich da ein Fehler in das System des Testwagens eingeschlichen hatte? Leider nein. Schlimmer noch: Das Navi ist nur im Premium-Pack (2900 Fr.) enthalten – und das gibt es nicht zusammen mit dem Circuit-Pack (4900 Fr.). Letzteres enthält die geschmiedeten 18-Zoll-Felgen, rot lackierte Bremszangen und vor allem das Sperrdifferenzial. Keiner dieser äusserst wünschenswerten Artikel scheint irgendeinen Einfluss auf das Premium-Pack mit GPS, Parksensoren, Stereoanlage mit acht Lautsprechern oder Totwinkelwarnung zu haben. Die PR-Abteilung des Importeurs meint dazu, es handle sich «wahrscheinlich» um eine Frage der «Philosophie». Kunden, die den renninspirierten Wagen für den harten Einsatz kauften, seien nicht an der Premiumausstattung interessiert. Man darf sich wundern.
Wenn wir schon bei der Kritik sind: Der Zugang auf die Rücksitzbank gestaltet sich sehr umständlich, und die hintere Kopffreiheit ist minimal. Die Sitzposition vorne ist nicht viel besser, die schönen Halbschalensitze sind zu hoch montiert. Gross gewachsene Fahrer beklagten sich zudem, dass die Sicht nach vorne durch den Innenspiegel markant beeinträchtigt werde. Tester grosser und kleiner Statur waren sich einig, dass die Sicht nach hinten ebenfalls ungenügend ausfällt.
Der Glücksbringer
Aber solche Kleinigkeiten haben keinen Einfluss auf den Spass, den man mit dem GR Yaris erleben kann. Die Gewitterwolken verfliegen beim ersten Druck auf den Startknopf. Der Wagen schüttelt sich wohlig von den Vibrationen des knurrenden Dreizylinders, die Mundwinkel des Fahrers wandern nach oben. Das Grinsen ist nach dem Einlegen des ersten Ganges nicht mehr zu unterdrücken. Und wir sind noch keinen Meter gefahren. Der Schalthebel fühlt sich an, als ob er in einem Uhrwerk münden würde. Präzise, mit perfekt definierten Schaltgassen, lässt er Mensch und Maschine verschmelzen. Die Kupplung hat einen kurzen, weit unten liegenden Schleifpunkt, wie man das von echten Sportwagen kennt. Der GR Yaris eilt spontan los, aber explosionsartig ist die Beschleunigung des Dreitürers im unteren Drehzahlbereich nicht, der Fiesta ST wirkt dank seines bereits ab 1500 U/min verfügbaren Maximaldrehmoments bulliger. Der Japaner scheint erst einmal durchzuatmen, bevor er den Wirbelsturm loslässt. Kommt der Turbo auf Druck, geht es mächtig und ungehalten vorwärts. Erst bei 7000 U/min ist am Drehzahlbegrenzer Schluss. Solch brutale Attacken sieht man bei einem für den öffentlichen Verkehr zugelassenen Kleinwagen äusserst selten. Der kleine Japaner legt sich ungeniert mit den Klassenbesten der nächsthöheren Klasse an: Der Honda Civic Type R (320 PS) beschleunigt in 5.8 Sekunden von 0 auf 100 km/h, Toyota gibt für den GR Yaris 5.5 Sekunden an, auch wenn wir bei unseren Messungen 6.1 Sekunden ermittelten – mit Winterreifen, wohlgemerkt. Einziger Wermutstropfen: Die Gänge könnten noch einen Zacken kürzer übersetzt sein. Etwas enttäuschend fanden wir den Sound. Der Motorklang wird elektronisch massiert und über die Lautsprercher ins Interieur gepumpt. Erst ab 3500 U/min trompetet dann der Turbolader über die Stereoklänge hinweg.
Wie auf Schienen
Mit so viel Vorwärtsdrang fliegen die Kurven nur so auf einen zu. Aber keine Sorge, die Bremsanlage des GR Yaris ist jeglichen Exzessen des Antriebsstrangs gewachsen. Das Bremspedal bietet dem rechten Fuss viel, aber nicht zu viel Gegendruck, die Anlage ist bestens dosierbar und standfest. Der Wagen folgt der direkten Lenkung mit guter Rückmeldung und lenkt flink, ja, sogar gierig ein. Auch die Fahrwerksabstimmung des Japaners, der immer noch einen annehmbaren Restkomfort bietet, scheint nicht ganz so scharf und Gokart-mässig zu sein, wie das möglich wäre.
Die Kurvengeschwindigkeiten sind einfach abgehoben. Handlichkeit und neutrales Kurvenverhalten genau mittig zwischen Über- und Untersteuern sind vom Besten, was derzeit auf dem Markt zu finden ist. Die Tiefflugeigenschaften sind nicht zuletzt dem ungemein effizienten Allradantrieb zu verdanken. Das System verteilt das Antriebsdrehmoment immer dorthin, wo es am nützlichsten ist. Der Fahrer kann sogar per Fahrmodus-Wahlschalter in die Kraftverteilung eingreifen und 60:40 im Normal-, 30:70 im Sport- und 50:50 im Track-Modus vorwählen.
Das aggressivste Profil hilft mit dazu bei, den Kurvenradius enger zu gestalten, während im Sport-Modus sogar ein leichtes Ausschwenken des Hecks möglich ist. Ganz pingelige Sportfahrer mögen es bedauern, dass das Sperrdifferenzial nicht so ganz rennsportmässig scharf arbeitet, und wir hätten gerne grössere Unterschiede zwischen den verschiedenen Fahrmodi erlebt.
Die Moralapostel ärgern
Aber all das sind Kleinigkeiten, die nicht von unserer Begeisterung ablenken können, dass Toyota den verrückten GR Yaris geschaffen hat. Der Hersteller hat sein Versprechen gehalten. Der Musterschüler tritt mit rasiertem Kopf, Piercings und zerrissenen Jeans an, um die Bünzli zu provozieren. Der GR Yaris ist das Anathema, das Gegenstück zur braven, grünen Mobilität und passt eigentlich nicht in eine Zeit, in der CO2-Reglemente jeden Spass abzuwürgen drohen. Nein, sein Verbrauch, den wir mit 7.3 l/100 km auf unserer AR-Normrunde ermittelt haben, ist nicht vorbildlich, angesichts der Fahrleistungen aber durchaus gerechtfertigt. Etwas Durst ist schliesslich ein geringer Preis, den man für den Tanz mit einem der spassigsten Toyota aller Zeiten zu zahlen hat.
Der Preis von 37 900 Franken mag nicht nach Sonderangebot aussehen, aber wir sehen dennoch eine Über-Nachfrage voraus. Der Hersteller will nur 25 000 Stück des künftigen Sammlerstücks bauen. Interessenten müssen sich also sputen.
Testergebnis
Gesamtnote 79.5/100
Antrieb
Die Reaktionszeit des 1.6-Liter-Turbo lässt etwas zu wünschen übrig, aber sobald er läuft – läuft er. Der Allradantrieb ist in diesem Segment einzigartig.
Fahrwerk
Seine Agilität ist die grosse Stärke des Toyota GR Yaris. Für einen kompromisslosen Sportler dürfte das Fahrwerk aber noch einen Zacken härter abgestimmt sein.
Innenraum
Die grosse Schwachstelle des GR Yaris. Das viele Hartplastik, die zu hohe Sitzposition und das nicht funktionierende Navi bieten noch Potenzial für Verbesserungen.
Sicherheit
Die Rundumsicht ist nicht ideal und die Assistenzsysteme auf ein Minimum beschränkt. Aber die Bremsen beissen mächtig fest zu!
Budget
Über 40 000 Franken für einen Kleinwagen ist viel Geld, und der hohe Verbrauch schlägt auch aufs Portemonnaie. Trotzdem sind wir der Meinung: Jeder Franken lohnt sich! Dass man sich entscheiden muss zwischen Navi oder Sperrdifferenzial, erscheint absurd.
Fazit
Fahrleistungen jenseits des üblichen Kleinwagenspektrums, Allradantrieb und eine improvisierte Plattform machen den Toyota GR Yaris zu einer Fahrspassmaschine sondergleichen. Mit seiner auf 25 000 Exemplare limitierten Stückzahl wird er ein zukünftiges Sammlerstück.
Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.
Wer braucht schon ein Navi in einem Spassfahrzeug? Ich bin sicher bei entsprechendem Können verbläst man mit diesem Auto auf einer Passstrasse die meisten anderen Fahrzeuge. Macht doch Spass die Poser mit ihren Lambos etc., die sie eh nicht im Griff haben, etwas zu ärgern. ????????