Autonamen sind nicht immer ganz unproblematisch. Manchmal erweisen sie sich auch erst Jahre später als Fehlgriff, was Toyota mit dem Corona kürzlich erfahren musste. Mit dem Namen Mirai hingegen lagen sie goldrichtig – wobei sich auch das in mehr oder weniger ferner Zukunft ändern könnte. Weshalb? Werfen wir einen genaueren Blick auf die Technik des wasserstoffgetriebenen Toyota Mirai.
Optisch ist die zweite Generation kaum mehr wiederzuerkennen, wirkt erfrischend und darf wie ein begehrenswertes Auto aussehen – die erste Generation trat noch etwas ulkig auf. Die Proportionen haben sich im Vergleich zum Vorgänger grundlegend verändert. Die Motorhaube streckt sich lange nach vorne, das Heck schliesst knackig ab. Die Höhe wurde um 65 Millimeter (1470 mm) reduziert, dafür hat der Mirai in der Breite (1885 mm) um 70 Millimeter zugelegt. Der Radstand (2920 mm) ist bei einer Gesamtlänge von 4975 Millimetern um 140 Millimeter gewachsen. Die Position beider Sitzreihen wurde neu arrangiert, hinten bleibt die Kopffreiheit durch die Coupéform beschränkt. Insgesamt hat Toyota bei der Proportionierung der zweiten Generation auf die Kunden gehört. «Wir haben sie gefragt, was sie wollen. Die Antworten waren: mehr Reichweite, mehr Beinfreiheit hinten und fünf vollwertige Sitze», sagt Yoshikazu Tanaka, Chefentwickler des neuen Mirai.
Neue Plattform von Lexus
Umgesetzt wurden die geforderten Punkte allesamt, wobei erwähnt werden muss, dass der Aufenthalt im Mirai hinten zwar komfortabel ist, auf dem Mittelsitz jedoch höchstens ein Kind Platz findet. Die Dachlinie ist abfallend, die Sitzbank hoch montiert und der Mitteltunnel stark ausgeprägt. Was wiederum mit der Reichweite zu tun hat. Hatte der alte Mirai noch zwei Tanks, sind neu drei in einer T-förmigen Anordnung untergebracht. Der grösste Tank sitzt längs unter dem Mitteltunnel. Einer befindet sich quer unter der Rückbank, ein weiterer quer hinter der Hinterachse. Das Tankvolumen wurde auf 5.6 Kilogramm Wasserstoff erhöht, gemäss WLTP sind damit bei einem Verbrauch von 0.79 bis 0.89 Kilogramm Wasserstoff 650 Kilometer Reichweite möglich. Gespeichert wird der Wasserstoff bei 700 bar Druck, weshalb die Wände der Glasfasergehäuse 4.5 Zentimeter stark sind. Hinzu kommen eine feuerfeste Ummantelung, Dichtheitssensoren und Notstoppventile.
Sämtliche Tanks sind tiefer in die Plattform integriert. Das senkt den Schwerpunkt und verbessert das Handling. Möglich war das, weil der Mirai neu auf der GA-L-Plattform steht. Sie war bisher den Lexus-Modellen LC und LS vorbehalten.
Leichtere und effizientere Bauteile
Basierend auf der TNGA-Architektur konnten damit sämtliche Antriebskomponenten neu angeordnet werden. Die Brennstoffzellen-Einheit wandert in die Front, auch weil beinahe sämtliche Bauteile kompakter und effizienter ausfallen. Die Polymerelektrolytbrennstoffzelle leistet maximal 128 kW (174 PS). Sie wird unterstützt von einer Hochvoltbatterie mit 84 Zellen, die neu auf die Lithium-Ionen-Technik setzt. Dadurch wird sie leichter (44.6 kg) und kann im Vergleich zum alten Mirai 43 Prozent mehr Leistung durch Rekuperation zurück ins System einspeisen. Die Spannung beträgt 310.8 Volt und die Kapazität vier Ampèrestunden, insgesamt also 1.24 Kilowattstunden. Die Pufferbatterie unterstützt die Brennstoffzelle beim Anfahren und Beschleunigen. Der Output beträgt während zehn Sekunden 31.5 Kilowatt, womit Lastspitzen abgefangen werden können.
Der Antrieb stammt aus dem Lexus LS500h. Der dort verbaute V6-Benziner wurde durch die Brennstoffzelle ersetzt, an der Hinterachse bleibt die Permanentmagnet-Synchronmaschine mit 134 kW (182 PS) bei 6940 U/min und 300 Nm Drehmoment bei null bis 3267 U/min. Übertragen wird die Kraft über ein stufenloses CVT ausschliesslich auf die Hinterachse. Von null auf Tempo 100 km/h sprintet der rund 1.9 Tonnen schwere Mirai in 9.2 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 175 km/h.
Spass am Fahren
Interessanter ist aber das, was sich hinter diesen Zahlen verbirgt. Der neue Brennstoffzellen-Stack aus 330 Zellen ist kompakter, die Dicke jeder Zelle wurde um 20 Prozent reduziert. Zwar hat die Brennstoffzelle nur noch ein Volumen von 28 Litern, sie leistet aber ein Mehr an 14 Kilowatt. Zudem ist die Anzahl Elektroden pro Oberfläche um 15 Prozent gewachsen. Weil der Stack nun in der Front und damit weiter weg von der Fahrerkabine sitzt, ist das Auto in Verbindung mit den überarbeiteten und verkleinerten Komponenten wie der Luft- oder Wasserstoffpumpe deutlich ruhiger.
«Der Rahmen des FC-Stack wurde neu entwickelt, und alle Systemkomponenten, der Stack selbst und der Brennstoffzellenwandler sind in einem kompakten Paket integriert», sagt Vincent Mattelaer von der Entwicklungsabteilung Powertrain bei Toyota. Das verkürzt die Kommunikationswege, verbessert die Funktionalität und reduziert die Anzahl der verwendeten Teile. Zu den neuen Massnahmen gehören eine veränderte Anordnung des Verteilers, kleinere und leichtere Zellen durch eine optimierte Form des Gaskanalabscheiders und die Verwendung innovativer Materialien in den Elektroden. Insgesamt werden bei 42 Prozent weniger Gewicht zwölf Prozent mehr Leistung erzielt.
In den intelligenten Power-Model-Transistoren wurde erstmalig ein Silikon-Karbid-Halbleitermaterial eingesetzt. Das ermöglicht mehr Leistung und weniger Verluste mit weniger Transistoren, was wiederum den Einsatz eines kleineren Gleichstromwandlers ermöglicht. Das Gewicht wurde hier um 2.9 auf 25.5 Kilogramm reduziert.
All das findet neu unter der Motorhaube Platz, was zur ausgeglichenen Gewichtsverteilung beiträgt. Dank der neuen Plattform kommen vorne und hinten Mehrlenkerachsen zum Einsatz, zudem wurde die Verwindungssteifigkeit der Karosserie erhöht, wodurch der Mirai auch dynamisch bewegt werden kann. «Fun to drive» war auch bei der Entwicklung des Mirai ein erklärtes Ziel, vielleicht mehr noch als bei anderen Hybridmodellen.
Kalte Verbrennung
«Mit dem neuen Mirai sind wir am Turning-Point des Wasserstoffantriebes angelangt», sagt Yoshikazu Tanaka, Chefentwickler des neuen Mirai. Toyota erwartet zehnfach höhere Verkäufe. Hauptverantwortlich dafür ist der Preis (ab 59 900 Franken), der trotz besserer Technik gegenüber dem Vorgänger um fast einen Drittel gesenkt werden konnte. Die Produktivität im Werk Motomachi (Japan) wurde erhöht, «früher dauerte es 15 Minuten, eine Brennstoffzelle zu produzieren. Heute sind es wenige Sekunden», sagt Tsuyoshi Takahashi, Projekt-General-Manager bei Toyota.
Besagte Brennstoffzelle erzeugt die elektrische Energie für den Fahrbetrieb. Sie ist kein Energiespeicher, sondern ein Energiewandler. Mit dem grossen Vorteil, dass Brennstoffzellen temperaturunempfindlich sind. Toyota spricht davon, dass Starts bei bis zu minus 30 Grad möglich seien, zudem sinke die Reichweite bei Kälte nicht. Die Abwärme kann zur Beheizung des Innenraums genutzt werden. Die galvanische Zelle wandelt die chemische Reaktionsenergie eines kontinuierlich zugeführten Brennstoffes (beim Mirai ist das Wasserstoff) und eines Oxidationsmittels (Sauerstoff) in elektrische Energie um. Der Wasserstoff gelangt zur negativen Elektrode, wo er auf einem Katalysator aktiviert wird. Elektronen setzten sich frei und wandern zur positiven Elektrode. Dabei entsteht elektrischer Strom, der an die Elektromaschine und die Batterie abgegeben werden kann. Die Wasserstoffatome werden durch die Abgabe der Elektronen zu Ionen. Diese fliessen durch die Polymer-Elektrolyt-Membran zur negativen Elektrode. Dort entsteht aus Sauerstoff, Wasserstoff-Ionen und -Elektronen Wasser.
Die Luft für die Brennstoffzelle geht zuvor durch einen hochwirksamen Filter. Damit säubert der Mirai die Umgebungsluft von Teilchen wie Schwefeloxid, Feinstaub oder Stickoxiden. Im Infotainmentsystem wird darauf hingewiesen, wie viel Atemluft durch den Mirai bereits gesäubert wurde. Damit produziert der Mirai lokal nicht nur kein CO2, sondern säubert die Atmosphäre. Toyota spricht dabei von einem «Minus Emission Vehicle». Wobei, um die Umweltdiskussion kurz anzureissen, reiner Wasserstoff kein natürlich vorkommendes Element ist. Die Erzeugung eines Kilogramms Wasserstoff benötigt rund 55 kWh Strom und neun Liter Wasser. Zumindest ein Teil des Wassers wird während der Fahrt wieder abgegeben, sodass der Mirai wie ein Verbrenner aus dem Auspuffendrohr aus Kunstharz qualmt.
Die Analogie geht weiter: In gewisser Hinsicht übernimmt der FC-Stack die Rolle des Verbrennungsmotors in einem Hybridfahrzeug – nur dass die Brennstoffzelle den Kraftstoff nicht verbrennt. Man spricht von kalter Verbrennung, weil die Protonen-Austausch-Membranen bei Arbeitstemperaturen von unter 100 Grad betrieben werden. Die Brennstoffzelle arbeitet mit einem doppelt so hohen Wirkungsgrad wie ein Benzinmotor, vollelektrische Autos kommen auf noch bessere Werte.
Überzeugend, mit einer Ausnahme
Vor 29 Jahren begann Toyota mit der Entwicklung von Brennstoffzellenfahrzeugen. 2015 wurde der Mirai als erstes FCV für den Markt präsentiert. In der zweiten Generation überzeugt er auf ganzer Linie und funktioniert – ungeachtet der Tankstellensituation – als hervorragende Antriebsergänzung mit dem Fokus auf die Langstrecke. Mirai heisst auf japanisch Zukunft. Allerdings schwingt im Wort etwas nicht Greifbares und Unbekanntes mit. Wollen sich Japaner hingegen in absehbarer Zeit ein neues Auto kaufen, verwenden sie den Ausdruck «shorai». Vielleicht wäre ein Namenswechsel der neuen Generation gut bekommen. Viel mehr gibts am Mirai auf den ersten Blick nicht zu beanstanden. Die Zukunft ist definitiv jetzt.