Aus der Ferne dringt das heisse Zwitschern eines Turbomotors durch den verschneiten Wald. Wenige Sekunden später zerreisst das wütende Fauchen des gestressten Aggregates die kalte Polarluft bei Rovaniemi, im Norden Finnlands. Schon stürmt Kalle Rovanperä im Toyota Yaris WRC in zügigem Autobahntempo auf eine Kehre zu. Brutal bremst der Finne seinen Dienstwagen zusammen, lässt mit einem Zug an der Handbremse das Fahrzeugheck zentimetergenau um die Ecke driften, streichelt die äussere Schneewehe und stürmt mit seinem knapp 400 PS starken Toyota davon. Für den 20-jährigen Werkspiloten das Normalste auf der Welt. Verständlich. Das Rallyefahren liegt in der Familie. Sein Vater Harri war jahrelang Profi, fuhr für verschiedene Werksteams und gewann im Jahr 2001 den Winterklassiker in Schweden.
«An seine Zeit als Rallyefahrer kann ich mich kaum erinnern. Von klein auf wollte ich fahren und sass mit sechs erstmals hinter dem Steuer. Als ich mit acht mit einem Toyota Starlet herumdriften durfte, war das genauso ein Heidenspass wie mein erster Rallyesprint als Zehnjähriger 2011», erinnert sich Kalle Rovanperä und ergänzt mit leuchtenden Augen: «Den Starlet habe ich noch. Nur die vielen Sitzkissen sind raus und die Pedale wieder am originalen Platz.» Zwei Jahre später startete Rovanperä erstmals mit einem Beifahrer. Sein Problem: In Finnland durfte man erst als 18-Jähriger an Rallyes teilnehmen. Ergo startete er in Lettland, erst bei Rallyesprints, dann bei grösseren Rallyes. Auf Verbindungsetappen, die über öffentliche Strassen führten, musste Beifahrer Risto Pietiläinen, der frühere Co-Pilot von Harri Rovanperä, das Steuer übernehmen. Trotzdem hinderte dieses kleine Handicap Rovanperä nicht daran, 2015 im Alter von 14 Jahren im Citroën C2 R2 die Juniorenwertung in Lettland zu gewinnen. Im Folgejahr feierte er den lettischen Meistertitel am Steuer eines Škoda Fabia R5 und wiederholte das Kunststück 2017.
Rasanter Aufstieg
Parallel schickte Manager-Legende Timo Jouhki Klein-Rovanperä in die italienische Meisterschaft, damit er Erfahrungen auf Asphalt sammeln konnte. Beim Memorial Bettega, einer als Duell ausgelegten Rallyeshow in Bologna, kam Rovanperä bei seiner ersten Ausfahrt in einem World Rally Car bis ins Finale und setzte sich dabei auch gegen WM-erfahrene Werkspiloten durch. 17-jährig erhielt Rovanperä dank einer Ausnahmegenehmigung der finnischen Regierung den Führerschein. Damit war der Weg frei zur Teilnahme an internationalen Meisterschaften. Gleichzeitig übernahm Jonne Halttunen als neuer Beifahrer den Platz des 50-jährigen Routiniers Pietiläinen. Am rasanten Aufstieg ändert dies wenig. Nur drei Wochen nach seinem 17. Geburtstag feierte Rovanperä bei der Rallye Grossbritannien 2017 seine WM-Premiere. Beim WM-Finale in Australien schrieb er erneut Geschichte, als jüngster Fahrer aller Zeiten gewann er einen WRC2-Lauf (Ford Fiesta R5) und unterschrieb einen Werksvertrag bei Škoda.
Der 1. Oktober 2018 wird nicht nur dem Finnen in Erinnerung bleiben. Ausgerechnet an seinem 18. Geburtstag stand der offizielle Test zur Rallye Grossbritannien an. Der Autor dieser Zeilen gab den Co-Piloten und konnte sich gut zwei Jahre nach einem Besuch bei Klein-Kalle zu Hause von dessen Lenkradkünsten überzeugen. Präzise tanzte das Geburtstagskind auf den Pedalen und zirkelte den Werkswagen unaufgeregt zwischen den Bäumen hindurch. «Fühlt sich langsam an, ist aber richtig schnell», schwor der Chauffeur – und sollte recht behalten. Beim folgenden WM-Lauf verprügelte Rovanperä die versammelte WRC2-Konkurrenz inklusive des amtierenden Weltmeisters. Geschichte. In Spanien legte er nach und beendete die Saison auf Rang drei im WRC2-Championat. Im Folgejahr wiederholte der Škoda-Werkspilot seinen Triumph in Grossbritannien und sicherte sich bereits zwei Läufe vor dem Saisonfinale den Fahrertitel in der WRC2-Pro-Kategorie. Einen Dreijahresvertrag mit Toyota hatte er da längst in der Tasche.
Der Rookie wusste in seiner WRC-Debütsaison neben den Toyota-Werkskollegen Sébastien Ogier und Elfyn Evans zu überzeugen. Schon beim zweiten Start im Yaris WRC gewann Rovanperä in Schweden die Powerstage und feierte Podiumpremiere. Und abgesehen von einem Unfall auf Sardinien fuhr er immer in die Top Fünf! Sein Resümee: «Ich denke, ich kann ziemlich gut einschätzen, warum es so oder so läuft, und was ich brauche, um erfolgreich zu sein. Hinterherfahren ist allerdings nicht so mein Ding. Mein Anspruch an mich selbst ist ziemlich hoch.» Wohl auch deswegen hadert er mit den jüngsten Resultaten. Beim WM-Auftakt in Monte Carlo musste er beim Kampf um die Podiumsplätze zurückstecken und sich mit Rang vier zufriedengeben. Ähnlich erging es ihm bei der Arctic Rallye in Finnland. «Natürlich ärgerte es mich, dass ich nicht in der Lage war, aus eigener Kraft um den Sieg zu kämpfen. Aber dazu hat unser Paket nicht gepasst», so Rovanperä über Platz zwei. «Um ehrlich zu sein, schätze ich meine Chancen auf den ersten Sieg bei den schnellen Schotterrallyes in Finnland oder Estland ohnehin höher ein. Doch so sehr ich den ersten WM-Erfolg herbeisehne – wichtiger ist es, konstant vorne mitzufahren. Nur so wird man Weltmeister», erklärt der jüngste WM-Leader aller Zeiten cool.