Die Rallye Monte Carlo am vorletzten Wochenende war ein besonderes Ereignis – nicht so sehr wegen ihres 110. Geburtstags, sondern weil Sébastien Ogier in seiner Heimat zum achten Mal triumphierte. Im Exklusivinterview mit der AUTOMOBIL REVUE zeigt sich der 37-jährige Wahlschweizer nicht nur aufgeräumt. Sondern auch nachdenklich.
Automobil Revue: Die Rallye Monte Carlo ist nicht nur der traditionelle Saisonauftakt, sondern gilt als der bedeutendste und schwierigste WM-Lauf. Wie gross ist da der Heimvorteil?
Sébastien Ogier: Ziemlich gering. Ich denke, bei der Rallye Finnland ist dieser für die Finnen grösser, weil die Streckencharakteristik – anders als bei der Monte – immer identisch ist. Bei der Monte wissen die anderen Teams schon auch, was sie tun, und sie haben ihre Experten für Wetter und Reifen. Im Grunde haben alle die gleichen Informationen. Um so schöner, wenn man gewinnt.
Nach den zwei Wertungsprüfungen am Donnertag hatten sie 17 Sekunden Rückstand und lagen nur auf Rang fünf. Wie wichtig waren die ersten Meter am Freitagvormittag?
Bei anderen Rallyes sind 17 Sekunden eine Welt, nicht aber bei der Monte. Nirgends sind die Streckenbedingungen und die Reifenwahl schwieriger. Auch wenn ich zu Beginn mit Bremsproblemen haderte, war das Wichtigste, cool zu bleiben und zurückzukommen. Mit drei Bestzeiten in Folge hat dies dann auch geklappt.
Wie wichtig ist es, ruhig zu bleiben?
Sagen wir so: Es ist immer mein Plan, cool und fokussiert zu bleiben. Aber die natürliche Reaktion ist auch bei mir eher eine andere. (lacht) Auch ich neige nach einem Fehler eher zu einer Überreaktion, um die verlorene Zeit gleich wieder gutzumachen. Zum Beispiel habe ich an der letzten Freitagsprüfung voll gepusht, mehr, als man vielleicht hätte tun sollen. Aber ich ärgerte mich immer noch über den Plattfuss zuvor. So hatten wir zwar den einen oder anderen Aha-Moment, aber der gehört beim Tempo bei diesen Bedingungen dazu. Die Kunst liegt darin, cool zu bleiben, nicht zu viel zu riskieren und das grosse Ganze im Hinterkopf zu behalten. Das klappt bei mir dann doch recht gut. Immerhin hatten wir beim Abschlusstest vor der Rallye noch einen heftigen Abflug.
Mit dem achten Sieg an der Rallye Monte Carlo haben Sie Geschichte geschrieben. Gleichzeitig ist es ihr 50. WM-Erfolg – und nicht zu vergessen, Sie haben mit Peugeot, Volkswagen, Ford, Citroën und nun Toyota in fünf verschiedenen Fahrzeugen gewonnen, ebenfalls ein Rekord. Wie wichtig sind Ihnen solche Statistiken?
Natürlich sind solche Erfolge toll, auch wenn andere mich erst darauf aufmerksam machen müssen. Vor drei Jahren kamen wird gerade in Monaco am Hafen an, da hat mich Walter Röhrl angerufen und mir dazu gratuliert, dass ich nun wie er die Monte mit vier verschiedenen Autos gewonnen hätte. Dass mich so jemand anruft, bedeutet mir viel mehr als die Leistung an sich. Oder nehmen wir Ayrton Senna: Der war, als ich jung war, mein Idol. Er hält in der Formel 1 mit sechs Grand-Prix-Siegen immer noch den Monaco-Rekord, und ich schliesse mich mit meinem Rekord da jetzt ein bisschen an, das macht mich schon stolz. Auch weil ich zur Rallye Monte Carlo eine besondere Beziehung habe.
Weil Sie in den französischen Seealpen aufgewachsen sind?
Genau. Die Rallye, die ich als Kind gesehen habe, lies mich davon träumen, einmal Rallyefahrer zu werden. Ich hoffte, einmal die Chance zu bekommen, hier dabei zu sein. Diese Rallye einmal zu gewinnen, war für mich damals der grösste Traum, ähnlich wie für Röhrl. Auch für ihn war dies erst einmal wichtiger als der WM-Titel. Ihm ging es vor allem um die besonders schwierigen Bedingungen, die die Leistung eines Siegers besonders unterstreichen. In meinem Fall kommen aber die Heimatregion, meine Freunde und Eltern hinzu. Die Emotionen kann ich nicht in Worte fassen. Ganz ehrlich: Hier bin ich besonders froh, wenn wir im Auto allein sind und ich einen Helm auf habe. Das Glücksgefühl, hier abgeliefert zu haben, ist unbeschreiblich. Nie hätte ich gedacht, dass ich hier so oft gewinnen kan, genauso wenig hätte ich mir 50 WM-Siege sowie sieben Weltmeistertitel erträumt. Meine Karriere hätte auch anders verlaufen können.
Lief es gut, weil Sie meist die richtige Entscheidung getroffen haben?
Zumindest habe ich nicht viel falsch gemacht. Das Vorbereitungsjahr für VW im Škoda Fabia S2000 war mental sicher nicht das einfachste. Schliesslich hatte ich im Citroën C4 WRC zuvor sieben Gesamtsiege errungen. Und hätte sich Volkswagen 2016 nicht zurückgezogen, hätten wir vielleicht noch viel öfter gewonnen. Nach zwei erfolgreichen Jahren bei M-Sport war klar, dass Ford das Engagement nicht mehr so sehr unterstützte, und ich wechselte zu Citroën, weil die anderen Hersteller besetzt waren. Auch wenn es ein schwieriges Jahr war, hatten wir unsere Erfolge. Ich denke, ich konnte meine Situation immer gut einschätzen. Könnte ich mich noch einmal entscheiden, ich würde wohl alles nochmals genauso machen. Auch weil ich nun bei Toyota bin, einem tollen Team mit tollen Leuten. Die Siege und Erfolge sind die Bestätigung dafür, wie gut alle zusammenarbeiten.
War der WM-Titel im Vorjahr Ihr schwierigster?
Die Saison war eher kompliziert als schwierig. Aufgrund der Pandemie änderte sich ständig der Kalender. Die Kunst lag darin, sich trotz aller Ungewissheit auf das Wesentliche zu konzentrieren. Jeder wusste, dass es auf jedes einzelne Resultat ankommt. In anderen Jahren hatte ich aber auch schon intensive und wesentlich längere Kämpfe um den Weltmeistertitel. So gesehen würde ich 2020 trotz aller Umstände nicht als die schwierigste Saison bewerten.
Eigentlich wollte Sie ihre Karriere im Vorjahr beenden, und nun machen Sie doch weiter.
Ohne die Pandemie wäre es im Vorjahr meine letzte Saison gewesen. Wie alle sassen auch wir wochen- und monatelang zu Hause. Und ja, ich habe die Zeit mit meiner Frau Andrea und unserem Sohn Tim genossen. Ich freute mich, Dinge tun zu können, zu denen ich sonst kaum komme, etwa Wasserskifahren auf dem Bodensee oder Golf spielen. So sehr ich meine privilegierte Situation zu schätzen weiss, war mir schon im Sommer klar, dass ich mit so einer Saison nicht aufhören will, egal, ob ich den Titel holen würde oder nicht. Das Team hat mir immer signalisiert, dass ich willkommen bin. Jetzt hänge ich eben noch eine Saison an.
… und hören Ende dieser Saison auf?
Klar ist, dass dies meine letzte volle Saison sein wird. Jeder spricht mich auf die neun WM-Titel von Rekordweltmeister Sébastien Loeb an. Dabei bedeutet mir die Anzahl der Titel wenig, ich hatte immer andere Ziele und Pläne. Die Zeit mit meinen Sohn ist für mich viel wertvoller als neun Titel. Gleichzeitig kann ich mir gut vorstellen, noch die eine oder andere Rallye zu fahren, allen voran natürlich die Monte. Dass keine Fans an der Strecke waren, habe ich doch sehr vermisst. Zum einen wäre es die erste Rallye nach der Saison, ich hätte also keine grössere Pause. Zum anderen fangen mit den neue Hybridautos 2022 alle bei null an. Aktuell gibt es aber keine Pläne. Ich weiss noch nicht einmal, ob und wann ich das künftige Auto testen werde. Ich für meinen Teil konzentriere mich erst einmal auf diese Saison.
Jari-Matti Latvala, Ihr Ex-Kollege und neuer Teamchef, sähe Sie liebend gerne über die Saison hinaus im Toyota.
Das kann er gerne haben (lacht). Ich habe mich auch für Toyota entschieden, weil man hier verschiedene Optionen hat. Im Sommer sass ich im LMP1-Simlulator und habe mich dabei nicht so schlecht angestellt. Le Mans ist schon noch einer meiner Träume. Ich war schon im Porsche Supercup, der DTM und im ADAC GT Masters am Start und habe immer gesagt, dass ich mir einen Wechsel auf die Rundstrecke gut vorstellen kann.
Und wie steht es um die Rallye Dakar?
Das ist nicht mein Ding. In der Rallye-WM sind wir inklusive der Streckenbesichtigung eine gute Woche unterwegs. Anstrengender als das Fahren ist das Drumherum. Für mich ist der Donnerstagabend am schlimmsten. Noch bevor es am Freitag früh losgeht, telefonieren ich mit meinem Sohn, damit er mir erzählen kann, was er gemacht hat. Und dann zur Dakar? Da wäre ich ja über drei Wochen weg. Nein danke! So sehr ich die tollen Landschaften und das Abenteuer mag, aber das Fahren im offenen Gelände ist auch nicht unbedingt mein Ding. Ein aktuelles World Rally Car am Limit zu bewegen ist einfach das Grösste.
Ihr Namesvetter Loeb besitzt einige seiner Erfolgswagen, Petter Solberg hat ein Museum. Wie steht es um Ihre Sammelleidenschaft?
Auch bei mir ist schon einiges zusammengekommen. Abgesehen von den Trophäen habe ich aus jeder Saison eine komplette Garnitur mit Overall, Schuhen, Handschuhen und Helm. Ich habe aber keinen Raum dafür und denke, wenn ich alles zusammenpacke, brauche ich eher eine Halle.
Und wie steht es um Ihre Autos?
Darüber habe ich, glaube ich, noch nie gesprochen. Aber ja, ich besitze meine Weltmeister-Autos, je einen VW Polo WRC und einen Ford Fiesta WRC. Ich denke, dass ich auch noch einen Toyota Yaris WRC bekomme. Zudem werde ich demnächst mein allererstes Rallyeauto, einen Peugeot 206 XS, erhalten. Ich weiss zwar, wo der Citroën C2 Super 1600 steht, mit dem ich Juniorenweltmeister wurde, noch ist aber unklar, ob ich den kriegen kann. Aber für mich sollte es schon auch mein Originalauto sein. Einfach ein anderes Auto umzukleben, hat nicht den gleichen emotionalen Wert.