Die Ursprünge des Alfa Romeo Rennwagens mit der Modellbezeichnung Tipo 158 gehen auf das Jahr 1938 zurück. Der Achtzylinder-Reihenmotor entsprach mit einem Hubraum von 1,5 Litern dem zu dieser Zeit aktuellen Reglement für Grand Prix, dem Vorläufer der Formel 1. Der Motor und auch das Fahrzeug selbst waren aber deutlich kleiner als die berühmten Vorgänger P2 und P3. Der Tipo 158 erhielt deswegen den Spitznamen «Alfetta», kleiner Alfa Romeo. Der Tipo 158 war ein technologisches Juwel, das Werk von Gioacchino Colombo, dem Leiter der Konstruktionsabteilung bei Alfa Romeo. Colombo entschied sich beim Motor für eine obenliegende Nockenwelle, Dreifachvergaser und Aufladung mit Hilfe eines Kompressors. Durch die Verwendung von Leichtmetallen – die Magnesium-Aluminium-Legierung Elektron für den Block, Nickel-Chrom-Stahl für die Kurbelwelle – reduzierte der Ingenieur das Motorgewicht auf nur 165 Kilogramm. Eine weitere Besonderheit war das sogenannte Transaxle-Layout. Das Getriebe bildete nicht wie gewöhnlich eine Einheit mit dem Motor, sondern war zu einer Einheit mit dem Hinterachsdifferenzial kombiniert. Diese Konstruktion beansprucht weniger Platz und sorgt für eine optimale Gewichtsverteilung zwischen beiden Achsen. Der Zweite Weltkrieg stoppte die Entwicklung des Tipo 158. Die technischen Lösungen des Grand-Prix-Rennwagens waren jedoch so ausgefeilt, dass sie auch in der Nachkriegszeit noch erfolgreich waren. In einigen Aspekten sogar bis zum heutigen Tag. So verwendete Alfa Romeo die Transaxle-Bauweise ab 1972 auch in Serienfahrzeugen, als erstes im nach dem Formel-1-Renner benannten Modell Alfetta.
Die Alfa Romeo Rennwagen aus den Jahren direkt vor und direkt nach dem Zweiten Weltkrieg waren nicht nur ähnlich – sie waren sogar identisch. Dahinter steckt eine Geschichte, die sich ein Buchautor kaum spannender hätte ausdenken können. Sprung zurück in das Jahr 1943. Die norditalienische Industriestadt Mailand ist von deutschen Truppen besetzt, Verhaftungen nehmen von Tag zu Tag zu. Im Alfa Romeo Werk Portello vor den Toten Mailands steht eine kleine Anzahl von Tipo 158, sie könnten jederzeit als Kriegsbeute enden. Ingenieure und Mitarbeiter der Rennabteilung schmieden einen Plan, dies zu verhindern. Sie verladen die Grand-Prix-Rennwagen auf Lastwagen, um sie in verschiedene Verstecke in der Nähe von Abbiategrasso, rund 20 Kilometer westlich von Mailand, zu transportieren. Eine Handvoll leidenschaftlicher Alfa-Romeo-Bewunderer meldet sich freiwillig, diese Aufgabe zu übernehmen. Zu ihnen zählt auch Rennboot-Champion Achille Castoldi, der 1940 mit einem Tipo-158-Motor in seinem Boot einen Geschwindigkeitsweltrekord aufgestellt hat. Aber gerade als der Konvoi abfahren will, erscheint eine Patrouille der Wehrmacht in Portello. Alfa Romeo Testfahrer Pietro Bonini, von Schweizer Nationalität und nach einigen Jahren in Berlin perfekt Deutsch sprechend, stellt sich den Soldaten in den Weg. Selbstbewusst präsentiert er dem Kommandanten eine Transporterlaubnis. Tatsächlich lassen die Deutschen den Konvoi unbehelligt passieren. Die Tipo 158 werden in verschiedene Garagen und Schuppen gebracht, dort hinter falschen Mauern oder Haufen von Baumstämmen versteckt und warten auf bessere Zeiten.
Nicht lange nach Kriegsende wurden die Tipo 158 zurück ins Alfa Romeo Werk Portello geholt, sorgfältig revidiert und auf die Rückkehr in den Rennsport vorbereitet. Und Rennen bedeuteten für Alfa Romeo häufig Sieg, obwohl erste wenige Rennstrecken in Betrieb waren und viele Meisterschaften sich in einem vorläufigen Zustand befanden. 1947 und 1948 gewann Alfa Romeo Pilot Nino Farina den Grossen Preis der Nationen in Genf/Schweiz, Teamkollege Achille Varzi den Grossen Preis von Turin/Italien und Carlo Felice Tossi den Grossen Preis von Mailand/Italien. Die Botschaft war klar und deutlich: Der Alfa Romeo Tipo 158 war immer noch das Auto, das es zu schlagen galt.
Der Grosse Preis von Grossbritannien in Silverstone am 13. Mai 1950 war das erste von acht Rennen der in jenem Jahr neu gegründeten Formel-1-Weltmeisterschaft. Nationen, die nur wenige Jahre zuvor miteinander Krieg geführt hatten, waren nun im Sport vereint. Es war ein historischer Moment. Für Alfa Romeo wurde es ein historischer Sieg. Die Tipo 158 nahmen die ersten vier Plätze in der Startaufstellung ein. Giuseppe «Nino» Farina eroberte die Pole-Position, die schnellste Runde und den Sieg. Zweiter wurde Luigi Fagioli und Dritter Reg Parnell. Das erste Formel-1-Podium der Geschichte war fest in der Hand von Alfa Romeo.
Das «Team der grossen drei F»
Die Kombination aus überlegener Geschwindigkeit, hervorragendem Fahrverhalten und hoher Zuverlässigkeit machten den Tipo 158 zur Krone der Automobiltechnologie seiner Zeit. Bei der Rennpremiere im Jahr 1938 leistete der von einem Kompressor aufgeladene 1,5-Liter-Motor 185 PS. Mit einem zweistufigen Kompressor erreichte die Alfetta nach der kriegsbedingten Pause bereits 275 PS. Bis 1950 stieg die Leistung auf 350 PS bei 8600 Touren. Das Leistungsgewicht des Tipo 158 betrug in diesem Jahr nur zwei Kilogramm pro PS – ein Wert, der heute einem Supersportwagen entsprechen würde. Diese technische Überlegenheit münzten die Alfa Romeo Werksfahrer in Siege um. Das Trio Farina, Fangio und Fagioli wurde als «Team der großen drei F» berühmt. Die drei Asse gewannen in der Saison 1950 alle Grand-Prix-Rennen, an denen sie teilnahmen. Sie standen zwölf Mal auf dem Podium und erzielten fünf Mal die schnellste Rennrunde. Giuseppe Busso, Designer bei Alfa Romeo und Mitarbeiter von Chefkonstrukteur Gioacchino Colombo, sagte später: «Unser größtes Problem war die Entscheidung, welcher der drei Fahrer ein bestimmtes Rennen gewinnen sollte.» Am 3. September 1950 setzte Alfa Romeo beim Grossen Preis von Monza/Italien zum ersten Mal den Tipo 159 ein. Eigentlich für die Weltmeisterschaft des folgenden Jahres entwickelt, feierte die nächste Generation der Alfetta ihr Debüt mit einem Sieg. Mit diesem Erfolg krönte sich Nino Farina endgültig zum ersten Formel-1-Weltmeister der Geschichte.
1951 entschied sich das Duell um die Formel-1-Weltmeisterschaft zwischen Alfa Romeo und Ferrari erst im letzten Rennen. Nach nunmehr 17 Jahren erreichte der phänomenale Motor der Alfetta langsam das Ende seines Entwicklungspotenzials. Aber im Verlauf des Jahres gelang es den Technikern erneut, zusätzliche Leistung zu generieren und die Grenze von 450 PS zu knacken. Dank dieser weiteren Steigerung und der überragenden Alfa Romeo Werksfahrer kreuzte der Tipo 159 bei vier von acht Grand Prix als Sieger die Ziellinie, erzielte elf Podestplätze und die schnellste Runde in allen sieben Rennen, an denen Alfa Romeo teilnahm. Titelverteidiger Farina gewann in Belgien. Aber mit Siegen in der Schweiz, in Frankreich – wo er sich das Auto mit Luigi Fagioli teilte – und Spanien sicherte sich jetzt Teamkollege Juan Manuel Fangio den Weltmeistertitel.
Die «Drei grossen F» und ihre Siege wurden zum Mythos und machten Alfa Romeo zum Kinostar. Die beiden bedeutendsten italienischen Produzenten dieser Zeit, Dino De Laurentis und Carlo Ponti, drehten einen Film (Originaltitel «L’Ultimo Incontro»), der auf den Formel-1-Rennstrecken und in den Büros der Alfa Romeo Rennabteilung spielte. Der Schriftsteller Alberto Moravia arbeitete am Drehbuch mit. Die Hauptrollen spielten Amedeo Nazzari und Alida Valli, ebenfalls zwei Superstars der Ära. Der Film feierte am 24. Oktober 1951 Premiere. Vier Tage später fuhr Juan Manuel Fangio im Tipo 159 mit dem Sieg beim Grossen Preis von Spanien zum Titel. Damit hatte Alfa Romeo die ersten beiden Formel-1-Weltmeisterschaften in der Geschichte des Motorsports gewonnen. Ungeschlagen zog sich die Marke aus der Formel 1 zurück und konzentrierte sich stattdessen voll auf die Herstellung schöner Sportwagen.
Der erste Teil der Alfa-Geschichte: hier. Teil 2: hier. Teil 3: hier. Mehr? Bald.