Gerne durchstöbern wir das Angebot der bekannten Auktionshäuser. Wenn uns etwas besonders gut gefällt, präsentieren wir es hier als «Pick of the Week». Heute ist es ein Alfasud, gefunden bei Oldtimer Galerie Toffen.
- Gebaut 1972 bis 1983
- Über eine Million Exemplare produziert
- Aussergewöhnlich schönes Original-Fahrzeug
Es war ein Aufschlag, wie er sogar auf dem Catwalk der Designshow Salone dell’automobile di Torino selten war: 1971 Jahren präsentierte Stardesigner Giorgetto Giugiaro einem staunenden Publikum gleich zwei spektakuläre Entwürfe für Alfa Romeo, die das Gesicht der Marke neu prägten und Geschichte schreiben sollten. Während der viertürige Alfasud den ersten erschwinglichen Alfa Romeo fürs Volk verkörperte und dabei italienisches Dolce Vita in zeitlos eleganten Formen feierte, versuchte das furiose Showcar Caimano die keilförmigen Konturen eines Lancia Stratos oder Lamborghini Countach zu toppen. Unter den aggressiven Linien trug der durch einen Glasdom überdachte Caimano die Technik des bahnbrechenden Kompaktklassetyps Alfasud, trotzdem blieb der zweisitzige Keil zum Bedauern vieler Sportwagenfans nur ein schöner Traum. Immerhin fokussierte der futuristische Caimano die Aufmerksamkeit von Presse und Publikum auf den Alfasud, der als erster Alfa Romeo Produktionsmillionär werden sollte – und ab 1975 auch als gleichfalls von Giugiaro gezeichnetes, dreitüriges Sportcoupé Alfasud Sprint in den Verkaufsräumen stand. Noch vor dem Volkswagen Golf – ebenfalls ein Giugiaro-Design – überraschte der vom legendären Alfa-Chefkonstrukteur Rudolf Hruska finalisierte Alfasud mit modernem Frontantrieb, Fastback für viel Platz im Interieur und mit sportiven Fahrtalenten zu günstigen Preisen. Alles bestens also für Stückzahlrekorde – hätte es da nicht Probleme wie die braune Pest gegeben.
Mit rasant rostenden und schludrig zusammengebauten Karosserien sorgte der Alfasud für die dramatischste Ära in der ohnehin aufregenden Alfa-Historie. Am Ende einer fast zwei Jahrzehnte währenden Bauzeit war die erste Kompaktklasse-Familie (Alfasud Berlina, Sprint und Giardinetta) aus Giugiaros neu gegründeter Kreativfirma Italdesign rehabilitiert, durchbrach sie doch als erste Modellreihe der Marke mit dem Logo des Scudetto die Produktionsschallmauer von einer Million Einheiten.
Dabei hatte alles unter idealen Bedingungen begonnen, mit einem Auto, das auf einem weissen Blatt Papier konstruiert wurde und einem Werk, das eigens für die Fertigung des Fronttrieblers auf der grünen Wiese entstand. «Der Alfasud musste offensichtlich Vorderradantrieb haben. Und er musste ein luxuriöser Kleinwagen sein, ein Fünfsitzer mit einem sehr grossen Kofferraum», beschrieb Hruska das Lastenheft für die 3,89 Meter kurze Berlina mit anfangs 46 kW/63 PS leistendem 1,2-Liter-Boxermotor. Der kompakt bauende Boxer begünstigte die Raumausnutzung im Alfasud, der über fast den gleichen Radstand (2,46 Meter) wie der in den Aussenabmessungen um 29 Zentimeter längere Audi 80 verfügte. Auch in den Disziplinen Temperament und Wirtschaftlichkeit brillierte der Alfasud gegenüber etablierten Wettbewerbern wie Autobianchi A111, Fiat 124 Special, Renault 12 oder Peugeot 304, nicht zu vergessen das sportliche Alfasud-Fahrwerk mit aufwendiger Radführung sowie Scheibenbremsen vorn und hinten. Dieses Paket gab es zum Kampfpreis von 9950 Franken (1973), das konnte kein vergleichbarer Konkurrent unterbieten. Und inmitten konservativer deutscher Kompakt-Marktführer á la Opel Kadett, VW Käfer und Ford Escort wirkte der erste Volks-Alfa ohnehin wie aus der Zukunft gefallen.
Und das sollte nur der Anfang aller Boxer-Herrlichkeit für den piccolo Romeo sein, führten doch Ausbaustufen zu einem 1,5-Liter-Vierzylinder mit 77 kW/105 PS im Golf-GTI-Herausforderer Alfasud ti und zu 87 kW/118 PS im dreitürigen Coupé Sprint 1.7 QV. Noch kräftigere Herzen schlugen in den über 200 km/h schnellen Trofeo-Rennern, die ab 1975 um einen der ersten europäischen Markenpokale kämpften: Eine Talentschmiede, in der sich Formel-1-Fahrer wie Gerhard Berger die ersten Sporen verdienten. Für die berühmt-berüchtigte Gruppe B der Rallye-WM baute Alfa 1982 sogar eine wilde Bestie des Typs Sprint 6C mit Sechszylinder-Mittelmotor aus dem GTV6, die aber dann wegen des raschen Endes der Rallyeserie nicht mehr zum Einsatz kam.
Ganz anders gab sich dagegen die ab 1975 offerierte dreitürige Kombiversion Alfasud Giardinetta, die an einen avantgardistischen sportlichen Shooting Brake erinnerte, trotzdem am konservativen Kombi-Markt scheiterte, wie nur 5899 verkaufte Giardinetta dokumentieren. Es war aber nicht dieser Lifestyle-Laster, der bei Alfa Romeo sorgenvolle Zeiten einleitete. Auch die fehlende Heckklappe am Fastback der kleinen italienischen Energiebündel – erst 1981 lancierte Alfa seinen Kompaktklasse-Pionier mit grosser Ladeluke – machte kaum Kummer. Tatsächlich wählten britische Fachmedien den Alfasud noch Anfang der 1980er zum «Car of the Decade», weil er dem Wettbewerb technisch um ein Jahrzehnt voraus gewesen sei und dies in aufregendem Design. Dennoch konnte Alfa Romeo die visionäre Konstruktion nicht in den ganz grossen wirtschaftlichen Erfolg ummünzen. Schuld war ein Konglomerat aus Korrosionsproblemen, politischen Konflikten und Streiks.
Denn keine grosse italienische Oper ohne Drama: Als Staatsbetrieb musste Alfa Romeo das Werk für den Sud im strukturschwachen Süden des Landes bauen. In Pomigliano d’Arco bei Neapel entstand die Fabrik, und die rekrutierten Bauarbeiter forderten umgehend via Streik eine Anschlussbeschäftigung am Alfasud-Fliessband. Es war der Anfang einer Streikwelle und einer Phase fehlender Arbeitsmotivation bei den Beschäftigten, die dem italienischen Automobilhersteller einen unrühmlichen Europarekord sicherte: Die tägliche Abwesenheitsquote unter der Belegschaft betrug rund 20 Prozent, bei grossen Sportereignissen wie Fussball oder Formel 1 fehlte auch schon mal fast die Hälfte der Angestellten. Auch deshalb lag der Fahrzeugausstoss mindestens ein Drittel unter der ursprünglichen Planung. Hinzu kam eine lieblose Verarbeitungsqualität, die von Beginn an tiefe Kratzer im Alfa-Image hinterliess.
Der ultimative Gau spiegelte sich dann in verbalem Spott wie «Alfa Rosteo» oder «Rostet schon im Prospekt». Gewiss, auch deutsche Hersteller hatten in den 1970er Jahren Korrosionsprobleme durch russisches Recyclingblech mit rostfördernden Buntmetallen, aber viele Alfasud zeigten schon im Schauraum des Händlers Auflösungserscheinungen, etwa wenn die bereits mit Flugrost bedeckten Rohkarosserien einfach überlackiert worden waren. Nachhaltige Schadensbegrenzung gelang Alfa erst 1980 zum einzigen grossen Facelift der Baureihe. Drei Jahre später stand der Alfa 33 bereit, die Nachfolge der Alfasud Berlina zu übernehmen, die sich trotz allem die Krone der meist verkauften Alfa Limousine aller Zeiten gesichert hatte.
Auf der Auktion der Oldtimer Galerie Toffen kommt am 14. Oktober ein aussergewöhnliches Exemplar in die Versteigerung, Jahrgang 1976, 1,2-Liter-Motor mit 63 PS, mit erst 36’100 Kilometern – und in einem wunderbaren Originalzustand. Solch rostfreie Exemplare sind extrem selten geworden, der sehr gute Zustand rechtfertigt auch den Schätzpreis von 15’000 bis 20’000 Franken (wobei der Alfasud als «no reserve» angeboten wird).
In der monatlich erscheinenden Klassik-Beilage der AUTOMOBIL REVUE finden Sie immer schöne Old- und Youngtimer. Abos gibt es: hier. Unter «Pick of the Week» präsentieren wir gerne günstige und vor allem spannende Automobile, die wir auf Auktions-Vorschauen entdecken – eine Liste der schon vorgestellten Fahrzeuge finden Sie hier.