Der Alfa Romeo 6C 2500 Villa d’Este war nicht nur eines der schönsten Automobile seiner Ära. Er war auch ein Bindeglied zwischen der bis dahin üblichen Herstellung von handgefertigten, auf den Kundenwunsch massgeschneiderten Einzelstücken hin zur einer modernen Fertigungsorganisation. Verantwortlich für diesen Wandel war bei Alfa Romeo ein Ingenieur mit internationaler Karriere – Ugo Gobbato. Als Alfa Romeo 1939 das Modell 6C 2500 präsentierte, war Gobbato bereits seit sechs Jahren Leiter des Werks Portello am Stadtrand von Mailand. Der aus der Provinz Treviso stammende Manager hatte an der Technischen Universität im deutschen Zwickau Maschinenbau studiert, wurde nach dem Militärdienst erster Direktor des revolutionären Fiat-Werks in Lingotto und leitete danach den Aufbau von Fabriken für Fiat unter anderem in Deutschland und in Moskau. Gobbato war ausserdem Projektentwickler für die erste grosse Kugellagerfabrik in der Sowjetunion. Gobbato war bekannt als bodenständiger Mann, der viel Zeit in den Produktionsstätten verbrachte, oft mit den Arbeitern sprach und stets hartnäckig versuchte, die Effizienz zu verbessern. 1933 wurde Gobbato zum Direktor von Alfa Romeo ernannt. Von Beginn an konzentrierte er sich auf das Thema Effizienz. Er rangierte veraltete Maschinen aus und straffte Arbeitsabläufe. In seiner analytischen Diagnose hielt sich Gobbato an die Strategie, der er schon 1932 in zwei Handbüchern mit dem Titel «Die Organisation von Produktionsfaktoren» veröffentlicht hatte. Er widmete sich der Theoretisierung und Durchführung einer gut geplanten Kombination aus modernen Fertigungsmethoden und der Handwerkstradition, die Alfa Romeo bis dahin geprägt hatte. «Rationale Produktion, aber keine Massenproduktion» war Gobbatos Ziel, das er vor allem durch die Einstellung einer Generation junger Ingenieure erreichte. Mit ihnen implementierte Alfa Romeo eine Vielzahl neuer Verfahren und moderner Methoden. Dazu zählten auch eine klarere Hierarchie, präzise definierte Verantwortlichkeiten und leistungsabhängige Gehälter.
Zur tiefgreifenden Neuorganisation des Alfa Romeo Werks Portello gehörte auch die Einrichtung eines Fussballplatzes sowie einer Laufbahn inklusive kleiner Tribüne auf einem benachbarten Gelände. 1938 gewannen die Werksfußballer – die Gruppo Calcio Alfa Romeo – die regionale Meisterschaft und stiegen in die Division C auf. Mit diesem Erfolg im Rücken engagierte das Team einen vielversprechenden jungen Spieler, der auch von der Aussicht auf eine feste Anstellung als Mechaniker in Portello überzeugt wurde. Sein Name war Valentino Mazzola. Mazzola wurde später einer der berühmtesten Fussballer des Landes, kam über Venedig zum AC Turin, wurde Kapitän des legendären Teams «Grande Torino», das fünf Mal den Meistertitel holte, und spielte auch in der Nationalmannschaft. 1949 kam Mazzola mit nahezu dem gesamten Team des AC Turin bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Nicht überliefert ist, ob Mazzola jemals als Mechaniker am Alfa Romeo 6C 2500 mitwirkte. Tatsache ist, dass er 1939 im Werk Portello arbeitete, als die ersten Modelle dieser Serie gefertigt wurden.
Die Anfänge des Alfa Romeo 6C 2500
Der 1939 präsentierte Alfa Romeo 6C 2500, angetrieben von einem Reihensechszylindermotor mit 2,5 Litern Hubraum, war die Weiterentwicklung der Typen 6C 2300 und 6C 2300B. Für den 6C 2500 wurden wichtige technische Innovationen übernommen, darunter die hinteren Radaufhängungen mit Torsionsstabfederung, Teleskopstossdämpfer und hydraulisch betätigte Bremsen anstelle der zuvor verwendeten mechanischen. Mit der Hubraumerhöhung um 200 Kubikzentimeter stieg auch die Leistung. In der Modellversion Supersport standen bis zu 110 PS zur Verfügung, die eine Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h ermöglichten. Der Alfa Romeo 6C 2500 gab sein Debüt im Motorsport 1939 beim 1500-Kilometer-Rennen von Tobruk nach Tripolis im heutigen Libyen. Zum Einsatz kam eine Variante des Alfa Romeo 6C 2500 Supersport mit in die Karosserie integrierten Kotflügeln.
Die technischen Innovationen des Alfa Romeo 6C 2500 und seine sportlichen Erfolge zogen eine elitäre Kundschaft an. Die Produktion startete mit den fünf- oder siebensitzigen Chassisversionen Turismo sowie den Varianten Sport und Supersport mit kurzem Radstand. Für die Karosserie wandten sich die Kunden an externe Carrozzeria. Trotz des hohen Preises – zwischen 62000 und 96000 Lire – war die Reaktion der Kundschaft sehr positiv. Mit den 159 verkauften Tipo 6C 2500 verdiente Alfa Romeo ungefähr so viel wie Fiat mit dem Verkauf von 1200 Fahrzeugen der Baureihe 508 Balilla.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten auch in Italien viele Fabriken ihre Produktion wieder um von Militärausrüstung auf zivile Güter. Das Alfa Romeo Werk in Portello war 1943 und 1944 durch Fliegerangriffe schwer beschädigt worden.
Die Wiederaufnahme der Automobilproduktion war deshalb eine komplexe Herausforderung. Pragmatisch war der Start mit dem letzten Modell der Vorkriegsära, zumal viele Bauteile des Tipo 6C 2500 noch vorhanden waren. Mailand lag wie viele andere italienische Städte in Schutt und Asche. Gleiches galt für die Wirtschaft des Landes. Unternehmen mussten die notwendigen Materialien und Brennstoffe für ihre Fabriken oft auf dem Schwarzmarkt kaufen. So konnten 1945 in Portello nur wenige Exemplare des Alfa Romeo 6C 2500 Sport komplettiert werden. Aber für die Ingenieure und Arbeiter ging damit ein Traum in Erfüllung.
1946 stieg die Produktion in Portello auf 146 Einheiten, aufgeteilt auf komplette Autos und Fahrgestelle, die von externen Karosseriebauern vervollständigt wurden. Einer der bekanntesten war Battista «Pinin» Farina. Farina versah ein Chassis des Alfa Romeo 6C 2500 mit einer eleganten Cabriolet-Karosserie, die auf dem Pariser Autosalon 1946 ausgestellt werden sollte. Aber als eines der sogenannten «besiegten Länder» war Italien von der Veranstaltung ausgeschlossen. Farina parkte sein Cabriolet kurzerhand vor dem Eingang zum Messegelände im Grand Palais und brachte es jeden Abend ausserdem zum Place de L’Opéra, um es der feinen Gesellschaft von Paris vorzustellen. Der Plan ging auf, der Erfolg des Cabriolets und seines Schöpfers Battista «Pinin» Farina war nicht mehr aufzuhalten. Ebenfalls 1946 entstand eine weitere Karosserievariante auf dem verkürzten Chassis des Alfa Romeo 6C 2500 Sport – der Freccia d’Oro (Goldpfeil). Das kurze und abgerundete Heck entsprach den neuesten Erkenntnissen der Aerodynamik. Der Freccia d’Oro regte zahlreiche ehrgeizige Versionen an. Unter anderem Pinin Farina entwarf ein elegantes Coupé mit revolutionären Linienführung und eine später preisgekrönte Berlinetta für den Concorso d’Eleganza in der Villa d‘Este. Achille Castoldi, Ingenieur und erfolgreicher Motorboot-Rennfahrer, kaufte ein Coupé mit Karosserie von Touring und wendete auf dem Genfer Autosalon dieselbe Taktik an wie zuvor Farina in Paris.
Ein Auto für die Prominenz
Der amerikanische Schauspieler Tyrone Power fuhr im Alfa Romeo 6C 2500 durch Rom, der argentinische Präsident Juan Peron und seine Frau Evita durch Mailand. Auch König Farouk von Ägypten und Fürst Rainier III. von Monaco kauften den Alfa Romeo 6C 2500. Am 27. Mai 1949, als Rita Hayworth im Rathaus von Cannes Prinz Ali Khan heiratete, fuhr sie im 6C 2500 vor, den sie gerade als Hochzeitsgeschenk erhalten hatte. Das Cabriolet hatte eine elegante graue Karosserie mit Verdeck und Polsterung in Dunkelblau, die perfekt zur Garderobe der Braut passten. Ursprünglich war die Hochzeit für Anfang Mai geplant. Fussballfan Ali Khan liess sie jedoch verschieben wegen der sogenannten «Superga-Tragödie», bei der am 4. Mai 1949 ein Flugzeug mit der Mannschaft des AC Turin an Bord beim Landeanflug am Turiner Hausberg Superga zerschellte. Unter den Toten war auch Valentino Mazzola. In gewisser Weise schliesst sich so der Kreis zum Jahr 1939, als der noch unbekannte Mazzola im Alfa Romeo Werk Portello arbeitet, wo die ersten Tipo 6C 2500 gefertigt wurden.
Der Tipo 6C 2500 Villa d’Este war eines der letzten Fahrzeugmodelle von Alfa Romeo, die mit einem von der Karosserie getrennten Fahrgestell gebaut wurden. Insgesamt entstanden nur 36 Exemplare, allesamt einzigartige Kreationen, entworfen nach den Wünschen der Eigentümer und aus der Inspiration der Karosseriebauer. Ausgehend vom Coupé 6C 2500 Supersport, das bereits von seiner Karosseriebaufirma Touring gebaut wurde, nahm Designer Carlo Felice Bianchi Anderloni grundlegende Änderungen vor. Er gestaltete die Fahrzeugfront neu, indem er die vier Scheinwerfer und die Kühllufteinlässe harmonischer in die Karosserie einfügte. Die vorderen Kotflügel integrierte Anderloni in die Karosserie. Die Windschutzscheibe ist zweigeteilt und stärker geneigt. Das Fahrzeugheck läuft flach aus und trägt zwei kleine, elegante runde Rückleuchten. Kurz gesagt: Ein Meisterwerk der Automobilkunst des 20. Jahrhunderts war geboren. Beim Concorso d’Eleganza 1949 in der Villa d’Este gewann der von Carlo Felice Bianchi Anderloni entworfene Alfa Romeo 6C 2500 den «Grand Prix Referendum», den Publikumspreis. Seitdem ist der Modellname untrennbar mit dem legendären Schönheitswettbewerb am Comer See verbunden.
Dn ersten Teil der grossen Alfa-Romeo-Geschichte finden Sie: hier. Und den zweiten Teil: hier. Selbstverständlich folgt dann noch: mehr.