Vollbremsung bei Tempo 220 auf der Rennstrecke. Das Heck wird spürbar leicht, aber keinesfalls unruhig. Das Einlenkverhalten ist präzis. Ebenso die berechenbare, deshalb aber nicht minder imposante Gasannahme. Damit lässt sich die Lage des Model 3 am Kurvenausgang spielerisch steuern. Die Reifen quietschen, die Brembo-Bremsen feuern – dieses Auto macht jede Menge Spass. Szenenwechsel. Das Navi dirigiert uns zum nächstgelegenen Tesla-Supercharger. Dies nach über 400 gefahrenen Kilometern. Sanft schluckt das Fahrwerk beinahe jede Bodenwelle und manövriert sich dank des zuschaltbaren Autopiloten grösstenteils von allein. Das 15-Zoll-Tablet in der Mitte sorgt mit allerhand – mehr oder weniger sinnvollen – Features dafür, dass selbst die Ladepause nie langweilig wird. Und informiert darüber, dass nach einer halben Stunde bis zu 350 Kilometer Reichweite verfügbar sind. Dem Model 3 gelingt der Spagat zwischen Komfort, Alltagstauglichkeit und Fahrspass erfrischend gut. Auf der Reise nach Le Castellet (F) zum Circuit Paul Ricard zeigt der Kompakte den Weg in die Zukunft.
Zwei Versionen
Während das Model Long Range (ab 58 900 Fr.) auf eine maximale Reichweite von bis zu 560 Kilometern nach WLTP ausgelegt ist, protzt das Performance-Model (ab 69 700 Fr.) mit mehr Leistung, höherer Höchstgeschwindigkeit und dem Track-Modus. Beide verfügen sie über zwei separate E-Motoren (knapp 640 Nm). Damit lässt sich die Drehmomentverteilung steuern und der variable Allradantrieb ermöglichen. Ein 200 PS starker Asynchronmotor treibt in beiden Versionen per Induktion die Vorderräder an. Ein Synchronmotor (Long Range 258 PS, Performance 287 PS) sitzt auf der Hinterachse und arbeitet mit Permanentmagneten, die keinen Motorstrom brauchen. Der Vorteil: Bei gemütlicher Fahrt genügt somit die Kraft des Heckmotors, was Energie spart. Während das Long-Range-Model auf 18- oder optional 19-Zöllern steht, ist die Topversion standardmässig mit 20-Zoll-Felgen und Michelin-PS4S-Reifen ausgerüstet. Dazu gibt es eine Brembo-Bremsanlage, einen Karbon-Heckspoiler sowie ein tiefergelegtes Fahrwerk und Leichtmetallpedale. Der Autopilot ist in beiden Versionen mit an Bord, wobei dieser sein volles Potenzial nur gegen einen Aufpreis von 6300 Franken ausschöpft.
Eine Überraschung
Genug der technischen Daten, diese folgen im
detaillierten Testbericht. Das, was das Model 3 wirklich ausmacht, sind –
entgegen vieler Erwartungen – die Emotionen! Selten konnte ein Fahrzeug fahrdynamisch
derart überraschen und wurde gleichzeitig so kontrovers diskutiert. Zwar kennt
man die flotte Beschleunigung, das unmittelbar anliegende Drehmoment und den
daraus resultierenden üppigen Durchzug von Elektroautos ebenso wie das
baubedingt grosszügige Raumangebot und den damit verbundenen Fahrkomfort. Die
Leichtigkeit jedoch, mit der das Model 3 diese Disziplinen miteinander
verbindet, ist beeindruckend. Der Verstand kommt nicht mehr mit, wenn im französischen
Hinterland Jagd auf einen Porsche GT3 RS gemacht wird und dann nur wenige
Minuten später ein Fahrradfahrer erschrickt, weil er einen beim gemütlichen Überholvorgang
nicht gehört hat.Das Model 3 ist sowohl hardware- wie auch softwaretechnisch
eine komplette Neuentwicklung und hat nur wenig mit seinen grösseren Konzernbrüdern
zu tun. Wichtigste Neuerung: Der kompakte Tesla beherrscht nun nicht nur Längs-,
sondern auch Querbeschleunigung.
Einfacher Umgang
Tatsächlich ist es so, dass das Zusammenspiel
von Antrieb, Fahrwerk und Lenkung anders als in der Vergangenheit derart gut
abgestimmt ist, dass das Model 3 nicht nur auf der Landstrasse ein hervorragendes
Bild abgibt. Dank der präzisen Lenkung und des guten Feedbacks lässt er sich
wie auf Schienen um jede Ecke zirkeln. Fehlende Traktion scheint beinahe ein
Fremdwort zu sein und wenn, dann zuckt höchstens beim zu forschen Herausbeschleunigen
kurz das Heck. Durch blosses Fussheben kann dieses spielerisch eingefangen
werden.Einziger Wermutstropfen ist das im Vergleich zur Konkurrenz noch immer
verhältnismässig starke Aufwanken des Zweitönners. In Sachen Fahrkomfort ist
dies einer der wenigen Kritikpunkte. Ansonsten schlagen sich beide Versionen in
allen Lebenslagen überraschend souverän, was auch für das Aufladen gilt. Mit
dem Model 3 erhält der CCS-Schnellladestecker Einzug in Europa. Durch die
neueren 2170er-Akkuzellen von Panasonic und eine modernere Zellchemie sind am
Tesla-Supercharger höhere Ladeströme von bis zu 150 kW möglich. Grundsätzlich
kann das Model 3 auch an sogenannten Destination-Charging-Standorten, bei
Drittanbietern oder zu Hause geladen werden. Eine Ladestation mit 11 kW
Ladeleistung bringt das leergefahrenen Model 3 Long Range in 7.5 Stunden zu
voller Reichweite.
Softwaretechnische
Meisterleistung
Zum ernstzunehmenden Sportwagen-Jäger
wird das Model 3 Performance im Track-Modus. Dieser erlaubt das kontrollierte
Herantasten an den Grenzbereich und ist gemäss Tesla nicht für die Strasse
gedacht. Sämtliche Funktionen arbeiten natürlich auch im Normalbetrieb, nur
eben weniger radikal. Torque-Vectoring erlaubt, die Fahrzeugdrehung zu erhöhen
und gleichzeitig die Stabilität zu verbessern. Gelangt vermehrt Drehmoment an
die Hinterachse, dreht sich das Fahrzeug leichter. Umgekehrt vermindert ein erhöhtes
Drehmoment auf der Vorderachse das Drehverhalten. Die erhöhte Rekuperation
verstärkt einerseits die absolute Verzögerung, andererseits wird es möglich, ähnlich
wie auf einem Motorrad nur mithilfe des Gaspedals den Kurvenradius zu
bestimmen. Da die präventive Kühlung des Antriebstranges verstärkt wurde,
waren auch nach mehreren Rennrunden keinerlei Verluste der Antriebs- oder
Bremskraft zu verzeichnen. Die spür- sowie hörbar grösste Auffälligkeit ist
die individuelle Ansteuerung der Hochleistungsbremsen. Durch das sogenannte
Brake-Firing wird situativ an allen vier Rädern gleichzeitig Brems- und
Motordrehmoment aufgebracht, um die Zugkraft des kurveninneren Rades zu erhöhen.
Dies hilft beim Drift, aber auch auf der Suche nach dem letzten Zehntel, da das
Model 3 richtiggehend aus der Kurve zieht.
Abstriche bei der Verarbeitung
Insgesamt überzeugt das Model 3 mit
seinem Gesamtpaket. Tatsächlich gibt es nur wenige konventionelle Fahrzeuge
in dieser Preisklasse, die sämtliche Anforderungsprofile so gut miteinander
verbinden. Dass die Verarbeitung, beispielsweise im Kofferraum, der
Premiumkonkurrenz teilweise hinterherhinkt, ist dem Pioniergeist geschuldet. Auch,
dass wirklich alles (sogar das Handschuhfach!) über das Tablet gesteuert
werden muss. Die restliche Hardware ist praktikabel und zeigt bereits jetzt,
wozu Tesla softwareseitig fähig ist. Dank Updates werden alle Tesla zudem ständig
schlauer, sicherer und noch leistungsstärker. Letztlich beweist das Model 3
vor allem zwei Dinge: Ein gewisses Mass an Planung vorausgesetzt, lässt sich
die Elektromobilität uneingeschränkt in den Alltag einbinden und ist dabei sexy
(die Modellbezeichnungen von Tesla lauten S, 3, X, Y) wie nie.