Es gibt Stimmen, die ihn mit dem verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs vergleichen. Tesla-Chef Elon Musk zeigt denn auch viele Parallelen zum legendären Tech-Guru. Auch der Elektroautopionier hat das Gespür für spektakuläre Auftritte, monumentale Ankündigungen und frische Sichtweisen. Ein Beispiel für die Innovationskraft von Jobs war das erste iPhone von 2007, das sich so weit von den damaligen Mobiltelefonen absetzte wie einst Graham Bells Telefon vom Büchsen-Schnurtelefon.
Elon Musk war sich bestens bewusst, dass er für einen ähnlichen Quantensprung bei der Individualmobilität nicht einfach die seit einem Jahrhundert etablierten Riesen der Automobilindustrie imitieren konnte.
Mehr Platz als alle anderen
Auch Musks vierter Streich, der Model Y, folgt eindeutig diesem Muster. Er stellt eine geräumigere, höhere Variante der Model-3-Limousine dar, lässt sich aber nicht leicht kategorisieren. Die ungewohnten Proportionen des Wagens entsprechen nicht dem konventionellen Schönheitsideal, und dem 4.75 Meter langen Auto fehlt eine saubere Formenharmonie.
Beim Einsteigen rechtfertigen sich die Dimensionen: Das Interieur ist riesig, den Rücksitzpassagieren stehen mindestens 20 Zentimeter Kniefreiheit zur Verfügung, der Kopfkontakt mit dem Dach ist unmöglich. Das Panoramadach geht ansatzlos in die sich elektrisch öffnende Heckklappe über, das Beladen des 854 Liter grossen Gepäckraums fällt dank der riesigen Öffnung leicht. Die Konkurrenten, egal ob mit Elektro- oder Verbrennungsmotor, müssen das Handtuch werfen. Aber der Model Y kann noch mehr. Auf Knopfdruck im Gepäckraum klappen die Rücksitzlehnen um und geben ein Volumen von 2100 Litern frei. Mehr gefällig? Unter dem Kofferraumboden findet man ein Fach für die Ladekabel, unter dem Frunk einen zweiten Kofferraum mit 117 Litern.
Die enormen Innenmasse verleiteten Tesla dazu, zwei zusätzliche Sitze vorzusehen – zumindest theoretisch. Im Internet spricht die Marke von einem Siebenplätzer als Option, kaufen kann man diesen aber vorläufig nicht. Zur Erinnerung: Die Konfiguration des Model Y erfolgt im Onlineportal, erst die Fahrzeugübergabe geht über die lokale Markenvertretung. Das Feilschen mit dem Händler entfällt, der Preis ist für alle gleich. Der Model Y Long Range kostet ab 62 000 Franken. Die Variante Performance mit 331 kW (450 PS) ist mit 71 000 Franken angeschrieben.
Der Innenraum erbringt den klaren Beweis, dass Tesla wenig bis gar nichts so macht wie die anderen – im Guten wie im Schlechten. Die einen sehen das Innenraumdesign als unverbaut und nüchtern, anderen – vor allem Kunden der Premiummarken – erscheint es nackt. Das Armaturenbrett enthält einzig einen in der Mitte angebrachten 15-Zoll-Bildschirm, genau wie beim Model 3. Der Y unterscheidet sich durch die zwei Smartphone-Ladeschalen in der Mittelkonsole. Die Passgenauigkeit, Qualität und Verarbeitung wurden gegenüber früheren Modellen von Tesla deutlich verbessert, aber vom Premiumstandard ist der US-Crossover noch weit entfernt: Manche Oberflächen sind rau und wirken billig.
Alles über den Bildschirm
Die grösste Schwäche ist aber weiterhin die Ergonomie. Tesla treibt die digitale Bedienung auf die Spitze, das gehört zum Konzept der Marke. Selbst die Lenkrad- oder Rückspiegelverstellung werden über das Tablet bewerkstelligt. Der normale Kunde wird zwar die Lenkradposition nicht alle zwei Stunden ändern, aber das Verstellen der Rückspiegel fällt für die meisten doch häufiger an, etwa um beim Parkieren Randsteinkratzer zu verhindern. Wir bleiben dabei: Touchscreen-Einstellungen zwingen den Fahrer, den Blick vom Verkehrsgeschehen abzuwenden, und sind der Strassensicherheit abträglich. Für sich allein betrachtet ist das reaktionsschnelle, durchdachte Touchscreentablet von Tesla aber der Konkurrenz weit überlegen. Nur schade, dass ein dermassen auf Hightech versessenes Auto ohne Head-up-Anzeige auskommen muss. So muss der Fahrer sogar für den Blick auf den Tacho den Kopf – oder zumindest die Augen – zur Seite wenden.
Apropos Autopilot: Alle Model Y sind damit ausgerüstet. Serienmässig bekommt der Wagen einen aktiven Spurhalteassistenten, der mit dem adaptiven Tempomaten und der Totwinkel-Überwachung kombiniert ist. Gegen einen Aufpreis von 3700 Franken übernimmt der Autopilot auch das selbständige Einparken, den Spurwechsel auf der Autobahn oder das Herausfahren aus der Garage. Im Navigationsmodus wechselt das System zudem selbst in die richtige Spur, die ans Ziel führt. Genial. Oder vielleicht doch nicht: Wenn die Spur frei ist, braucht es immer noch die Blinkerbetätigung und ein Antippen des Lenkrads durch den Fahrer, um das Manöver einzuleiten. In der Praxis macht man es halt dann doch meist lieber selbst.
Der Spurhalteassistent funktioniert ganz gut, aber Tesla hat den einstigen Vorsprung inzwischen eingebüsst. BMW und Mercedes haben sich mit feiner reagierenden und weniger ruckeligen Abstimmungen an die Spitze gesetzt. Dazu kommt, dass die automatische Geschwindigkeitsanpassung Probleme verursachen kann: Die elektronischen Sensoren täuschen sich oft und reagieren dann mit ruppigen Bremsmanövern.
Noch nicht ganz autonom
Wenn sich die Interessenten von solchen Stolpersteinen nicht abschrecken lassen, können sie 7300 Franken für die Topversion des Autopiloten hinblättern. Das System hält neben seinen anderen Funktionen auch selbständig vor Stoppsignalen und roten Ampeln an. Das klingt nach viel Geld für eigentlich sehr simple Aufgaben, aber erstens sind diese Aufgaben eben nicht ganz so trivial, und zweitens verspricht Tesla, dass es sich dabei nur um einen Schritt auf dem Weg zum vollautonomen Fahren im Stadtverkehr handle.
Bis diese Zukunftsvision Wirklichkeit wird, ist der Fahrer noch selbst für das Lenken im Strassengetümmel verantwortlich. Das Manövrieren wird durch den grossen Wendekreis erschwert – wir haben ihn mit 12.6 Metern gemessen –, aber die gut abgestimmte Energierückgewinnung macht das Fahren nur mit dem rechten Pedal zur wahren Freude. Man braucht sich nicht mit verschiedenen Verzögerungen durch Rekuperieren und mechanisches Bremsen herumzuschlagen, das Anheben des Fusses vom Gaspedal löst einen Tempoabbau auf natürlich wirkende Weise aus. So sollten das alle Elektroautos machen.
Betörender Schub
Im Model Y hat man die Tücken des Verkehrs gut im Auge, denn die Sicht nach vorn ist ausgezeichnet – gegen hinten jedoch weniger. Zum Glück zeigt die Kamera, was dort lauert. Allerdings gilt es, alle Aufmerksamkeit nach vorn zu richten, wenn die 331 kW (450 PS) des Model Y in Aktion treten: Der Horizont schiesst im Eiltempo auf einen zu. Der Testwagen stürmte mit atemberaubendem Temperament voran und brauchte für den Sprint von 0 auf 100 km/h nur 5.0 Sekunden, womit er die Werksangabe exakt egalisierte. Der Allradantrieb garantiert hervorragende Traktion, was bei den brutalen 593 Nm Drehmoment nicht selbstverständlich ist. Das Auto fährt erstaunlich zügig durch die Kurven, dem tiefen Schwerpunkt sei Dank. Noch eine Überraschung: Der Model Y unterbietet seine Rivalen mit seinen zwei Tonnen um 200 bis 300 Kilogramm.
Das Fahrverhalten hat aber auch seine Schattenseiten. Die möglichen Kurvengeschwindigkeiten liegen zwar hoch, aber der Amerikaner verleitet den Fahrer mit seiner unangenehm künstlich wirkenden Lenkung nie zum flotten Fahren. Dazu kommt, dass der Crossover im Grenzbereich bisweilen unberechenbar reagiert: Das Fahrverhalten schlägt plötzlich vom Unter- ins Übersteuern um. Man hat den Eindruck, Vorder- und Hinterräder seien nicht aufeinander abgestimmt.
Auf der Autobahn zeigt sich der Model Y ganz in seinem Element. Er bügelt alle Fahrbahnunebenheiten fein aus und produziert so gut wie keine Windgeräusche. Schade nur, dass die Ruhe an Bord auf rauen Strassen von lauten Abrollgeräuschen gestört wird. Die grosse Reichweite unterstreicht die Reisequalitäten des Model Y. Unser Testwagen erreichte auf der AR-Normrunde einen Verbrauch von 17.6 kWh/100 km, was eine Reichweite von 480 Kilometern ermöglicht. Dann muss man etwa 35 Minuten an einen Schnelllader, das bringt die 75-kWh-Batterie wieder auf 70 Prozent.
Mit seiner Energieeffizienz, grossen Reichweite und einem elastischen, starken Antrieb zeigt der Model Y, weshalb Tesla lange Zeit Leader in der Elektromobilität war. Die Überlegenheit ist aber nicht mehr so deutlich, und der Amerikaner wird immer klarer von seinen Schwächen gebremst, denn die Konkurrenz ist gerade in Sachen Ergonomie und Qualität viel besser. Elon Musk wird es nicht gern hören, aber seine Firma kann eben doch noch einiges von den Dinosauriern der Autoindustrie lernen – umgekehrt gilt das natürlich auch.
Testergebnis
Gesamtnote 75/100
Antrieb
Der Antrieb des Tesla Model Y ist: beeindruckend. Leistung, Drehmoment und Verbrauch sind top, das Bremsen fühlt sich auch mit Rekuperation stets natürlich an.
Fahrwerk
Die Strassenlage ist dank des tiefen Schwerpunkts gut, aber die Lenkung ist gefühlslos und künstlich. Der Langstreckenkomfort ist eindeutig die Stärke des Model Y.
Innenraum
Das Platzangebot ist mehr als beeindruckend. Die Qualität hat sich zwar stark verbessert, hängt aber derjenigen der Premiummarken immer noch nach.
Sicherheit
Die umfassenden Fahrassistenten sind die Stärke von Tesla, auch wenn sie nicht immer zuverlässig funktionieren. Die ausschliessliche Bedienung über den zentralen Touchscreen birgt enormes Ablenkungspotenzial.
Budget
Tesla bietet nach wie vor ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und eine übersichtliche Aufpreisstrategie. Einzig der Kauf des Autopiloten ist eine Katze im Sack und basiert auf Versprechen, was dereinst kommen soll.
Fazit
Das Model Y zementiert Teslas Vorsprung im Bereich des Elektroantriebs: Traktion, Leistung und Verbrauch sind von der Konkurrenz noch unerreicht. Gleichzeitig fallen die Schwächen bei der Ergonomie und Qualität auf. Die grosse Stärke des Model Y ist zweifellos seine Geräumigkeit, die in diesem Segment rekordverdächtig ist.
Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.