Neel Jani hat ein weiteres Kapitel Schweizer Automobilgeschichte geschrieben. Der 32-jährige Seeländer sicherte sich dank dem sechsten Platz beim abschliessenden Lauf zur Langstrecken-WM (WEC in Bahrain) im Porsche 919 Hybrid zusammen mit Marc Lieb und Romain Dumas den WM-Titel. Marcel Fässler (s. Box) fuhr beim emotionalen Audi-Abschied hinter dem Schwesterauto auf Platz 2, Sébastien Buemi wurde im Toyota TS050 Hybrid Vierter.
Der Vierte
Neel Jani hat sich 2016 mit dem Sieg in Le Mans und nun mit dem WM-Titel gleich beide Trophäen geholt, von denen das gesamte Fahrerfeld geträumt hat. Der Mann mit indischen Wurzeln schreibt damit eine weitere grosse Schweizer Automobil-Erfolgsgeschichte. Was Neel Jani, Marcel Fässler und Sébastien Buemi in den letzten Jahren an Grosserfolgen, just auf der Langstrecke, feiern durften, ist für eine kleine Nation wie die Schweiz, die nicht einmal über eine offizielle Rennstrecke verfügt, schlichtweg sensationell. Neel Jani ist bereits der dritte Schweizer Langstrecken-Weltmeister innerhalb der letzten fünf Saisons. Er folgt auf Fässler (2012) und Buemi (2014). «Aktuell erleben wir eine wirklich spezielle Epoche im Schweizer Motorsport. Einerseits die Erfolge von Marcel, Sébastien und mir im Automobilsport und gleichzeitig auch jene im Motorradsport mit Tom Lüthi und Dominique Aegerter. Wir alle fahren um Siege und WM-Titel. Das gab es in dieser Dichte wohl noch nie in der Schweiz», so Jani.
Zwei aktuelle Weltmeister
Seit gestern verfügt die Schweiz nun sogar über zwei amtierende FIA-Weltmeister gleichzeitig. Schliesslich ist Sébastien Buemi ja aktueller Formel-E-Champion und auf bestem Weg dazu, seinen Titel zu verteidigen. Jani seinerseits hatte auf seinem Weg zum Titel noch einmal einige bange Momente zu überstehen. Nach einem vielversprechenden Start wurde er nach rund einer Stunde bei einem Überrundungsmanöver von einem GT-Auto getroffen, dadurch wurden unter anderem das Hinterrad und der Unterboden beschädigt. Um das Auto nicht weiter zu ramponieren, fuhr er nur noch mit dem an der Vorderachse betriebenen Elektromotor zurück an die Box.
Trotz Problemen gepunktet
In der Folge ging es für Jani und seine Teamkollegen darum, das beschädigte Auto sicher ins Ziel zu bringen. Dieses Unterfangen gelang. Jani, Lieb und Dumas beendeten das Rennen auf Position 6. Da sich im Verlaufe des 6-Stunden-Rennens immer mehr abzeichnete, dass die direkten Konkurrenten um den WM-Titel, primär also der Toyota mit ex-Sauber-Pilot Kamui Kobayashi, ebenfalls nicht um die Podestplätze mitfahren würden, konnten die Le Mans-Sieger die Schlussphase trotz deutlichem Rückstand einigermassen beruhigt angehen. Selbst bei einem Ausfall des Jani-Porsche hätte Toyota die 17 Punkte Rückstand nicht mehr wettmachen können. Jani: «Dieses Rennen war symptomatisch. Wir hatten einen sehr guten Start, gerieten unverschuldet in Probleme und haben dann doch bis zur Ziellinie irgendwie überlebt. Der Saisonverlauf war ähnlich. Nach einem sensationellen Saisonstart mit dem Sieg in Le Mans hatten wir seither eine schwierige Phase, in der wir es aber geschafft haben, trotzdem immer Punkte mitzunehmen und so vorne zu bleiben.»
Grundstein in Le Mans
Den Grundstein zum WM-Titel legte Jani mit seinen Kollegen in der ersten Saisonhälfte mit dem Sieg in Le Mans als Höhepunkt. Seit dem Triumph beim legendären 24-Stunden-Rennen kämpften die drei Porsche-Fahrer allerdings, wie von Jani angesprochen, gleich mehrfach unglücklich. Trotzdem gelang es Jani, Lieb und Dumas, den zu Saisonbeginn erarbeiteten Vorsprung in der Weltmeisterschaft bis zum Saisonende erfolgreich zu verteidigen. «Wir haben Le Mans und den Weltmeister-Titel im gleichen Jahr gewonnen. Das ist einfach unglaublich – auch weil die Konkurrenz mit drei Herstellern so stark war wie noch nie. Das macht das Ganze noch spezieller», sagt Jani.
Der harte Konkurrenzkampf sei ihnen letztlich entgegengekommen. «So haben sich unsere Verfolger gegenseitig Punkte weggenommen.» Und: «Ich bin stolz, dass ich in vielen wichtigen Momenten das Vertrauen erhalten habe und das Auto steuern durfte. Den Start oder auch die Zieldurchfahrt in Le Mans werde ich sicher nie vergessen. Porsche hat eine riesige Tradition mit vielen ganz grossen Rennfahrern. Es ist ein tolles Gefühl, dass ich nun auch ein Teil dieser Porsche-Geschichte sein darf.»
Buemi «nur» Vierter
Nach zuletzt starken Auftritten in Fuji und Schanghai zeigte sich Toyota in Bahrain nicht mehr ganz so stark. Mit dem vierten Rang holte Sébastien Buemi mit Anthony Davidson und Kazuki Nakajima das Optimum heraus. Der «Formel-E-Überflieger» blickt somit auf eine durchzogene Langstrecken-Saison zurück. Dass Toyota und Buemi aber das Potenzial haben, ganz vorne mitzufahren, haben sie verschiedentlich angedeutet, in erster Linie natürlich in Le Mans. «Wir wären gerne noch mal auf dem Podium gestanden, doch wir hatten diesmal nicht die Pace dazu. Auch hatten wir gehofft, dass unser Schwesterauto noch mal in den Kampf um die Fahrer-WM eingreifen kann, doch leider klappte es nicht», so Buemi. Das Schwesterauto kam «nur» auf den fünften Rang.
Marcel Fässler schliesst das WEC-Kapitel mit Podestplatz 26 ab
Marcel Fässler, André Lotterer und Benoît Tréluyer werden wohl auch nach dem Ausstieg von Audi noch für eine Weile das erfolgreichste Langstrecken-Trio der Geschichte bleiben. In Bahrain reichte es dem Trio hinter dem Schwesterauto für den zweiten Rang. Ihre eindrückliche Bilanz: 41 WM-Rennen, 26 Podestplätze, 10 Siege. «Das war zum Abschluss noch einmal ein Superrennen. Es hat sehr viel Spass gemacht. Ich habe jede Runde genossen. Bis auf einen etwas missglückten Boxenstopp lief alles ausgezeichnet», so Fässler. Dieser Doppelsieg sei ein sehr versöhnlicher Abschluss für Audi. «Auch wenn wir mit unserem Auto natürlich gerne ganz oben gestanden wären, bin ich wirklich happy mit diesem Ergebnis.»
Er sei dankbar, so der dreifache Le Mans-Sieger Marcel Fässler, dass er die letzten sieben Jahre Teil dieser Audi-Geschichte sein durfte. «Am meisten werde ich bestimmt die vielen tollen Leute vermissen. Auch das Verhältnis zu meinen Teamkollegen ist ein ganz spezielles. Der Moment, als ich über die Ziellinie gefahren bin, war sehr speziell. Ich habe die letzten Runden aber wirklich noch mal geniessen können, das Auto lief super.»
Nach der letzten Zielüberquerung hat sich Marcel Fässler beim Team bedankt. «Wirklich realisieren, dass diese Ära nun vorbei ist, werden wir wohl erst, wenn wir uns am Flughafen voneinander verabschieden.» Was seine Zukunft angeht, kann Marcel Fässler, der ja noch einen Vertrag bei Audi für die nächste Saison besitzt, noch nichts Konkretes sagen. «Ich werde aber sicher weiter Rennen fahren. Es ist noch zu früh, um den Helm an den Nagel zu hängen.»