Weniger Rennen, weniger Teilnehmer und weniger Geld; verliert der Schweizer Rallyesport seinen Glanz? Nach mehreren Jahren mit immer weniger Prüfungen auf dem Programm, teils zu Hause, teils im Ausland, stehen die Zeichen 2016 auf Erneuerung. Die Auffrischung kommt dank zweier ausergewöhnlicher Organisationstalente, Daniel Perroud und Bernhard Brägger. Während der erste nun doch bis 2017 warten muss, bis er das waadtländer Rallye Saint-Cergue neu lancieren kann, so kann sein deutschweizer Kollege höchstwahrscheinlich bereits diesen September nach 33 Jahren Pause die Wiederbelebung des Rallye Gotthard feiern. Das ist um so erfreulicher, als die historische Veranstaltung mit Etappen in drei Kantonen auch nach langem wieder eine Rallye auf deutschschweizer Boden zurück bringt. Die Freunde des Sports können die Korken knallen lassen. Die Herausforderungen, ein Rennen aus der Taufe zu heben, sind enorm. Die Organisatoren müssen das Interesse der Anwohner wecken, Fahrer und Sponsoren anlocken und ein kompliziertes Budget jonglieren. Die Organisatoren des Rallye du Valais, des Critérium Jurassien und des Rallye du Chablais, Christian Dubuis, Gérald Frésard und Eric Jordan, können davon ein Lied singen. Wir lassen zudem Schweizer Rallyemeister Grégoire Hotz und Junioren-Meister Cédric Althaus zum Wort kommen. Sie äussern sich zum Stand der Rallyemeisterschaft noch vor dem Beginn der neuen, garantiert aufregenden Saison 2016.
CHRISTIAN DUBUIS «ES GEHT IMMER UM DAS GELD»
Ich bin überzeugt, dass die beiden zusätzlichen Rallye-Rennen viel Positives bringen werden. Aber ich zweifle daran, ob das genügt, um das Interesse der Öffentlichkeit für den Sport zu wecken.» Christian Dubuis, Präsident des Organisationskomitees des einzigen international beachteten Schweizer Rennens, des Rallye du Valais, will die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen.
Nur für die Fahrer einfacher
«Es muss gesagt sein, dass wir hier nicht von zwei zusätzlichen Rennen im Kalender sprechen. Sie ersetzen zwei ausländische Veranstaltungen, das Rallye Suran in Frankreich und Cuneesi in Italien. Dann stelle ich fest, dass es immer weniger Wettbewerber gibt, was natürlich auf die dauernd steigenden Kosten für die Teilnahme zurückzuführen ist. Die Rennwagen werden immer teurer, aber auch die Einsatz- und andere Kosten steigen stetig. Für die jungen Piloten ist die Lage etwas besser als früher, aber das geht auf Kosten der Organisationsstruktur. Die Direktoren der beiden neuen Rennen am Gotthard – Bernhard Brägger – und in Saint-Cergue – Daniel Perroud – gehören zur alten Garde, und solche Talente sind genauso schwer zu finden wie etwa Sponsoren und Gönner für die Fahrer. Immerhin braucht es die Gönner nicht mehr so dringlich, denn die Rennveranstalter sorgen für die Verpflegung, die Unterkünfte und sogar für die Rückerstattung von persönlichen Ausgaben. Diese Extraausgaben verteuern selbstverständlich die Organisation eines Rennens.»
Der Gotthard ist nicht Zürich
Die nächste Herausforderung betrifft das Einholen der Genehmigungen bei den kantonalen und Gemeinde-Verwaltungen. «Diese Entscheidungen sind in jeder Gemeinde und in jedem Kanton verschieden», erklärt Christian Dubuis. «Für das Rallye International du Valais haben der Renndirektor Eric Rauch und ich zwar keine Probleme, und das gilt auch für das Critérium Jurassien. Das Chablais fährt im Wallis und im Waadtland, und die Waadtländer Umweltbehörden sind nicht gleich entgegenkommend. Das muss Daniel Perroud am Saint-Cergue auch gerade erfahren. Das Gotthard-Rennen führt gar durch drei Kantone, und zwar Uri, Graubünden und Tessin. Das war schon eine tolle Leistung, dass alle ihre Zustimmung gaben. Aber der Gotthard ist nicht Zürich, er ist nur ein Hindernis für die Zürcher auf dem Weg in den Süden … Und das stellt auch das Problem für das Mini-Rennen im Tessin dar: Der Kanton ist auf die Deutschschweizer angewiesen, und die fahren hin, um Ruhe zu finden!»
Prämien statt Pokale
Das berühmte Rallye International du Valais gilt als der Höhepunkt der Schweizer Autorennsportsaison, aber es wird nicht mehr für die Europameisterschaft zählen, und zwar vor allem aus Kostengründen. «Ich bin nicht mehr bereit, die verlangten 300 000 Euro an Eurosport zu zahlen (Red.: die Organisation tritt mit dem Segen der FIA gleichzeitig als Promoter wie auch als Fernsehvertreiber des Rennens auf), um dafür im Gegenzug so gut wie nichts zu bekommen», erläutert Christian Dubuis seine Haltung. «Sie haben uns viele Versprechen gemacht, aber es hat uns nichts eingebracht, und zwar mehr als einmal. Für 2016 gehen wir als Unabhängige vor, mit unserer eigenen Fernsehproduktion und dem Vertrieb, der für unsere Partner relevant ist. Auf jeden Fall genügt es nicht mehr, den Teams schöne Pokale zu versprechen, wir müssen ihnen ordentliche Preisprämien bieten können. Es geht immer wieder und immer mehr um das Geld.»
Alles nur heisse Luft
Die Lösung der verzwickten Lage kommt nach der Meinung von Christian Dubuis bestimmt nicht von der FIA, der er gerne einige Ratschläge vorlegen würde: «Ich glaube, dass die FIA auf dem Holzweg ist. Was für ein Blödsinn, immer mehr abgelegene Regionen in die Europameisterschaft einzubringen. Das verlängert die Saison und bringt enorme zusätzliche Transportkosten. Allein für ein Rallye wie das der Azoren sind die Autos für eineinhalb Monate blockiert, denn die Teams müssen mit dem Schifftransport auskommen. Eine echte Europameisterschaft müsste sich auf die Kernländer konzentrieren, auf Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, mit 8 oder 10 traditionsreichen Veranstaltungen wie den Rallyes Antibes, San Remo und ähnlichen. Jedes Team würde 50 000 Euro in eine gemeinsame Kasse einzahlen; eine Hälfte würde eine hochwertige Fernsehübertragung garantieren, die andere Hälfte kann schöne Siegerprämien stellen. So eine Meisterschaft wäre ein Hit. Aber die Verantwortlichen hocken in ihren Büros und unternehmen nichts. Sie reden und reden, aber das ist alles nur heisse Luft. Und wenn sie Entscheide treffen, dann geht das voll daneben.» Was für eine Ironie, dass für einmal in der Schweiz alles besser klappt.
ERIC JORDAN «AUF DEM BODEN BLEIBEN»
Eric Jordan ist Präsident der Vereinigung der Schweizer-Rallye-Organisatoren AOR und deren Vertreter beim Rallye-Komitee der Nationalen Sportkommission des ACS sowie der Organisator des Rallye du Chablais in Personalunion. Damit ist er gleich doppelt qualifiziert, um sich zum Rallyesport zu äussern. «Zunächst freuen wir uns bei den Rallye-Organisatoren, wieder ein Rennen in der Deutschschweiz zu sehen, wie wir uns das schon lange gewünscht haben. Das ist wichtig für das Ansehen des Rallyesports und für die Zukunft in diesem Landesteil, der sich traditionell immer eher den Bergrennen zugewandt hatte.»
Die Teams nicht überlasten
Für Eric Jordan drängte sich ein weiteres einheimisches Rennen auf. «Für die Meisterschaft ist es von Vorteil, dass wir auf Schweizer Boden bleiben können. Die ausländischen Rennen sind natürlich verführerisch für uns, mit starker Konkurrenz und schönen Autos. Aber es gilt auch, den Meisterschaftskalender ausgeglichen zu halten und auf dem Boden der Realitäten zu bleiben. In der Schweiz sind alle Fahrer Amateure. Es ist wichtig, ihnen zwischen zwei Läufen mindestens einen Monat Zeit zu lassen, sich zu erholen, ihren Wagen vorzubereiten, Geldgeber zu finden und dergleichen mehr. Was nützt uns eine Saison mit 8 oder 9 Rallyes, wenn sich kaum jemand die Teilnahme leisten kann? Wenn wir möglichst viele Teilnehmer zum Titelkampf zusammenbringen wollen, dann darf man die Teams nicht überlasten. Wir müssen uns bewusst sein, dass es in der Schweiz weniger Rennlizenzierte gibt als etwa bei einem regionalen Rallye in Frankreich. Es ist eine elitäre Sportart.»
Steiniger Weg
Eric Jordan weiss von den Schwierigkeiten für die Veranstalter. «Es ist eine Riesenarbeit, ein Rallye zu organisieren. Das gilt noch stärker für die beiden neuen Rennen am Gotthard und in Saint-Cergue, die quasi bei null anfangen mussten, so sehr haben sich die Bedingungen seit den letzten Austragungen geändert (Red.: 1983 am Gotthard und 2005 für das Ronde du Marchairuz, das auf das Rallye du Pays de Vaud folgte, das seinerseits das Originalrennen Saint-Cergue ersetzt hatte). Die Strassen, die einst durch verlassene Gegenden führten, sind heute mit Ferienhäusern und Geschäften gespickt. Auf dem Papier sieht das vielleicht einfach aus, aber es bleibt ein steiniger Weg, alle Genehmigungen einzuholen, und alles kann sich in letzter Minute ändern. Aus all diesen Gründen gab das Rallye-Komitee den Organisatoren bis zum 31. Januar Zeit, um alle Details für die Rennveranstaltungen festzulegen. Der erste Teil der Meisterschaft ist gesichert, mit den Rallyes Pays du Gier (Frankreich), dem Critérium Jurassien, dem Chablais und dem Rallye Ticino, aber danach müssen wir flexibel bleiben für den Fall, dass eines der verbleibenden zwei Rennen nicht stattfinden könnte.»
Willen und Leidenschaft
Es gilt also, vorsichtig zu handeln, was auch die Entscheidung erklärt, die Premiere des Saint-Cergue auf 2017 zu verschieben. Was hingegen die Beliebtheit des Rallyesports betrifft, glaubt Eric Jordan an eine steigende Kurve. «Ich stütze mich nicht gern auf Statistiken ab, denn die sagen nie die ganze Wahrheit. Die Bedingungen können sich von einem Jahr auf das nächste völlig ändern. Aber was das Rallye du Chablais betrifft, das wir mit unserem Team seit 13 Jahren organisieren, da sehen wir immer mehr Zuschauer. Und das geht nicht nur auf das Konto der vereinzelten Auftritte von Sébastien Loeb. Wir stecken auch viel Energie in die Kommunikation, und ich freue mich darüber, dass wir ausgezeichnete Beziehungen mit den Behörden in beiden Kantonen pflegen. Weil wir keine Rundstreckenrennen haben in der Schweiz, bieten sich die Rallyes als gute Alternative an.» Das sind sie aber nicht, was die Profitlage anbelangt. «In dieser Hinsicht sind wir voll von den einheimischen Unternehmen abhängig. Denken Sie sich zum Beispiel einmal Christian Constantin vom FC Sion weg, was bleibt da noch? Das ist bei den Schweizer Rallyes dasselbe; einige wenige Leute tragen die ganze Last. Wir engagieren uns alle nach der Arbeit in unserer Freizeit. Man muss unheimlich viele Leute kontaktieren, Beziehungen pflegen, Probleme lösen, verwaltungstechnische, finanzielle und technische Schwierigkeiten überwinden, und dann fällt einem natürlich noch all die Verantwortung zu. Man muss schon angefressen und leidenschaftlich sein. Ein Ständerat, der zum Rallye kam, hat mir einmal gesagt: Wenn du ein Rallye organisieren kannst, dann kannst du jede beliebige Veranstaltung organisieren.»
Vorbildliche Kontinuität
Damit wird auch leicht verständlich, dass viele potenzielle Organisatoren aufgeben. Daniel Perroud ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme in dem Sinn, als er ein geborener Macher ist. Das Supercross von Genf/Palexpo, die Tour de Romandie und viele andere Anlässe gehen auf sein Konto, und alles hat mit den Rallyes angefangen. Aber wie soll es in Zukunft weitergehen? Klar, dass sich der Charakter und der Arbeitsgeist des Chefs auf sein Team übertragen, und entsprechend effizient ist die Organisation. «Für das Chablais arbeitet unser Führungsteam von 10 Leuten seit 13 Jahren zusammen», verkündet denn Eric Jordan auch mit sichtlichem Stolz.
Mario Luini, Gilles Rossel, Gérard Vallat