Extreme Bellezza

Der wunderbare Alfa Romeo 33 Stradale ist weit mehr als eine Erinnerung an die Vergangenheit. Er markiert den Anfang einer neuen Fuoriserie-Strategie innerhalb des Stellantis-Konzerns.

Roberto Giolito, einst Schöpfer des Cinquecento und des verkannten Multipla, ist heute oberster Hüter der Schätze der Vergangenheit der italienischen Marken des Stellantis-Konzerns. Unter seiner Obhut befindet sich auch der Alfa Romeo Tipo 33 Stradale aus dem Jahr 1967, der im Centro Storico von Alfa Romeo steht und sicher eines der wertvollsten Ausstellungsstücke ist. Für so manchen Betrachter ist der von Franco Scaglione gezeichnete Tipo 33 Stradale der schönste Sportwagen der Welt, selbstverständlich hat auch Giolito eine ganz besondere Beziehung zu diesem Fahrzeug, von dem nur gerade 18 Chassis entstanden und das Ende der 1960er-Jahre das teuerste italienische Automobil überhaupt war.

Ganz neue Möglichkeiten

Jetzt, wo wir vor der Neuinterpretation dieses Kunstwerks auf Rädern stehen, stellen wir Roberto Giolito die Gretchenfrage: Was hält er von diesem Sportwagen? Es folgt der übliche Schwall italienischer Überschwänglichkeit, Giolito hat als braver Stellantis-Mitarbeiter die PR-Mitteilung natürlich auch intus, er spricht von der Chance, die dieses Projekt Stellantis biete, von der ausgezeichneten Zusammenarbeit der verschiedenen Abteilungen und den Kunden, die ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen konnten. Das erzählte kurz zuvor Alfa-Chef Jean-Philippe Imparato auch schon, also braucht es eine Unterbrechung, wir werden deutlicher: Was würde denn Franco Scaglione von der neuen Interpretation seines Meisterwerkes halten?

Giolito wird konkreter: «Hätte Scaglione damals die Möglichkeiten gehabt, die wir heute haben, dann hätte sein Design wohl jenem unseres Fahrzeugs sehr ähnlich gesehen. Aber er hatte damals keinen Windkanal, Abtrieb war noch nicht so ein Thema, Frischluftzufuhr für den Motor auch nicht, Sicherheit sowieso nicht. Und Funktionalität war ein Fremdwort. Heute müssen wir viel mehr Komponenten berücksichtigen, Scaglione arbeitete mehr nach seinem Bauchgefühl, mit Emotionen.»

Input von aussen

Vor noch nicht einmal zwei Jahren lud Alfa Romeo einige gute Kundinnen und bekannte Sammler nach Monza (I) ein, präsentierte ihnen das Projekt 33 Stradale – und bat um Mitarbeit. Die Idee war, die genau 33 potenziellen (und finanziell potenten) Käufer von Anfang an in die Entwicklung des Fahrzeugs einzubinden. Die Basis war vorgegeben, das neue Fahrzeug sollte technisch auf der Plattform des Maserati MC20 stehen, also sowohl als Benziner wie auch als E-Sportwagen erhältlich sein, doch sonst war man offen für sämtliche Vorschläge. Man gründete die Bottega, eine Art Klub, dessen Mitglieder sich aus diesen guten Kunden, aber natürich auch aus Ingenieuren und Designern von Alfa, Interieur- und Materialspezialisten aus ganz Italien und sicher ein paar Führungskräften von Stellantis zusammensetzte.

Giolito, der mit seinem Ausstellungsstück ebenfalls an einigen dieser Bottega-Treffen dabei war, beschreibt die Stimmung dort als sehr «kreativ» und «effizient». Auch Alfa-Chef Imparato sagt, der Input sei extrem «zielführend» gewesen. Was genau die Käufer alles an Ideen eingebracht haben, wird nicht kommuniziert, aber man sieht schon schöne Details am Alfa Romeo 33 Stradale genannten Fahrzeug, die man wohl diesem Input von aussen zurechnen darf. Das gilt ganz besonders für das Innenleben des Alfa Romeo, das in zwei Varianten daherkommt, Tributo eher klassisch, Alfa Corse sehr sportlich.

Benziner oder Stromer

Technisch, es wurde schon erwähnt, basiert der 33 Stradale auf dem Maserati MC20. Es wird ihn also sowohl mit dem famosen Dreiliter-V6, genannt Nettuno, wie auch in ­einer rein elektrischen Version geben, bei Maserati als Folgore bezeichnet. Hinter vorgehaltener Hand spricht Alfa Romeo davon, dass das Nettuno-Projekt ohnehin schon bei Alfa Romeo seinen Anfang genommen habe, dass sich jetzt also der Kreis wieder schliesse. Wie auch immer, beim Benziner sind es wohl 630 PS, die über ein Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe von ZF an die Hinterräder geschickt werden, beim Stromer kommen mit ausgeklügeltem Torque-Vectoring über 750 PS an alle Räder. Genaue Zahlen will Alfa Romeo nicht nennen, doch die grosse Mehrheit der 33 Kunden setzt auf den Benziner, der weniger als 1500 Kilogramm wiegen soll, im Gegensatz zum über zwei Tonnen schweren Stromer. Beide Versionen sollen in weniger als drei Sekunden von 0 auf 100 km/h rennen, für die Nettuno-Version verspricht Alfa Romeo eine Höchstgeschwindigkeit von 333 km/h.

Selbstverständlich wurde der Unterbau des Maserati MC20 nicht einfach so übernommen, selbstverständlich wurden so ziemlich alle Komponenten angefasst, neu kalibriert, das Fahrwerk, die Bremsen. Der Alfa ist geringfügig kürzer (4.64 anstatt 4.67 m), genau gleich breit (1.97 m), etwas höher (1.23 anstatt 1.22 m), der Radstand bleibt mit 2.7 Metern identisch. Gebaut werden die Fahrzeuge nach den individuellen Vorstellungen ihrer zukünftigen Besitzer übrigens bei der vor ein paar Jahren wieder auferstandenen Carrozzeria Touring Superleggera. Und für die Abstimmung des Fahrwerks zeichnet Formel-1-Pilot Valtteri Bottas verantwortlich.

Kein Retroauto

Der 33 Stradale soll nicht das letzte Gesamtwerk sein, das innerhalb des Stellantis-Konzerns fuoriserie, also ausserhalb der Serienproduktion, entstehen wird. Giolito verweist dabei auf seinen Abarth 1000 SP, der 2021 angeschoben wurde und von dem anscheinend fünf Exemplare entstanden. Und er spricht gerne von der guten Zusammenarbeit innerhalb des Konzerns, für die jetzt mit dem Alfa Romeo 33 Stradale die Grundlage für weitere Projekte geschaffen wurde.

Fuoriserie ist übrigens nicht mit dem Begriff Retro gleichzusetzen, wie Roberto Giolito unterstreicht: «Der Tipo 33 Stradale von 1967 trug ein sehr organisches Design, alle Formen standen in einer logischen Folge, die Rundungen führten zu einer wohl einmaligen Harmonie des Gesamtfahrzeugs. Dass der Tipo 33 als absolutes Meisterwerk gilt, ist verständlich, die Mischung zwischen kindlicher Fröhlichkeit und extremer Aggressivität lässt niemanden unberührt. Heute kann man das so nicht mehr machen, der Heckdiffusor zum Beispiel ist unabdingbar, sonst könnte das Fahrzeug seine Leistung gar nicht auf den Boden bringen. Aber ich glaube, wir konnten viele schöne Reminiszenzen einbringen, sie neu, sehr modern interpretieren, zum Beispiel die Lampen. Der neue
33 Stradale soll ja kein Retroauto sein, sondern ein extremer Sportwagen mit extremen Fahrleistungen.»

Drei Exemplare für die Schweiz

In die Schweiz kommen mindestens drei dieser Alfa Romeo 33 Stradale. Über Geld spricht man dabei nicht, aber die Vermutung, dass der Preis auch etwas mit einer 3 zu tun hat, ist wohl kaum von der Hand zu weisen. Es ist zu hoffen, dass man sie auch dann und wann auf der Strasse sieht, es wäre schade, wenn sie hinter die verschlossenen Türen von Sammlungen verschwänden. Auch für Alfa Romeo wäre es wichtig, wenn man nach dem zwischen 2007 und 2010 gebauten 8C Competizione wieder einen feinen, sichtbaren Werbeträger für das Cuore sportivo hätte. 

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