Gamechanger

Mit der Studie Oli will Citroën zeigen, wie ­erschwingliche, umweltfreundliche und vernünftige Elektro­mobilität aussehen könnte. Wir gingen mit dem Oli auf Tuchfühlung.

Von wegen mit dem Einzug des Elektromotors kehre endlich Vernunft ein in der PS-Branche! Der Wandel weg vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität eröffnet den Autoherstellern im Gegenteil ganz neue Möglichkeiten, von denen auch die kühnsten Leistungsfanatiker früher nicht zu träumen wagten. Das Resultat sind immer leistungsstärkere Autos mit immer grösseren Batterien, die dadurch immer noch schwerer und noch teurer werden. Der Umweltgedanke bleibt dabei auf der Strecke, was Brancheninsider indes keineswegs verwundert.

Doch es geht auch anders. Das zumindest meint Citroën. Die Franzosen wollen mit ihrer avantgardistischen Studie namens Oli zeigen, wie ein möglichst vernünftiges, pragmatisches und umweltfreundliches Elektroauto aussehen könnte. «Wir sind der Ansicht, dass Elektrifizierung nicht teuer sein darf und dass umweltbewusstes Verhalten nicht durch Einschränkung unserer Mobilität oder durch weniger attraktive Fahrzeuge bestraft werden soll», erklärt Markenchef Vincent Cobée. Man müsse die Trends umkehren und die Fahrzeuge leichter und preiswerter machen, denn «andernfalls werden sich Familien die Freiheit der Mobilität nicht mehr leisten können, wenn vollelektrische Fahrzeuge die einzige Option für sie werden».

Rollende Ideenplattform

Auf den ersten Blick irritieren diese Aussagen, denn der Oli sieht weder vernünftig, sparsam noch umweltfreundlich aus. Im Gegenteil: Mit seiner wuchtigen, martialischen Formgebung mit senkrechter Windschutzscheibe, bulliger Front und riesigen Radhäusern erinnert er eher an ein Militärfahrzeug. Der Franzose würde mit seiner futuristischen Gestaltung in einen Science-Fiction-Streifen mit Endzeitszenario passen. Designchef Pierre Leclercq sieht das anders. Für ihn ist klar, dass das Konzeptauto die «Schlichtheit und Genialität von Familien» repräsentiere, die keinen Wert auf automobilen Status und Klischees legen.

Das Design ist letztlich gar nicht so entscheidend bei dieser Studie. Der Oli ist als Ideenplattform gedacht, und einige dieser Ideen sind tatsächlich spannend. So bestehen etwa die Motorhaube, das Dach und die kleine offene Ladefläche im Heck aus Wellkarton. Wenigstens salopp gesagt, denn das gemeinsam mit BASF entwickelte Material ist schon etwas komplizierter aufgebaut: Der Karton wird zu einer wabenförmigen Struktur geformt und zwischen Glasfaser-Verstärkungsplatten geklemmt, dann erfolgt eine Beschichtung mit einem Polyurethanharz namens Elastoflex, das wiederum mit einer Schutzschicht aus strukturiertem, widerstandsfähigen Elastocoat überzogen ist, welches oft für Parkdecks oder Laderampen verwendet wird. Das Resultat sind ein leichtes, steifes und sehr tragfähiges Material aus einem nachhaltigen Rohstoff sowie robuste Karosserieteile, die im Vergleich zu einer entsprechenden Stahlvariante rund 50 Prozent leichter sind.

Ein weiteres innovatives Detail ist die senkrecht stehende Windschutzscheibe. Citroën hat sie vertikal gestaltet, weil so die geringste Menge an Glas benötigt wird, was das Gewicht reduziert. Ausserdem setze die kleinere Scheibe die Insassen weniger der Sonneneinstrahlung aus, meint der Hersteller und schätzt, dass dadurch der Strombedarf der Klimaanlage um bis zu 17 Prozent gesenkt werden kann. Aerodynamisch ist diese steile Scheibe ein Nachteil, doch Pierre Sabas, der den Bereich Advanced Design und Konzeptfahrzeuge leitet, wischt das gleich vom Tisch: «Man könnte schon so argumentieren, aber wir erwarten nicht, dass die Menschen diese Art von Fahrzeug mit 200 km/h fahren.» Das ginge beim Oli gar nicht, denn weil der Hersteller den Einsatzort in urbanen und vorstädtischen Gebieten sieht, hat er die Höchstgeschwindigkeit auf 110 km/h begrenzt.» Um den Luftwiderstand trotzdem gering zu halten, wird ­eine Art Luftvorhang vor der Windschutzscheibe erzeugt, die den Luftstrom von der Motorhaube über das flache Dach lenkt.

Reduziert auf das Nötige

Im Innenraum wird das Konzept des Oli, nur das zu bieten, was wirklich nötig ist, am ehesten sichtbar. «Wir wollten nur die Menge an Materialien verwenden, die wir wirklich brauchen. Deshalb haben wir kompromisslos das Ziel verfolgt, die richtigen Ressourcen dort einzusetzen, wo sie benötigt werden, und gleichzeitig die Auswirkungen des Einsatzes dieser Ressourcen zu begrenzen», sagt Strategiechefin Laurence Hansen. Im Cockpit gibt es lediglich ein Lenkrad, eine Smartphone-Halterung sowie fünf Kippschalter für die Klimaanlage. Dahinter zeigt ein schmaler Displaystreifen die wichtigsten Informationen an – sämtliche Infotainmentfunktionen werden via Smartphone genutzt. Die Sitze aus einer Netzstruktur kommen aus dem ­3-D-­Printer und bestehen zu 100 Prozent aus recycelbarem thermoplastischem Polyurethan (TPU). Wie schon beim Elektrowinzling Ami sind die vorderen Türen auf beiden Seiten identisch, werden aber unterschiedlich montiert. Ausserdem sind sie auch weniger komplex. Da weder Lautsprecher, Schallschutzmaterial oder elektrische Verkabelung verbaut sind, können pro Tür etwa 1.7 Kilogramm Gewicht eingespart werden. Insgesamt werden so im Vergleich zu einem herkömmlichen Familienkombi nur halb so viele Bauteile benötigt und das Gewicht pro Tür um rund 20 Prozent reduziert. Die vorderen Fenster wölben sich boomerangförmig nach aussen, um sie zu öffnen, kann wie im Ami ein Teil der Scheibe manuell hochgeklappt werden. Die sich gegenläufig öffnenden Fondtüren sind hingegen mit einer steilen, geraden Verglasung ausgestattet. Durch diese unterschiedliche Formgebung der vorderen und hinteren Fenster konnte ein passiver Lufteinlass zur Belüftung der Fondplätze eingebaut werden.

Inspiration für zukünftige Fahrzeuge

Auch bei den Rädern haben die Franzosen Erfindergeist bewiesen. «Angesichts des Drucks, die Umweltauswirkungen von Reifen zu reduzieren, und wegen der steigenden Kosten für den Austausch oder die Reparatur beschädigter Felgen haben wir uns entschieden, nachhaltigere und haltbarere Optionen für beide zu erforschen», erklärt Pierre Sabas. Da Felgen aus Aluminium in der Herstellung energieintensiv und teuer sind und Stahlräder zu viel wiegen, wird auf eine Mischung aus beiden Materialien gesetzt. «Wir schrauben ­einen leichten Aluminium-Teilabdeckring auf eine Stahlnabe, was Gewicht und Kosten spart», führt Sabas aus. Die Pneus wurden gemeinsam mit Good­year entwickelt. Dabei kommen nachhaltige oder recycelte Materialien wie Sonnenblumenöl, Reishülsenasche, Kiefernharze und Naturkautschuk zum Einsatz, um den synthetischen, erdölbasierten Gummi zu ersetzen.

Der Antrieb ist bei einem solchen Experimentalfahrzeug kaum von Bedeutung, deshalb spricht Citroën auch nicht über Leistung oder Beschleunigung. Auf einer kurzen Probefahrt war das Mitschwimmen im Verkehr problemlos möglich, mehr lässt sich dazu nicht sagen. Klar ist: Zum Einsatz kommt eine Batterie mit einer Kapazität von 40 kWh, die eine Reichweite von 400 Kilometern ermöglichen und sich in 23 Minuten von 20 auf 80 Prozent aufladen lassen soll. Viel lieber betont der Hersteller die Vehicle-to-Load-Fähigkeit (V2L) des Oli, der mit einer Steckdosenleistung von 3.6 kW theoretisch ein Drei-Kilowatt-Elektrogerät rund zwölf Stunden lang mit Strom versorgen könne. «Das ist genial, wenn man schwimmen war und seine Haare trocknen will», meint Anne Laliron begeistert, die bei Citroën den Bereich Advanced Products leitet.

Wie bei jeder Studie stellt sich auch beim Oli die Frage, was es in die Serie schaffen wird. Der Hersteller sagt, dass viele der gezeigten Ideen in die zukünftigen elektrischen Familienfahrzeuge von Citroën einflössen, ohne aber konkret zu werden. Für Laurence Hansen soll der Oli vor allem zum Nachdenken anregen. «Er ist eine Arbeitsplattform, um geniale Ideen zu erforschen, die für eine zukünftige Produktion realistisch sind», sagt die Leiterin des Bereichs Produkt und Strategie. «Diese werden nicht alle verwirklicht werden, aber das hohe Mass an Innovation, das hier gezeigt wird, inspiriert zukünftige Fahrzeuge von Citroën.» 

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