Kronjuwel

Toyota war 1973 im Angriffsmodus. Mit dem Crown nahmen die Japaner die gehobene europäische Mittelklasse ins Visier.

Welches Auto konnte 1973 schon von sich behaupten, serienmässig über einen Kühlschrank im Kofferraum zu verfügen? Beim Toyota Crown war in der Tat eine gekühlte Box unter dem Kofferraumdeckel zu finden. Selbstverständlich gab’s die dazu nötige Klimaanlage ebenso serienmässig. Die stand bei seinen Konkurrenten nicht einmal auf der Optionenliste. Den Crown lieferte der Schweizer Importeur Emil Frey in drei Karosserievarianten: als Limousine, riesigen Kombi oder als Coupé wie dieses Exemplar. Dieses war 1973 das teuerste Angebot von Toyota, 20 900 Franken kostete der Wagen mit ­einem 2.6-Liter-Reihensechszylinder-OHC-Motor und 130 PS. Der Antrieb lief sehr kultiviert, umso mehr, nachdem Toyota ihm für das Modelljahr 1973 ­einen besser ausgewuchteten Kurbeltrieb verpasst hatte. Damit konnte der Toyota auch bestens mit seinen direkten Konkurrenten mithalten. So lagen der Ford Granada 2.6 wie der Opel Commodore GS mit 2.5-Liter-Vergasermotor bei Preis und Leistungswerten etwa gleichauf. Aber eben, die Klimaanlage gab es weder hier noch dort, und auch elektrische Scheibenheber fehlten bei beiden.  

Womit sich die Käufer allerdings schwer taten, war das Design des Crown, ein typisches Beispiel des Japan-Barocks. Der Crown spielt unverfroren mit Elementen und Versatzstücken von Amerikanern wie Europäern – ganz hart an der Schmerzgrenze. Als Beispiel seien die irrwitzigen Stossstangenhörner angeführt, die unter der heute weder für Geld noch gute Worte zu findenden Frontmaske sitzen. Dort nützen sie, weil sie nicht einmal über das Wagenende hinausragen, wenig. Andere Stilelemente wie die Radwulste wirken etwas zu dick aufgetragen, während die Räder recht verloren in ihren grossen Radhäusern stehen. Die pfostenlosen Seitenfenster, die seitlichen Kiemen oder die aufliegenden, getrennten Positionsleuchten sind hingegen richtig sexy – heute erst recht dank der wiedergefundenen Faszination an unverblümten Geschmacklosigkeiten der 1970er-Jahre.

Lange Standzeit

Es ist so, wie man es bei einem 50 Jahre alten Japaner befürchtet: Ersatzteile sind heute für den Toyota kaum mehr zu finden. Aber auch die Technik des Crown ist nicht gar so banal, wie es beim Auftauchen der Japaner hierzulande manche glauben wollten. Dennis Betschart, der diesem Auto Mitte August zum Veteranenstatus verholfen hat, nennt etwa die servounterstützte Kugelumlauflenkung als recht anspruchsvoll zu revidieren. Diese Arbeit hat er allerdings schon vor einigen Jahren ausgeführt, noch als Lehrling in jener Garage, zu der vor 20 Jahren ein Kunde diesen Crown brachte mit dem Auftrag, ihn MFK-klar zu machen. Zeitvorgaben setzte er allerdings keine. So schleppten sich die Arbeiten unglaublich langsam dahin, in gewissen Momenten war nicht einmal mehr klar, ob es den Kunden überhaupt noch gab und der Wagen nicht einfach seinem Schicksal überlassen worden war. Doch der Besitzer bestätigte nach ­einem Rückruf seine ungebrochene Absicht, dereinst wieder mit dem 50-jährigen Toyota fahren zu wollen, nachdem man dem Crown durch den laufenden Generationenwechsel der Mechaniker und den daraus folgenden Know-how-Verlust zunehmend ratlos gegenübergestanden hatte. 

Jetzt aber, mithilfe des ehemaligen Schützlings Betschart, der in Sevelen SG mittlerweile seine eigene Old- und Youngtimer-Garage betreibt, steht der Crown am Ziel: «Der Vergaser war völlig zu, die Lenkung aber noch so präzise und spielfrei, wie wir sie damals revidierten. Bei diesem Auto hat man gemerkt, dass sich in einer modernen Marken­vertretung kaum jemand die Zeit nehmen kann, sich in stundenlanger Tüftelei um die Eigenheiten dieser alten Autos zu kümmern. Ich aber bin begeistert, dass mich mein ehemaliger Lehrmeister beauftragt hat, den Toyota endlich fertig zu machen. Der Crown hat mich ja die ganze Lehrzeit begleitet und von Anfang an fasziniert!»

Japanisch sorglos

Der Sechszylinder startet auf Schlüsseldreh und fällt rasch in einen stabilen Leerlauf. Im aussen wie innen blauen Crown sitzt es sich auf den knuffigen, jetzt mit Leder bezogenen Sitzen – war das ursprünglich Vinyl? – sehr angenehm. Der Schaltknauf ist recht gross, der Schalthebel nach heutigen Massstäben ziemlich lang und die Kugel an dessen Ende trotz schöner Maserung aus Kunststoff. Am Armaturenbrett gibt es einen einzigen Schalter für die Klimaanlage – «Ein» oder «Aus». Dafür blinken einem Fensterkurbeln von den Türpanelen entgegen, also doch keine Elektrounterstützung? Doch, aber die Japaner gingen auf Nummer sicher und haben beides vorgesehen. Erfreulich sind auch die grossen Kopfstützen, hingegen sparten sich die Japaner die Automatikgurte, die Gurte hängen als elend lange Schlaufen von ihren Haken am oberen Rand der Fensteröffnung. Womöglich lassen sie sich so für die Rücksitzpassagiere beim Einsteigen leichter zur Seite zu schieben. Festgezurrt fahren wir los und geniessen die Präzision der mit Längs und Querlenkern sauber geführten starren Hinterachse. Das fühlt sich kaum weniger präzise an als die Schräglenkerkonstruk­tionen mancher Europäer Anfang der 1970er-Jahre. Für einen direkten Vergleich passt ein Volvo 264 ganz gut – was man allerdings nicht mit dessen Verarbeitungsqualität verwechseln darf. In dieser Disziplin schlägt sich der Toyota ganz passabel, das Thema Rost war aber auch bei den Japanern der frühen Stunde imminent vorhanden und mit ein Grund, weshalb sie heute so selten geworden sind. 

Wer die nicht vorhandenen Servicenetze rund um die Schweiz nicht fürchtete – in Frankreich oder Italien waren die Japaner mit Importbeschränkungen belegt und spielten kaum eine Rolle – und sich mit dem Toyota auf grosse Fahrt wagte, dem diente der Crown als hervorragendes Langstreckenfahrzeug. Die kühle Getränkebüchse aus dem Kofferraumfach setzte dazu noch das Tüpfelchen aufs i. Hierzulande sorgte Importeur Emil Frey, ein Pionier bei der Einfuhr japanischer Autos, für ein dichtes und zuverlässiges Vertreternetz und eine gute Teileversorgung. Was blieb, waren die Vorbehalte des Umfelds und die wachsende Kritik der Gegner japanischer Autos – «Europäer fahren Europäer», wer mag sich noch erinnern? – in der durch den Ölschock hervorgerufenen Rezession. Den Japanern aber half diese Krise, sie verzichteten weitgehend auf grosse Modelle, der Bestseller Toyota Corolla war zwar technisch der Konkurrenz unterlegen, aber kompakt, sparsam und zweckmässig, und selbst der Crown schien ein vernünftiges Angebot zu sein.

Heute bewegt sich das Coupé mühelos im Verkehr mit, als Höchstgeschwindigkeit wurden damals 170 km/h angegeben, auch dieser Wert liegt im Konkurrenzumfeld. Es gilt zu bedenken, dass ein wahrer Sportwagen noch zu Beginn der 1970er-Jahre oft nur knapp an der 200er-Marke kratzte. Doch damals wie heute dürfte das kaum einen Crown-Käufer gross interessiert haben. Den Crown gab es ausser mit mechanischem Viergang-Getriebe auch mit Dreigang-Automatik. Diese passt vermutlich noch besser zum Charakter dieses Wagens. Der handgeschalteten Version wünschte man einen fünften Gang oder einen Overdrive. Der Motor liesse diese Drehzahlsenkung bei Autobahntempo locker zu.

Für entspanntes Fahren auf der Landstrasse ist die Charakteristik jedoch bestens geeignet. Wer mit dem Crown in die Stadt will, kann sich zudem sicher sein, dass der Wagen thermisch stabil bleibt und im modernen Kontext kaum grösser wirkt als ein durchschnittliches Mittelklasse-SUV. Allerdings stellten wir bei unserer Probefahrt rasch fest, dass man heute mit dem Crown nirgendwo mehr unbemerkt aufkreuzen kann. Selten haben wir so viele Reaktionen von Passanten erlebt wie mit dem Japaner. Bei den Jungen ist es das Staunen über die spannende Form des Toyota, bei den Älteren das Wiedererkennen eines Autos, das sich in der Erinnerung nur selten festgesetzt hat.

Ein langsames Erwachen

Wer sich mit alten Japanern beschäftigt, egal ob von Ende der 1960er-Jahre oder aus den 1970er- und 1980er-Jahren, der trifft oft auf eine Teile­situation wie bei Vorkriegsautos. Vieles gibt es nur noch gebraucht oder über gute Beziehungen, in manchen Fällen aber weder für Geld noch gute Worte. Gut, gibt es trotzdem Liebhaberinnen und Liebhaber dieses Stücks Schweizer Verkehrs- und Kulturgeschichte mit japanischem Ursprung. Wer bei einem Markenklub wie jenem von Mazda (www.mazdaclubschweiz.ch) oder eben von Toyota (www.schweizertoyotaclub.ch) mitmachen will, ist auch mit einem Oldtimer herzlich willkommen. Und auf der Website www.japanclassic.ch erfährt man, wann das nächste grosse Schweizer Japaner-Treffen stattfindet, das von seinen früheren Austragungen in Bleienbach BE bekannt ist. Bei der Durchführung im Mai dieses Jahres im Hotel und Businesspark Meilenstein in Langenthal BE waren alle drei Karosserievarianten des Crown, also das Coupé, die Limousine und der Kombi, vertreten. Die Szene lebt, und es gibt sie, die professionelle und ideelle Unterstützung für die Autos aus dem Land der aufgehenden Sonne.

Wir fahren mit dem jungen Mechaniker Dennis Betschart noch etwas weiter durch das St. Galler Rheintal. Der Crown schnurrt und gibt Töne von sich wie ein XK-Jaguar-Reihensechszylinder. Ein blasphemischer Vergleich? Vielleicht, aber wer dereinst einem Toyota Crown aus den frühen 1970er-Jahren begegnet, dessen vierte Generation S60 von 1971 bis 1974 gebaut wurde, sollte sich bewusst sein, dass dessen Lenker wohl ein ausgesprochener Liebhaber ist, der sich weder von Vorurteilen noch Hindernissen abschrecken lässt. 

Uns hat der Crown überzeugt, die Zeit hat den Betrachter milde gestimmt, die Form ist gut gealtert und die Details machen ihn interessant. Auch das Verständnis für Japan ist heute wesentlich grösser als damals, als der Crown erstmals in der Schweiz auftauchte, wir essen Sushi oder Edamame-Bohnen, im schlimmsten Fall Instantnudeln, lesen Mangas oder schauen Anime-Serien. Nun, zumindest die Jungen tun es. Das ist definitiv eine Chance für die Zukunft alter Japaner. Und der Crown setzt der Faszination für Japan-Oldtimer fraglos eine Krone auf. 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.