E-Klassiker im Spannungsfeld 

Die Elektrifizierung ­klassischer Automobile gewinnt langsam an Fahrt. Das finden längst nicht alle gut, einige aber völlig o. k. Und zwar nicht nur die Käufer.

Kabel statt Schlauch: Die SL Pagode des britischen Umbauers Everrati tankt kein Benzin mehr, sondern Strom. Kann man gut finden, muss man aber nicht.

Sie tun es immer wieder, immer häufiger und vor allem bei immer mehr Fahrzeugen: Spezialisierte Umbauer schnappen sich einen Klassiker, reissen ihm sein Verbrennerherz heraus und setzen ihm stattdessen ein Elektroaggregat ein. Das geschieht mit früherer Massenware wie VW Käfer, Fiat 500 und Mini oder schon damals exklusiven Modellen wie Ford GT40, Porsche 964 oder, wie in der AR-Ausgabe von vergangener Woche gezeigt, eine SL Pagode von Mercedes-Benz. Die Kosten für so einen Umbau belaufen sich je nach Modell und Anbieter auf 30 000 bis 50 000 Franken. Ist schon die Basis viel mehr wert, sind für so einen E-Klassiker locker mehrere Hunderttausend Franken fällig.

Ist das Ganze sinnvoll oder kompletter Unfug? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Für die einen ist es ein probater Weg, alte Autos weiterhin am Strassenverkehr teilhaben zu lassen, für die anderen aber ist es der Weg des Teufels und der Anfang vom Ende der Autokultur. Classics-Chefredaktor Martin Sigrist und Testchef Tristano Gallace haben in der AR-Redaktion ziemlich verschiedene Ansichten und liefern sich an dieser Stelle ein kleines Gefecht mit Argumenten für und gegen die Elektrifizierung von Klassikern. 

Pro

In der Liebe ist alles erlaubt

Tristano Gallace, Testchef

Geliebte Oldtimer mit Elektroherz kann ich mir gut vorstellen. Schliesslich können sie ebenfalls Schmetterlingsgefühle auslösen, jedenfalls bei mir. Bei manchen Puristen, etwa beim Oldtimer-Dachverband Fiva, stellen sich ob solcher Aussagen natürlich die Haare auf. Aber warum sollte man auf einen Haufen Erbsenzähler mit Obsession für Chassisnummern hören bei der Antwort auf die Frage, was man zu tun oder zu unterlassen habe? Ferner hat dieser Verband in der Vergangenheit bei offensichtlichen Fälschungen nicht reagiert. Auch wenn dieses automobile Opus Dei sich beim Thema E-Umbau für Oldtimer päpstlicher gibt als der Mann mit Kutte, Kreuz und Käppi selbst, muss keine Originalitätsinquisition befürchtet werden. Jeder soll selbst entscheiden, was er mit seinem Oldtimer anstellt, und genau das machen, worauf er eben Lust hat.

Professionelle und minutiöse Restaurationen entwickeln sich oft zu niemals endenden Liebhaberprojekten, die entweder eine grosse Schrauberleidenschaft oder einen grossen Geldbeutel voraussetzen. Im besten Fall natürlich beides. Ersatzteile und Know-how zu alten Motoren sind altersbedingt rar, teuer oder gar nicht mehr vorhanden, weswegen sich eine professionelle Restauration rasch in das bekannte Fass ohne Boden verwandeln kann. Wer dies nicht erleben möchte, dem sei die Alternative eines Steckerumbaus empfohlen. Vielen Fahrzeugen wäre damit sogar geholfen. Ein VW Käfer beispielsweise erreicht je nach Motorisierung erst im freien Fall mehr als 100 km/h und braucht dazu noch eine Ewigkeit. Ein drehstromunterstützter Käfer jedoch liesse nach einer E-typischen Beschleunigung so manchem den Mund offen stehen. Gerade für Käfer und Konsorten ist historische Originalität zwar schön, ein allfälliger Umbau-Wertverlust aber nicht fundamental.

Speziell für die jüngeren Autofreunde ist die Variante E wirklich eine denkbare Option. Der Grundgedanke der mobilen Freiheit hört nicht bei der Frage auf, ob original oder nicht original, sondern beginnt mit vier Rädern, einem Lenkrad und dem Wunsch, nach vorne zu fahren. Ein professioneller E-Umbau hat seinen Preis, aber das gilt für so ziemlich alles im Leben. Was man bekommt, ist ein Unikat. Erinnerungen von damals, gepaart mit einem Antrieb von heute, klassischer Innenraumduft mit lautloser Fortbewegung, einfacher Daily use statt daily öliger Hände. Meine Meinung ist klar: Historische Fahrzeuge sind, was ich daraus mache. Tristano Gallace, Testchef

Kontra

Zerstörtes Kulturgut

Martin Sigrist, Chefredaktor Classics

Historische Fahrzeuge – um den Begriff für Oldtimer der Swiss Historic Vehicle Fede­ration (SHVF) zu verwenden – heissen so, weil sie Zeitzeugen für die Herkunft unserer Grundlagen sind. Spuren der Geschichte an Fahrzeugen erfahren eine steigende Wertschätzung, Totalrestaurationen sind out. Wie original ein Auto ist, hat die Fédération Internationale des Véhicules Anciens (Fiva), der Weltverband für das klassische Fahrzeug, in seiner Charta von Turin zu beantworten versucht. Nein, mit den sehr oberflächlich vergebenen Zustandsnoten von 1 bis 5 hat dies nichts zu tun.

Historische Autos stehen zwischen verschiedenen Interessen. Viele sind in Privatbesitz, werden ohne irgendwelche öffentliche Unterstützung gehegt und gepflegt und sind ein Gut, über das ihre Besitzer frei verfügen, es verändern oder gar abbrechen dürfen. Als Maschinen brauchen sie regelmässige Wartung und gelegentlich grössere Reparaturen und, im Extremfall, den Ersatz gewisser Komponenten. Manche Klassiker sind zudem auch Anlageobjekte. Aber – sie bleiben stets ein Kulturgut.

Die Klimadebatte und der Unwille mancher Städte, sich sachlich ihren Verkehrs­fragen zu stellen, führen dazu, dass das Auto verteufelt wird und mit ihm natürlich auch das historische Auto. Fahrverbote drohen, und dem Verbrennungsmotor soll es an den Kragen gehen. Zwar ist in der Schweiz Veteranenfahrzeugen (noch) nirgendwo der Zutritt verwehrt. Aber es gibt Ideen, ausgerechnet ihnen, die 0.1 Prozent der Verkehrsleistung des Strassenverkehrs erbringen (laut Studie der SHVF von 2020), die Fahrbewilligung zu entziehen – durch Fahrverbote für Verbrenner. Soll man nun deswegen den Verbrennungsmotor des geliebten Klassikers ausbauen und durch einen E-Antrieb ersetzen? Für ein technisches Kulturgut erachte ich dies etwa als so sinnvoll, wie kadmium- oder bleihaltige Farben auf dem Gemälde eines alten Meisters mit einer giftfreien Farbe zu ersetzen. Bei E-Umbauten heisst es manchmal, dass der marode Klassiker als Ausgangsbasis ansonsten weggeworfen worden wäre. Aber selbst als Teileträger könnte er noch immer dazu dienen, das Leben eines originalen Klassikers zu verlängern. Wer sich am integralen Gesamterlebnis eines klassischen Fahrzeugs nicht erfreuen kann, der sollte sich womöglich nach etwas Modernem umschauen, da wächst die Auswahl stetig, bei den Klassikern ist es genau umgekehrt. Und darum gilt es, sie zu bewahren – und zwar vollständig. Martin Sigrist, Chefredaktor Classics

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