Die Sonne steht bereits tief, die letzten Strahlen streichen über die Hügelzüge am Sempachersee, die Nacht hat für Nathalie Spillman ihren besonderen Reiz: «Ich mag es dunkel, Schwarz ist meine Lieblingsfarbe». Doch nicht nur bei der Farbe, auch bei ihren Autos pflegt die Luzernerin einen eigenen Geschmack, ein Jaguar F-Type und ein Citroën 2CV stehen ebenso in ihrer Garage. «Schuld ist eigentlich mein Vater, der Peugeot ist mir ins Auge gesprungen, Vater hat sich darauf ins Zeug gelegt und mich mit entsprechenden Angeboten auf dem Fahrzeugmarkt versorgt, mein Mäxli hat sich als gutes Angebot erweisen», erklärt Spillman, wie sie zu dem Auto gekommen ist. Ihr Peugeot 203 ist ein frühes Exemplar von 1949. Der Wagen wurde erstmals in Frankreich zugelassen, der Zustand ist nicht überrestauriert, das Interieur jüngeren Datums. Auf dem Fahrersitz liegt ein Kissen, damit Spillmann etwas höher sitzt – «bin etwas kurz geraten». An Energie fehlt es Spillmann gewiss nicht, genauso wenig wie an Selbstbewusstsein. Denn sie fährt ihren Peugeot als das, was er ist: ein Auto. Selbst wenn die schwarze Limousine aus Sochaux einen Namen trägt – Mäxli, nach einem verstorbenen Kater der grossen Tierfreundin –, wird der Peugeot nicht übermässig verhätschelt.
Französische Mittelklasse
Der 203 läutete bei Peugeot 1948 die Nachkriegszeit ein. Erstmals mit selbsttragender Karosserie hinderte die Franzosen wenig daran, aus der am Pariser Salon vorgestellten Limousine alsbald eine ganze Modellfamilie wachsen zu lassen. Die Berline Luxe, wie unser Exemplar mit Stahlschiebedach und Heizung, war allerdings mit 455 994 gebauten Exemplaren das weitaus am häufigsten gebaute Modell. Insgesamt liefen bis Februar 1960 über 699 500 Peugeot 203 vom Band. Darin eingerechnet sind die praktischen Kombis, sehr exklusiven Cabriolets und Coupés, aber auch die Nutzfahrzeugversionen mit separatem Chassis als Pick-up und Kastenwagen. Unser 203 hat nichts von einem Nutzfahrzeug, sondern zieht trotz seiner nominal eher bescheidenen 42 PS ganz ordentlich von dannen. Der 1.3-Liter-Vierzylinder ist an ein Vierganggetriebe gekoppelt. Geschaltet wird es über eine Lenkradschaltung, wobei der erste Gang unten liegt. Eine wirksame Synchronisation der beiden ersten Gänge ist nicht vorhanden, gelegentlich springt zudem der zweite Gang im Schiebebetrieb hinaus. Nathalie Spillmann nimmt das locker, statt nervös herumzuhebeln, unternimmt sie in aller Ruhe einen weiteren Versuch, wenn das Getriebe sich widerspenstig zeigt. Mit offenem Dach und geöffneten Seitenscheiben, die Vordertüren öffneten beim 203 in seinen zwölf Produktionsjahren stets nach hinten, geht es über Land.
Klassiker fahren
Man mag sich wundern, Nathalie Spillman ist weder eine versierte Schrauberin noch will sie als klassische Oldtimerfahrerin gesehen werden. Vielmehr fährt sie einfach gern Auto, und ihr gefallen die Formen von früher. Dass man sie dereinst in einem Oldtimerklub antreffen wird, scheint eher unwahrscheinlich. Dazu liebt die Kauffrau ihre Unabhängigkeit viel zu sehr. Ihr Hobby betreibt sie übrigens, ohne dass ein Partner ihr im Hintergrund zur Seite steht. Wozu auch, bei Männern erwartet dies ja auch niemand. Es gilt, gewisse Vorurteile abzubauen. Aber mit vorgefertigten Ansichten kann Spillmann nur wenig anfangen, in übliche Rollen und Schemata lässt sie sich ohnehin nicht quetschen – höchstens in ein schwarzes Korsett. In diesem Sinne passt ihr Peugeot bestens ins Bild. Im näheren Freundeskreis jedenfalls fährt niemand ein altes Auto, zumindest keine ihrer Freundinnen. Aber wie bereits erwähnt, was andere tun, ist für Spillmann kein Massstab.
Moderat modern
Ein wichtiges Kriterium bei der Entwicklung des 203 seien seine Bremsen gewesen, heisst es. In der Tat glänzt der immerhin über 73 Jahre alte Wagen mit einem wenig fordernden Fahrverhalten. Zwar neigt sich die Limousine, die nur vorne einen Querstabilisator aufweist, gehörig in die Kurven. Das sieht von aussen aber weit schneller aus, als es ist. Aber auch dank der eher bescheidenen Leistung bringt nur wenig dieses Auto aus der Ruhe. Erfreulich gering sind auch die nötigen Kräfte für Lenkung und Bremse, auch wenn beide der Zeit entsprechend ohne Unterstützung irgendwelcher Art arbeiten.
Der Peugeot war ein hochmodernes Auto. Frankreich in der unmittelbaren Nachkriegszeit litt an den wirtschaftlichen Kriegsfolgen, die Autoindustrie startete im Prinzip da, wo sie 1940 aufgehört hatte, allerdings galt es, mit den limitierten Ressourcen geschickt umzugehen. Für Peugeot hiess das, auf eine Ein-Modell-Politik zu setzen, die bis zur Vorstellung des 403 Ende 1955 (im Schatten der übergrossen Citroën DS) gelten sollte. Die überschaubare Anzahl an Modellpflegemassnahmen hilft, heute auf eine passable Ersatzteilversorgung zurückgreifen zu können. Spillmann setzt in diesen Fragen auf die Hilfe eines Fachmanns, allerdings hat sie sich bereits schlau gemacht, von wo im Fall der Fälle Ersatzteile zu finden sind.
Die gefällige Form des 203 schauten sich die Entwickler in Sochaux wie bereits beim 402 oder dessen kleinem Bruder 202 in den USA ab. Während Letztere manches vom Chrysler Airflow kopiert hatten, lehnte sich der 203 am Design des 1940er-Chrysler Windsor an, natürlich angepasst an die Verhältnisse in Europa. Als Besonderheit sitzt beim 203 übrigens die Batterie direkt hinter dem Kühlergrill, seitlich vor dem weit zurückversetzten Kühler, also im Prinzip direkt im Spritzwasser. Was die Konstrukteure zu dieser eher ungewöhnlichen Lösung brachte, bleibt schleierhaft. Um an die Batterie zu kommen, muss der Kühlergrill demontiert werden. Ansonsten zeigen sich beim Blick unter die Motorhaube keine grösseren Komplikationen. Ein in der Schweiz beliebtes Accessoire war übrigens ein Kompressor von MAG oder dem französischen Hersteller Constantin, der bis zu 60 PS und mehr brachte.
Individualistin
Sammeln gehört zu Spillmanns Lebensstil. «Meine Wohnung ist ein einziges Sammelsurium an Dingen, Bildern, Lampen und allerlei Dekorationen», erklärt sie, während wir in ihrem Garten sitzen. Manches hat sie selbst installiert oder gar gebaut, so etwa eine veritable Gartenlaube, die nun von Rosen umrankt wird, «mit richtig schön spitzen Dornen!». Nein, Berührungsängste kennt Nathalie Spillmann kaum. Das mag mit ein Grund sein, warum die Luzernerin sich kaum je von ihren Ideen abbringen lässt und macht, was ihr gefällt. Sollte ihr Peugeot dereinst Hilfe benötigen, wird sie diese finden. Allzu viele Gedanken macht sie sich darüber nicht, ihre unverkrampfte Herangehensweise wird ein Übriges beitragen. Ihr Peugeot ist ein cooler Begleiter, ob er auch zuverlässig ist, wird sich weisen. Er ist erst seit diesem Frühling in Besitz von Spillmann. Und, man darf es so sagen, sie passen gut zusammen, die beiden, denn Schwarz steht ihnen gut. Dem Auto genauso wie der charismatischen Fahrerin.