Es gab einmal eine Zeit, in der ein Automobilkonstrukteur – die Person, nicht die Firma – noch genau das war: der Konstrukteur eines Automobils. Er skizzierte eine erste Idee, zeichnete ein Chassis, konstruierte einen Motor, formte die Bleche und liess aus dem Nichts ein Auto entstehen. Keine Heerscharen von hochspezialisierten Ingenieuren und Designern, von denen sich jeder in seinem Detail vertieft, und am Ende auch kein Controller, der die ganze Kreativität mit seinen Budgetvorgaben zunichtemacht. Einfach ein Mann, ein Auto.
Der Italiener Giotto Bizzarrini gehörte zu dieser Sorte Konstrukteure, und solche Genies trafen zwangsläufig auf andere, und es wurde Geschichte geschrieben. Nach seinen ersten Erfolgen mit der Macchinetta, einem Fiat Topolino, für die er eine eigene Karosserie schuf und in die er einen Motorradmotor mit 750 Kubikzentimetern Hubraum einbaute, arbeitete Bizzarrini an der Alfa Romeo Giulietta mit. Dann ging es schnell, und er wurde von Enzo Ferrari einberufen. Bizzarrini war kein Theoretiker, der den Tag hinter seinem Reissbrett verbrachte. Was er sich vorstellte, wollte er herstellen, und was er herstellte, wollte er auch selbst fahren. Dabei soll er gar nicht so untalentiert gewesen sein. Seine Rolle bei der Entwicklung des Ferrari 250 GTO war entscheidend. Er legte Tausende von Kilometern zurück und sagte später: «Es war eine schöne Zeit, ich konnte tun, was ich wollte, und meine Ideen und Entwürfe in die Praxis umsetzen.»
ATS, Iso-Rivolta und Bizzarrini
Doch in dieser Zeit gab es viele, vielleicht zu viele, starke Persönlichkeiten im Dunstkreis Enzo Ferraris, und als er sich von Girolamo Gardini trennte, nachdem dieser die Organisation des Werks komplett hatte umkrempeln wollen, verliessen auch Giotto Bizzarrini und Carlo Chiti das Unternehmen. Gemeinsam gründeten sie ATS, bauten in Rekordzeit den 2500, den ersten italienischen Sportwagen mit Mittelmotor. Doch die finanziellen Mittel waren knapp, Bizzarrini verliess das Unternehmen wieder und arbeitete als unabhängiger Konstrukteur. Bei Lamborghini entwickelte er den ersten V12-Motor, arbeitete mit Renzo Rivolta zusammen und gründete 1964 seine eigene Marke. Ein Jahr später belegte sein Bizzarrini 5300 GT Corsa bei den 24 Stunden von Le Mans (F) den neunten Platz und errang sogar den Klassensieg.
Doch Bizzarrini musste lernen, dass sportlicher Erfolg nicht automatisch wirtschaftlichen Erfolg garantiert. Er war von seiner Arbeit begeistert, umgab sich mit zwielichtigen Beratern und musste bereits 1969 seine Firma wieder auflösen, nachdem ein Gericht in Livorno (I) sein Unternehmen für konkurs erklärte. Das Genie Bizzarrini aber lebte weiter, arbeitete bei verschiedenen Herstellern und schuf eigene Prototypen.
Im Jahr 2018 übernahm die Pegasus-Gruppe die Rechte an der Marke, zwei Jahre später verkündete man Pläne, sie wiederbeleben zu wollen. Eine Zukunft ohne Bezug zur Vergangenheit war undenkbar, sodass als erstes 24 Stück des 5300 GT Corsa gebaut wurden, Revival-Fahrzeuge als Hommage an den Erfolg in Le Mans über 50 Jahre zuvor. Fast tausend Teile sind identisch mit dem Original, die Unterschiede liegen in den Details. So wurden die seitlichen Zusatztanks entfernt, neue Sitze entworfen, da die originalen nicht mehr den aktuellen Sicherheitsstandards entsprachen, und ein Sechspunkt-Überrollbügel installiert. Auch die Position des Frontmotors, der um 26 Millimeter von der Mittelachse nach rechts verschoben ist, um das Gewicht des Fahrers auszugleichen, änderte man nicht. Fast 4000 Stunden Handarbeit, originale Komponenten, sogar der Geruch – alles an diesem Auto ist eine Reminiszenz an die glorreiche Vergangenheit. «Es ist der Grundstein für ein neues Unterfangen», erklärt Vertriebsleiter Julian Jenkins.
Der Giotto, gezeichnet von Giugiaro
Was kommt als nächstes? Der Supersportwagen Bizzarrini Giotto mit V12-Sauger soll Anfang 2024 auf den Markt kommen. Das Design stammt von Giorgetto Giugiaro und seinem Sohn Fabrizio. «Wir starteten auf einem leeren Blatt, haben uns aber Grenzen auferlegt. Das Auto wird etwas ganz Anderes, etwas Extremes. Aber wir werden eine Verbindung zu Bizzarrinis Werken schaffen», erklärt Fabrizio Giugiaro.
Giotto Bizzarrini ist Ende Mai 2023, im Alter von 96 Jahren verstorben, sein Werk aber lebt weiter, eine Mischung aus der Melancholie einer unvergessenen Vergangenheit und der glühenden Leidenschaft für eine ambitionierte Zukunft. Denn nach dem Giotto sollen die Projekte Corsa und Luxo folgen. Corsa heisst auf Deutsch Rennen – will man also zurück zu den 24 Stunden von Le Mans? Es sei noch zu früh für konkrete Aussagen, heisst es bei Bizzarrini. Aber das Rennen sei auf jeden Fall Teil des Markenerbes. Fabrizio Giugiaro widerspricht nicht: «Ich wurde im März 1965 geboren und habe keine Erinnerung an das Rennen im Juni desselben Jahres. Aber seit meiner Kindheit habe ich meinen Vater tausendmal erzählen gehört: ‹Das Auto war ideal für die Mechaniker, denn man hörte das Auto bereits in die Boxengasse einfahren, bevor man es sah!›»