Ein guter Grund

VW steckt in einem Transformationsprozess und präsentiert laufend neue Elektromodelle. Doch auch bei den ­Verbrennern geht es noch ein Stück weiter, so mit dem Touareg.

Norwegen ist das Land der am weitesten fortgeschrittenen Elektromobilisierung. Allgegenwärtig sind sie, die Lademöglichkeiten für E-Fahrzeuge, und unterwegs in den Dörfern und Städten begegnen einem ständig Elektroautos. Über 817 000 Fahrzeuge mit Stecker, davon mehr als 600 000 reine Batterieautos, etwas mehr als 20 Prozent des gesamten Fahrzeugbestandes, waren im Land der Fjorde Ende 2022 zugelassen. Pro Kopf hat Norwegen den höchsten EV-Anteil überhaupt und mit etwa 5600 Stationen ­eines der dichtesten Netze an Schnellladern. Doch was hat dies alles mit dem überarbeiteten VW Touareg zu tun? Ausgerechnet in Norwegen hatten wir das Vergnügen, die – zugegeben, subtilen – Verbesserungen am grössten, teuersten und stärksten Volkswagen-PW in Erfahrung zu bringen. Und noch immer gibt es beim grossen VW-SUV die Wahl zwischen Benzin- und  Dieselmotoren. Beide vertrauen somit auf die reine Kraft fossiler Brennstoffe. Zusätzlich sind aber zwei Plug-in-Hybride im Modellprogramm, darunter der bärenstarke Touareg R mit 340 kW (467 PS). Dieser lässt ein klein wenig verschmerzen, dass schon seit einer geraumen Weile der 1000-Newtonmeter-V8-Diesel  mit vier Litern Hubraum gestrichen wurde.

Land-Yachting

Mit dem Auto übers Meer zu fahren, ist unsereinem in unserem Binnenland eher selten vergönnt. Die Atlantikstrasse zwischen Vevang und Karvag, eine rund 8.5 Kilometer lange Strecke, die den Zugang zum Kornstadfjord über viele kleine und kleinste Inselchen mit Brücken überspannt, bietet eine solche Gelegenheit. Um Platz für Schiffe zu lassen, spannt sich das grösste ihrer Viadukte in einem spektakulären Bogen von einem Eiland zum anderen. Der Ausbaustandard der erst 1989 eröffneten Route Nummer 64 ist hervorragend. Die Strasse führt bis nach Kristiansund, das am Ende der Route 64 über einen unterseeischen Tunnel mit dem Festland verbunden ist.

Doch Distanzen werden in Norwegen ganz anders wahrgenommen. Um beispielsweise ans andere Ufer eines Fjordes zu gelangen, sind zwei, drei Stunden Autofahrt keine Seltenheit, allerdings gibt es viele Fährverbindungen oder eben Brücken und Tunnel. «Schnell um die Ecke», das gibt es hier nur in grösseren urbanen Zentren. Trotzdem vertrauen viele Norweger bereits dem Elektroauto, ab 2025 sollen alle neu immatrikulierten Fahrzeuge in irgendeiner Form CO2-neutral unterwegs sein. Auch Wasserstoff sehen die Norweger, die ihre elektrische Energie fast zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen, vorwiegend aus Wasserkraft, beziehen, als wichtigen Energieträger. Fossile Energieträger setzt Norwegen, der grösste westeuropäische Ölproduzent, fast ausschliesslich im Industrie-, Chemie- und Transportbereich ein, nicht einmal zum Heizen wird Öl verbrannt.

Wir aber, mit ­einem Touareg R unterwegs, verbrennen etwas vom norwegischen Öl und lassen die Elektronen fliessen, die einst von norwegischem Wasser aus ihrer Ruheposition gerissen wurden. Auf mächtigen Sitzen gut aufgehoben und von den Einflüssen der Strasse dank Luftfederung weitgehend unberührt, lassen wir das Wechselspiel von Wolken, Sonne, Meer und Land an uns vorüberziehen. Was verwundert, ist die kaum vorhandene Duftnote des Meeres, nur die Frische der über das weite Wasser gewehten Luft versetzt einen in leichte Rauschzustände. Sind wir es dermassen gewohnt, dass unsere Luft zu Hause meist schon mit anderem in Berührung gekommen ist als offenem Meerwasser, dem Licht und der Feuchtigkeit, die sie aufgenommen hat? Der Touareg zieht dahin und frisst Kilometer, die Nadel der Tankanzeige bewegt sich kaum, und aus der Heizung bläst ein angenehmes, warmes Lüftchen. Es ist gemütlich hier drin, selbst wenn sich in diesem Spätsommer selbst im Norden noch keinerlei Spuren des Herbstes abzeichnen und klares Wetter herrscht. Das Auto als kleines Stück des eigenen Wohnzimmers, das man überall hin mitnehmen kann – der Gedanke vermittelt Geborgenheit. Über die letzten einhundert Jahre – der Innenlenker hat mit dem Auftauchen der Ganzstahlkarosserie Mitte der 1920er-Jahre erst richtig Fahrt aufgenommen – haben unsere Automobile ihre Fähigkeiten in der Kunst der aufmerksamen Gastfreundschaft stetig verbessert. Mit Sitzmassage und Klimazonen, Bordunterhaltung, aber auch Sicherheitsassistenten und mehr ist das Auto heute der beste Begleiter überhaupt. Ja, manche modernen Autos rufen gar den Rettungswagen, falls man die Fuhre ungewollt in den Graben setzt.

Das moderne Verbrennerauto hat einen Grad an Zuverlässigkeit erreicht, der kaum noch zu überbieten ist. So scheint es uns zumindest auf unseren Touren die Fjorde entlang und über die Pässe und Berge Norwegens. Der Gedanke, uns um Reichweiten kümmern zu müssen und um Ladezeiten, wenn wir uns mit einem kurzen Halt an der Tankstelle wieder fahrbereit machen können, irritiert, und wir ersparen es uns, uns den Kopf darüber zu zerbrechen. Dieses System hier kennen wir bestens – und es funktioniert, vermutlich so gut wie nie mehr.

Zeit gewinnen

Der Touareg hat neu HD-Matrixlicht mit 38 000 LEDs, wir gehen in der AR 45 ausführlich darauf ein. Und als Besonderheit leuchtet nun auch das VW-Logo, vorn in Weiss, hinten in Rot, zumindest da, wo dieses Gadget erlaubt ist. Ein kleines Dilemma aber gibt es damit, die Leuchtgrösse ist vom Gesetzgeber limitiert, andererseits fordert die Technik eine gewissen Durchmesser des Logos ein, wenn darunter der Radar für den aktiven Tempomaten versteckt werden soll. Alles hat eine Kehrseite. Übrigens, wer kennt noch Wolseley? Die Briten aus dem BMC-Konzern mit Marken wie Austin oder Morris besassen auch schon leuchtende Kühlerbadges, auch Pontiac mit einem beleuchteten Indianerkopf auf der Motorhaube in den 1940ern und genauso DeSoto mit dem Kopf des namensgebenden Conquistadors Hernando DeSoto, Entdecker des Mississippi. Doch diese Marken sind alle untergegangen. Unser VW Touareg aber ist aus dem Hier und Jetzt, und er macht seine Arbeit perfekt, er bräuchte nicht einmal ein Kühlerlogo, um zu leuchten.

Wie eingangs erwähnt, gibt es den Touareg auch weiterhin mit einem Dieselmotor in zwei Leistungsstufen. Dieser macht immer noch Sinn für all jene, die mit ihrem Fahrzeug arbeiten und  nicht immer im Voraus sagen können, ob es ­einen langen oder kurzen Arbeitstag geben werde. Insbesondere der stärkere Diesel bietet Leistung in allen Lebenslagen bei moderatem Verbrauch und mit dem entscheidenden Vorteil seiner grossen Flexibilität beim Einsatz. Dafür gibt es übrigens auch in Norwegen Gründe, beispielsweise, wenn man ein Boot aus dem Wasser heben will, um es auf einem Anhänger auf dem Landweg zu transportieren. Dies hat, zwar mit Mannes- statt Dieselkraft, eine über 1000-jährige Tradition im Norden.

Doch von den Wikingern nochmals zurück zum Auto: VW tut gut daran, das klassische SUV noch eine Weile im Programm zu behalten, denn gerade bei seiner volkstümlichsten Ausführung – sofern bei einem Verkaufspreis von 85 400 Franken für das Basismodell, den Dreiliterdiesel mit 231 PS, der Begriff Volk überhaupt noch eine Berechtigung hat – steht der Nutzwert genauso im Raum wie das Pres­tige. Der Touareg kann immer noch mächtig viel, er fährt auch abseits der Strasse oder zumindest abseits von Asphalt ganz gut, und es fehlt ihm ein übertriebenes Mass an unnötigen Gadgets. Gewiss, in Norwegen hat man die Weichen gestellt, Strom übrigens wird in grossen Mengen exportiert und kostet wenig. Aber vielleicht passt das E-Auto einfach noch nicht so richtig ins eigene Leben und dessen Umstände. Oder es ist einfach eine Ausrede – aber egal! Wichtig ist, den Touareg gibt es noch eine Weile, und es ist gut so! 

Diesel führt!

Dass der weiterhin mit einer Palette von fünf verschiedenen Verbrennungsmotoren, darunter zwei Dieseln, ausgestattete Touareg ausgerechnet im verbrennerfeindlichen Norwegen (das Land will per 2025 keine Neuzulassungen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor mehr erlauben) getestet werden konnte, erstaunt nur auf den ersten Blick. «Letztlich fährt auch in Norwegen die überwältigende Mehrheit der Fahrzeuge noch mit Benzin oder Diesel. Per Ende 2022 waren es fast 80 Prozent», erklärt Roland Bilang, Geschäftsführer von Avenergy Suisse, dem Branchenverband der Importeure, Hersteller und Vertreiber flüssiger Treibstoffe in der Schweiz. Der Treibstoffverbrauch in Norwegen sei in den vergangenen Jahren nur marginal gesunken und liege trotz Elektrifizierung auf dem Niveau von 2010, die Tendenz zeige in Richtung Stagnation statt eines deutlichen Rückgangs. Dabei steht der mittlerweile bei manchem Hersteller verpönte Diesel in Norwegen mit 1.14 Millionen zugelassenen Fahrzeugen immer noch deutlich am stärksten in der Gunst der Automobilisten, noch vor dem Benziner mit 822 000 Stück und dem reinen Elektrofahrzeug mit knapp 600 000 Fahrzeugen im Verkehr. Touareg und alle anderen Verbrenner werden also auch in Zukunft überall in Norwegen eine Tankstelle finden, sofern das Land keinen kompletten Stillstand riskieren will.

1 Kommentar

  1. Der Erdölverbrauch weltweit ist nach einer Delle 2020 (Pandemie) weiterhin am Steigen. Die Kohleförderung erreichte laut statista.com 2022 sogar neue Rekordwerte. Was wir nicht verbrauchen, verbrauchen eben andere. Die Menschen können sich nicht mal darauf einigen, dass es blöd ist, sich gegenseitig Bomben auf’s Dach zu werfen. Wie soll es da je zu einer, ersthaft umgesetzten C/O2-Reduktion kommen? Interessiert sich, östlich von Wien, überhaupt jemand dafür?

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