Schon am Sonntagmorgen hatte Marcel Steiner den bestehenden Rekord für die 1.75 Kilometer lange Strecke nach Hemberg SG geknackt. Die 52.91 Sekunden von Eric Berguerand aus dem Vorjahr hatten aber Bestand, weil Steiner seine Bestzeit im Training aufstellte. «Als ich im Dorf eingefahren bin, haben die Menschen applaudiert. Ich war verduzt – bis mir klar war, dass ich einen inoffiziellen Streckenrekord gefahren bin», sagte Steiner zum Coup beim Auftakt der Schweizer Bergmeisterschaft. Rund drei Stunden später zögerte er nicht mehr. Sein Jubelschrei kurz nach der Zieleinfahrt des ersten von drei Läufen war trotz Helm und des Turbomotors seines Lobart- Sportwagens unüberhörbar. Mit einer Zeit von 51.70 Sekunden hatte er Berguerands Rekord pulverisiert, der Grundstein war gelegt für den Tagessieg von Steiner. Gerechnet hatte er damit nicht, denn es war der erste Sieg des fünffachen Schweizer Meisters seit August 2018 in Oberhallau SH. Vor allem aber hatte er seinen Boliden mit synthetischem Treibstoff betankt und sich damit auf ein kleines Abenteuer eingelassen.
Davon wussten am Samstag nur wenige Menschen. Der Speaker ging bei den Trainingsläufen erst gar nicht auf das Thema ein, und selbst beim Verband Auto Sport Schweiz (ASS) gab man zu, erst in Hemberg davon gehört zu haben. Die AUTOMOBIL REVUE hatte schon ein paar Tage zuvor einen Anruf und den Tipp von Marcel Fässler bekommen. Der dreimalige Le-Mans-Sieger war auf dem Weg zur 100-Jahr- Party des Langstreckenklassikers: «Steiner fährt in Hemberg mit Synfuel.»
Zuerst zögerlich
Mit Marcel Fässler hatte Steiner zuvor Gespräche geführt. Synfuel ist für Fässler sowie Markus Hotz von Horag Racing in Sulgen TG und Mario Illien, der 1998 und 1999 als Motorenbauer von McLaren-Mercedes Anteil hatte an den Titeln von Formel-1-Weltmeister Mika Häkkinen (Finnland), ein brennendes Thema. Steiner bezieht Synfuel bei Horag, genauso wie Simon Wüthrich, Michel Zemp und Martin Epp.
Steiner und sein Team entschieden sich erst rund eine Woche vor Hemberg zu diesem Schritt. «Ich fragte mich, ob der Motor diese Umstellung erträgt. Nicht zuletzt, weil wir mit dem neuen Turbomotor keine einfachen Jahre hinter uns haben. In der vergangenen Saison lief er zwar rund, trotzdem passte am Auto noch nicht alles, genauso wie beim Test Ende April beim Bergrennen im österreichischen Rechberg.» Letztlich entschied sich Steiner aber doch für den synthetischen Treibstoff, als nach Messungen auf dem Prüfstand klar war, dass am Motor nichts geändert werden musste, und auch Motorenbauer Helftec Engineering in Hildisrieden LU grünes Licht gegeben hatte.
Ansporn für andere Piloten
«Ein Fortschritt in diese Richtung wäre cool», nannte Steiner einen weiteren, wichtigen Grund. Synfuel-Pionier Simon Wüthrich hatte einst denselben Gedanken, in Hemberg feierte er mit seinem Golf Turbiene den ersten Kategoriensieg (E1 bis 3500 cm3): «Marcels Sieg dürfte nun auch andere umstimmen.» Die Titelkonkurrenten haben aber zurzeit andere Sorgen. Eric Berguerand holte in Hemberg noch Platz zwei, obwohl er seinen Lola FA99 nach dem ersten von drei Läufen wieder herrichten musste, nach einem Unfall war vorne rechts die Aufhängung kaputt. Robin Faustini, Tagesdritter, haderte mit dem Fahrwerk des Osella FA30: «Nachdem wir im Winter Änderungen vorgenommen haben, fühlt sich das Auto nicht mehr gleich gut an wie im letzten Jahr.» Und Thomas Amweg ist mit seinem Reynard 95D noch auf der Suche nach Leistung. Dass der Trainingssamstag problemlos verlief, habe sich angefühlt wie ein Meilenstein. Steiner dagegen wird auch beim kommenden Bergrennen La Roche–La Berra FR auf Synfuel setzen. «Danach werden wir bei Midland eine Ölprobe untersuchen lassen.»
Einer werde dereinst der Erste sein, der mit synthetischem Treibstoff ein Rennen zur Berg-SM gewinne, hatte Steiner am Samstagvormittag noch gesagt. Am Sonntagabend nach dem historischen Sieg legte er noch einen drauf: Einer werde dereinst der Erste sein, der mit Synfuel die Meisterschaft gewinne.
BRAVO MARCEL STEINER!
Wer klärt, wagt, der gewinnt.