Zwei Jahre nachdem in der Schweiz das Einstiegsalter zum Erlangen des Führerausweises von 18 auf 17 Jahre gesenkt wurde, ist klar: Dieser Weg verläuft noch unbefriedigend. Die neue Regelung wirft Fragen zur Qualität der Fahrausbildung und zur Verkehrssicherheit auf. Zugleich hat sie das Umfeld vieler Fahrlehrer und Fahrschulen derart verändert, dass sie wirtschaftlich in Bedrängnis geraten sind. Letzteres hat die neue Führerausweisvorschrift auch wieder ins Gespräch gebracht. Das Thema beschäftigt auch Firstcar in Zug.
AUTOMOBIL REVUE: Nicolas Heini, was ist der Schwerpunkt Ihres Unternehmens Firstcar?
Nicolas Heini:In der Schweiz absolvieren rund 100 000 junge Autofahrer pro Jahr die Führerschein-Ausbildung. Unsere Website firstcar.ch begleitet Neulenkerinnen und Neulenker durch die ganze Fahrausbildung und bietet ihnen eine Palette von Dienstleistungen. Es gibt Informationen über Erste-Hilfe-Kurse, die Strassenverkehrsordnung, den allgemeinen Ablauf der Fahrausbildung sowie Unterstützung beim Kauf des ersten Autos. Zudem assistieren wir bei der Suche nach der richtige Fahrschule mit einem geeigneten Fahrlehrer. Es gibt über 5000 Fahrlehrer in der Schweiz, sodass es nicht einfach ist, die richtige Person zu finden. Unser jedoch bekanntestes Angebot sind die Lernfahrautos. Das sind Fahrschulautos mit Doppelpedalerie, welche Privatpersonen mieten können, um damit privat mit dem blau-weissen L-Schild das Fahren zu üben. Dies ist besonders in der heutigen Zeit ein immer grösseres Bedürfnis, da mit vielen neuen Fahrzeugen private Lernfahrten aufgrund der elektrischen Handbremse verboten sind. Gleichzeitig können die Lernfahrautos auch von Fahrschulen und Versicherungen als Ersatzwagen bei Schadenfällen genutzt werden.
Wie kamen Sie auf die Idee, Firstcar im Jahr 2018 zu gründen?
Ich habe bei Ricardo einen 25 Jahre alten Volvo für 100 Franken ersteigert, welchen ich kurze Zeit später bei der Motorfahrzeugkontrolle ohne Beanstandungen vorführen konnte. Das war ein absoluter Glücksgriff, und dieses Erlebnis zeigte mir, dass es nicht nötig ist, ein Vermögen für ein gutes Auto auszugeben. Aber normalerweise kosten sie schon deutlich mehr als 100 Franken. Gleichzeitig absolvierte ich selbst meine Fahrausbildung und merkte, dass es schwer war, an all die benötigten Informationen zu gelangen. Ich stellte fest, dass es da eine Lücke gibt und eine neutrale, aber kompetente Anlaufstelle für die ganze Fahrausbildung fehlt. Darum habe ich das Start-up gegründet.
Sie sagen, Sie unterstützen Kunden beim Kauf des ersten Autos. Können Sie das erklären?
Viele glauben heute, dass ein günstiges Auto nicht gut und zuverlässig sein könne. Zudem tappen viele in Leasingfallen, bei denen sie nur die vermeintlich günstige Leasingrate sehen, die ganzen damit verbundenen Folgekosten jedoch nicht. Deshalb beraten wir die Junglenker bei der Fahrzeugwahl, bei der Wahl der Versicherung und bei der Budgetplanung.
Wie viel kostet diese Dienstleistung?
Grundsätzlich sind alle unsere Dienstleistungen für den Neulenker kostenlos, wir erhalten für die Vermittlung eine Provision vom Geschäftspartner. Einzig der Suchauftrag, bei welchem einer unserer Mitarbeiter das Internet und unser Netzwerk nach einem geeigneten Fahrzeug durchforstet, kann unter Umständen etwas kosten und zwar zwischen 200 bis 500 Franken, je nach Aufwand und Kaufpreis.
Junglenker, die kein Auto zum Üben haben, können bei Ihnen eines mieten. Wie läuft das ab?
Viele wissen nicht, dass es verboten ist, mit fast allen modernen Autos mit einer elektrischen Handbremse das Fahren zu erlernen. Wenn man erwischt wird, führt dies zu einem Strafverfahren, einer hohen Busse und schlimmstenfalls zum Entzug des Führerscheins. Wir bieten geeignete Autos mit Doppelpedalerie an, welche in der ganzen Deutschschweiz in fast allen grösseren Städten gemietet werden können. Die Lernfahrer können die Autos dabei für einen Mietzeitraum von einer Stunde bis zu drei Monaten völlig frei und ohne Abozwang wählen, die Anzahl Kilometer ist für Lernfahrten ebenfalls unbegrenzt. Eine Stunde kostet 30 Franken, 24 Stunden kosten
140 Franken, und eine Monatsmiete kostet aktuell 999 Franken.
Konkurrenzieren Sie mit diesem Modell nicht die Fahrlehrer?
Nein, im Gegenteil. Wir sehen unser Angebot als Ergänzung zu den Fahrstunden. Es ist wie in der normalen Schule auch, der Fahrlehrer bringt dem Schüler alles bei, und dieser übt dies dann zu Hause intensiv. Da es seriösen Fahrlehrern immer wichtig ist, dass ihre Lernenden legal und sicher üben können, vermitteln uns Fahrschulen laufend Kunden, welche dann bei uns die wichtige Routine sammeln können. Gleichzeitig vermitteln wir ja die Fahrschüler an die Fahrschulen, es ist somit ein Geben und Nehmen in einer engen Partnerschaft und keine Konkurrenzsituation.
Seit 1. Januar 2021 müssen unter 20-Jährige eine einjährige Lernphase durchlaufen, bevor sie die praktische Fahrprüfung machen können. Aktuell müssen sie mit einer Begleitperson fahren, die mindestens drei Jahre im Besitz der Fahrerlaubnis ist. Was sagen Sie zu den Gesetzesänderungen?
Die letzten Gesetzesänderungen haben zu einer extremen Umstellung in der Fahrausbildungsbranche geführt. Die Folgen sind teilweise fatal, sowohl für die Fahrschulen als auch für die Neulenker und die Verkehrssicherheit. Wegen der Änderung sind im letzten Jahr so viele Fahrschulen Pleite gegangen wie noch nie, viele Lehrer können den Beruf nur noch in Teilzeit ausüben. Leider haben die neuen Entwicklungen auch viele gute und traditionsreiche Fahrschulen erwischt.
Kamen früher 18-Jährige einmal pro Woche in die Fahrstunde, um den Führerschein so rasch wie möglich in Händen zu halten, ist das Verhalten der 17- bis 20-jährigen nun aufgrund der einjährigen Wartefrist anders. Spüren Sie das auch?
Das ist leider korrekt. Früher dauerte die Fahrausbildung im Normalfall drei bis sechs Monate, heute zwischen 16 und 24 Monaten. Dies führt nicht nur für die Fahrschulen, sondern auch für die Fahrschüler zu Schwierigkeiten. Über ein Jahr hinweg am Ball zu bleiben, ist nun sehr teuer geworden. Wer also die Fahrausbildung auf demselben Niveau wie früher absolvieren will, der muss dafür mehr Geld ausgeben oder wartet, bis die einjährige Wartefrist vorbei ist und geht dann intensiv in die Fahrschule, was für diese finanziell und planungstechnisch natürlich sehr schwierig ist.
Viele holen sich den Lernfahrausweis, beginnen dann aber erst am Ende der Wartefrist zu fahren.
Ja. Eigentlich hätten mit dieser Umstellung die privaten Lernfahrten gefördert werden sollen. Die wenigsten besitzen jedoch die Ausdauer, um ein ganzes Jahr immer wieder fahren zu gehen. Diejenigen, welche in diesem Jahr tatsächlich viel privat üben, verzichten häufig ganz auf eine Ausbildung in der Fahrschule und beherrschen dann zwar ihr Fahrzeug, jedoch meist nicht das richtige Verhalten im Strassenverkehr. Und ihnen fehlt Wissen zu den Strassenverkehrsgesetzen und Abläufen wie Einspuren oder die Blicktechnik. Somit bilden die meisten Fahrschulen nicht mehr aus, sondern versuchen, vor der Prüfung noch Lücken zu schliessen. Dass immer mehr Personen privat zur Fahrprüfung gehen, ist für uns natürlich finanziell gut, aber für die Allgemeinheit und die Verkehrssicherheit schlecht.
Was ist denn Ihr Appell an die Politik in Bezug auf die Fahrprüfungen?
Dass vor wichtigen Gesetzesänderungen die Menschen konsultiert werden, welche wirklich tagtäglich in der Fahrausbildung aktiv sind. Diese waren praktisch geschlossen gegen die letzten grossen Gesetzesänderungen. Nicht aus finanziellen Gründen, sondern in erster Linie wegen verkehrssicherheitstechnischer Bedenken, bei welchen man teilweise bereits heute in der Statistik sehen kann, dass diese durchaus berechtigt waren und sind.
Wie meinen Sie dies?
Wir haben bereits heute eine der laschesten Fahrausbildungen, zum Beispiel im Vergleich mit Deutschland. Dort werden Mindestfahrstunden und ein Extratest für den Wechsel von Automatik zur Handschaltung verlangt. Zudem haben wir in der Schweiz eine der grössten Verkehrsdichten überhaupt: Mehr Autos fahren auf weniger Raum mit immer weniger Fahrausbildung. Das kann aus meiner Sicht nicht ewig gut gehen, zumindest bis alle Autos selbstfahrend unterwegs sind.
Was sind Ihre Ziele für die Zukunft?
Wir würden in Zukunft das Lernfahrauto gern in allen Landesteilen anbieten können, falls möglich auch teilweise mit Elektrofahrzeugen. Firstcar soll schweizweit das Vertrauenslabel für alle Neulenker werden, quasi die Schnittstelle zwischen Fahrlehrerschaft, Privatwirtschaft und den Neulenkern.
Wie läuft Ihr Unternehmen derzeit finanziell?
Aufgrund der Gesetzesänderung waren die letzten eineinhalb Jahre finanziell für uns sehr schwierig. Zu dem Zeitpunkt, als wir die Flotte massiv vergrösserten, hat der Grossteil der Neulenker erst gerade mit der einjährigen Wartefrist begonnen. Auch wenn die Zahlen nun wieder einiges besser aussehen, gilt es für uns, nun in einem ersten Schritt das längerfristige Überleben der Firma Firstcar zu sichern.
Die Gesetzesänderungen der Führerausweisvorschriften
Seit 1. Januar 2021 können bereits 17-Jährige den Lernfahrausweis für Personenwagen (Kategorie B) erwerben. Dabei müssen sie eine Lernphase von mindestens zwölf Monaten durchlaufen. Ziel dieser Neuerung ist, dass die jungen Menschen in der Praxis Sicherheit gewinnen und ab 18 Jahren über den Führerausweis verfügen können.
Gratis-Werbung für etwas, was es bereits vor 40 Jahren gab; also nichts Neues…
Zur Neuregelung der Fahrausbildung: Wiedereinmal zeigt sich, dass PolitikerInnen ohne Fachkompetenzen etwas per Gesetz anordnen, was in der Praxis für eine ganze Branche und für die Verkehrssicherheit verherend ist. Mit dem Lernfahrausweis 2 Jahre ohne jegliche Strassenverkehrskenntnisse oder professionelle Anleitung Auto fahren! Nach rund 10 Fahrstunden mit einem Automatenauto (oder E-Fahrzeug) die Fahrprüfung bestehen und danach alle geschalteten Fahrzeuge bis 3.5 to fahren dürfen… Das geht vielleicht im australischen Outback oder in einer verkehrsfreien Wüste, aber in der übermobilisierten Schweiz…? Es gab mal die „Vision Zero“ – aber sooo geht es nicht!