Der Nationalrat hat in der laufenden Sommersession grünes Licht erteilt für den Ausbau der Autobahnen. Konkret ging es um verschiedene Kredite über gesamthaft rund 13.5 Milliarden Franken für Unterhalt und Ausbau der Nationalstrassen, denen die grosse Kammer zustimmte. Als nächstes muss der Ständerat das Geschäft absegnen. Mit 8.787 Milliarden Franken ist der Grossteil des Betrages für Unterhaltsarbeiten und Sanierungen reserviert. Darunter fallen aber nicht nur Reparaturen an der Infrastruktur, sondern auch Massnahmen zur Kapazitätsverbesserung. Dazu gehören beispielsweise die sogenannten Rampendosieranlagen, mit denen die Einfahrt auf die Autobahn geregelt wird. Durch die Ampeln an den Einfahrten soll Stau bei Autobahneinfahrten verhindert werden, sodass der Verkehr weiter fliesst. Auch Geschwindigkeitsharmonisierungsanlagen, also die automatisch wechselnden Geschwindigkeitstafeln, und Pannenstreifenumnutzung fallen unter diese Kategorie.
Fünf plus ein Projekt
Weitere 4.354 Milliarden Franken sind vorgesehen für einen Ausbau, um neuralgische Stellen zu entlasten. Das Programm Step 2030 enthält fünf Projekte: Die A1 soll zwischen Wankdorf BE und Schönbühl BE von derzeit sechs auf neu acht Spuren und zwischen Schönbühl und Kirchberg BE von vier auf sechs Spuren erweitert werden. In Basel soll mit dem Rheintunnel eine Entlastung für die A2 entstehen. Diese ist heute stark überlastet, was nicht nur zu Stau, sondern auch zu Ausweichverkehr durch die Quartiere der Stadt Basel und die Agglomeration führt. Die zwei neuen, zweispurigen Tunnels führen von Muttenz BL zu den Autobahnanschlüssen in Richtung Frankreich und Deutschland. In der Ostschweiz soll in Schaffhausen der Fäsenstaubtunnel der A4 auf zwei richtungsgetrennte Röhren ausgebaut werden. Der heute zweispurige Tunnel mit Gegenverkehr ist ein Nadelöhr in der Region Schaffhausen. Unter der Stadt St. Gallen soll zudem der 1978 eröffnete Rosenbergtunnel auf drei Röhren erweitert werden. Der Tunnel muss ab 2037 saniert werden, was ohne zusätzliche Röhre kaum ohne grössere Einschränkungen zu bewältigen ist. Nach Abschluss der Sanierung soll der Verkehr ostwärts über den dreispurigen neuen Tunnel rollen, westwärts durch die beiden bestehenden Röhren.
Ursprünglich nicht im Ausbauschritt 2030 vorgesehen war der Ausbau der Autobahn A1 am Genfersee zwischen Nyon VD und Le Vengeron GE. Wegen seiner Dringlichkeit aufgrund der anhaltenden Verkehrsprobleme am Arc lémanique hat die Verkehrskommission auch dieses 911 Millionen Franken teure Ausbauprojekt dem Nationalrat vorgelegt. Trotz Pannenstreifenumnutzung ist die vierspurige Autobahn entlang des Genfersees chronisch überlastet – auch wegen der Migration und der hohen Zahl von Grenzgängern, wie Kommissionspräsident Christian Wasserfallen (FDP/BE) betont. Der Ausbau der A1 auf sechs Spuren würde das Gleichgewicht zwischen der Schiene und der Strasse wieder herstellen, so Wasserfallen.
Kapazitätsgrenze der Autobahn
Ob man denn garantieren könne, dass der Ausbau der Autobahn Coppet VD–Nyon nicht in Konkurrenz trete mit dem Ausbau der Bahnstrecke Lausanne–Genf, wollte die Westschweizer SP-Nationalrätin Valerie Miller Carrard von Bundesrat Albert Rösti wissen. So musste dieser vor dem versammelten Parlament wieder einmal erklären, dass die Strasseninfrastruktur und die Bahninfrastruktur aus verschiedenen Fonds gespiesen werden und finanziell nicht miteinander in Konkurrenz stehen. Gewisse linke Kreise wünschten sich diese Konkurrenzsituation natürlich, so könnte man der Strasse den Geldhahn komplett abdrehen und das Geld stattdessen in den öffentlichen Verkehr fliessen lassen. So plädierte die grünliberale Nationalrätin Katja Christ für ein «gesamtschweizerisches, integral durchdachtes und finanziertes sowie zukunftsweisendes Mobilitätskonzept über alle Verkehrsträger hinweg» anstelle einer Diskussion über die «einzelnen Milliarden-Ausbauprojekte» bei der Nationalstrasse.
Die Ratslinke wollte zwar den Ausbau verhindern, konnte sich am Ende mit dem Argument, dass mehr Strassen automatisch zu mehr Verkehr führten, aber klar nicht durchsetzen. Dass viel mehr das anhaltende Bevölkerungswachstum zu mehr Verkehrsaufkommen führt, leuchtet ein und zeigt auch die Statistik. So hat die Fläche, die dem Verkehr zur Verfügung steht, in den vergangenen Jahren deutlich weniger stark zugenommen als die Bevölkerung in der Schweiz. Engpässe sind damit unvermeidbar.
Was eine Verhinderung des Ausbaus der Autobahnen zur Folge hat, zeigt der Bericht des Bundesamts für Strassen (Astra) zum Verkehr auf den Nationalstrassen. Die Fahrleistung auf den Nationalstrassen nahm von 1990 bis 2010 deutlich stärker zu als auf dem Rest des Strassennetzes. Seither geht die Entwicklung in die umgekehrte Richtung, die Fahrleistung auf den übrigen Strassen nimmt deutlich stärker zu als auf den Autobahnen. «Diese Entwicklung lässt vermuten, dass die Nationalstrassen seit zirka 2010 nicht mehr flächig in der Lage waren, das Verkehrswachstum im gewohnten Umfang aufzunehmen, und die zunehmenden Engpässe punktuell sogar zu Verdrängungseffekten auf das nachgelagerte Strassennetz geführt haben», resümiert das Astra. Um dieses Gleichgewicht wieder herzustellen, ist ein Ausbau nötig.
Neuer Staurekord
Die Relevanz der Autobahn betonte auch Albert Rösti in seinem Votum vor dem Nationalrat: Die Länge der Autobahn betrage 2250 Kilometer, was drei Prozent des gesamten Schweizer Strassennetzes entspreche. Auf diesen drei Prozent würden 41 Prozent des Strassenverkehrs abgewickelt. Beim Güterverkehr sei das Verhältnis noch extremer, da würden 70 Prozent des strassengebundenen Güterverkehrs auf den Autobahnen abgewickelt.
Dass ein Ausbau nötig ist, zeigen auch die Staustunden, deren Zahl 2022 nach drei Jahren mit geringem Verkehrsaufkommen zwischen 2019 und 2021 wieder deutlich zugenommen hat. Ganze 39 863 Stunden Stau gab es im letzten Jahr alleine auf den Nationalstrassen – ein neuer Negativrekord! 39 863 Stunden sind umgerechnet etwas mehr als viereinhalb Jahre. In anderen Worten: In nur einem Jahr haben wir auf den Autobahnen viereinhalb Jahre Stau. Davon gehen 5.5 Prozent auf Baustellen zurück, neun Prozent auf Unfälle und 85 Prozent auf Verkehrsüberlastung. Anteilsmässig nahm die Zahl von Überlastungstaus im letzten Jahr zwar etwas ab – allerdings nur, weil die Zahl von Baustellenstaus im Vergleich zu den Vorjahren nominell stark zunahm.
Unter dem Strich bleibt nichts anderes, als die Infrastruktur dem Verkehrsaufkommen anzupassen. Effizienzverbesserungen im Verkehrsfluss wie Rampendossieranlagen und variable Tempolimiten können ein Teil davon sein. Am Ende führt aber nichts um einen Ausbau herum.