Ganz neu war die Idee nicht, aber sie ist diesen Sommer wieder in den Fokus gerückt: Der Bund prüft, ob man mit Tempo 60 auf der Autobahn Staus verhindern kann. Die Idee dahinter: Durch Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit sollen ein homogener Verkehrsfluss geschaffen werden und die Kapazität der Nationalstrassen erhöht werden. Dabei gäbe es auch andere Massnahmen, die den Verkehrsfluss verbessern können, einige davon, wie die Pannenstreifenumnutzung, hat das Bundesamt für Strassen (Astra) auch bereits umgesetzt oder ist dabei, sie umzusetzen. Wir präsentieren weitere denkbare Massnahmen und betrachten Studien, die für oder gegen diese Massnahmen sprechen.
Überholverbot für Lastwagen
Jeder Autofahrer kennt es: Zwei Lastwagenfahrer liefern sich beim Überholen mit minimalem Tempounterschied ein Elefantenrennen über eine Strecke von mehreren Kilometern. Dahinter stauen sich die Autos. Können Überholverbote für Lastwagen den Verkehrsfluss verbessern? Verschiedene Studien aus Europa und aus der Schweiz kommen zum Schluss, dass mit einem gezielten Einsatz von Überholverboten der Verkehrsfluss tatsächlich verbessert werden kann und sich dadurch die Reisezeit für Personenwagen um einige Sekunden verbessert. Die Verbote müssen gar nicht immer aktiv sein, sondern können zeitlich begrenzt in Kraft treten. Interessant dabei: Für die Lastwagen selber kann sich die Reisezeit je nach Situation entweder verschlechtern oder auch geringfügig verbessern. Es muss unterschieden werden, ob die Verbesserung primär für die Autofahrer sein soll oder für den gesamten Verkehrsfluss. Der grösste Vorteil für die Autofahrer ergibt sich, wenn die Überholverbote für Lastwagen bei geringem Verkehrsaufkommen gelten und nicht bei hohem. Logisch: Wenn ohnehin schon Stau herrscht, stört ein Lastwagen auf der linken Spur auch nicht mehr. Aber die grösste Verbesserung für den gesamten Verkehr tritt ein, wenn die Überholverbote bei hohem Verkehrsaufkommen gelten.
Bereits 2012 hat das Astra dazu eine Richtlinie ausgearbeitet, anhand derer in den Folgejahren verschiedene Abschnitte mit einem Überholverbot für Lastwagen belegt wurden. Aber Studien der EU und des Astra kommen auch zum Schluss, dass flächendeckende Überholverbote für Lastwagen keine Lösung sind, da sie zu neuen Problemen führen. Können die Lastwagen einander nämlich gar nicht mehr überholen, bilden sich auf der rechten Spur lange LKW-Pulks, die dazu führen, dass die Autofahrer nicht mehr auf die rechte Spur wechseln und dass Autobahneinfahrten verstopft werden, weil keine Lücken mehr zwischen den Lastwagen bestehen. Übrigens: Auf dreispurigen Autobahnen gilt bereits heute ein partielles Überholverbot für Lastwagen, da Fahrzeuge auf der äussersten linken Spur mindestens 100 km/h fahren können müssen.
Rechtsüberholen erlauben
Seit Anfang diesen Jahres ist das sogenannte Rechtsvorbeifahren auf der Autobahn erlaubt, es darf also im Stau oder bei stockendem Verkehr auch auf der rechten Spur bis zum nächsten Fahrzeug aufgeschlossen werden. Die Initianten dieser Massnahme um den Aargauer FDP-Nationalrat Thierry Burkart begründeten dies damit, dass die Kapazität der Nationalstrassen so um bis zu zehn Prozent verbessert werden könne. Ein Blick auf die Strasse zeigt aber auch heute noch, dass die linke Spur oftmals komplett besetzt ist, während die rechte leer bleibt. Denn was nützt es, rechts aufzuschliessen, wenn ich nachher nicht auf die linke Spur wechseln kann? Da bleibt man als Autofahrer doch lieber links. Muss also Rechtsüberholen auch erlaubt werden? Bereits 2010 beantragte der SVP-Nationalrat Thomas Hurter beim Bund, das Rechtsüberholen zu prüfen, um Staus zu verhindern. Dieser lehnte dies jedoch mit Blick auf die Verkehrssicherheit ab, da Autofahrer überfordert sein könnten, wenn sie auch rechts überholt würden. Dass der Verkehrsfluss verbessert werden könnte, belegt eine US-Studie von 2014. Diese kam zum Schluss, dass eine freie Spurwahl auf der Autobahn tatsächlich mehr Kapazität schafft. Mit einer weiten Verbreitung von Totwinkelwarnern in modernen Autos dürfte das Unfallrisiko in den vergangenen Jahren gesunken sein, sodass sich eine erneute Prüfung des Vorschlags lohnen könnte.
Phantomstau verhindern – keine Blitzer
Das Phänomen, das bei hohem Verkehrsaufkommen scheinbar ohne Grund für Stau sorgt, heisst: Phantomstau. Wenn der Vordermann leicht abbremst, bremst der nächste etwas später und etwas stärker, und es entsteht der bekannte Handorgeleffekt. Wie Verkehrsforscher in den USA schon vor Jahren herausgefunden haben, ist die Ursache dafür fast immer zu nahes Auffahren auf den Vordermann – was sich aber beim heutigen, dichten Verkehr kaum verhindern lässt. Und: Je höher die Geschwindigkeit, umso grösser das Risiko für einen Phantomstau. Genau hier setzen die adaptiven Geschwindigkeitsbeschränkungen, wie sie auch auf unseren Autobahnen zum Einsatz kommen, an. Es gibt eine ganz bekannte Situation, bei der alle Autofahrer abbremsen: Wenn sie eine Radarfalle sehen. Könnte die Abschaffung von Blitzern auf der Autobahn helfen, Staus zu verhindern? Der Zusammenhang zwischen Radarfallen und Phantomstaus ist bislang nicht erforscht, wer aber bereits einmal das Fahrverhalten vor einem Blitzer beobachtet hat, für den liegt ein Zusammenhang nahe.
Dynamische Richtungstrennung
Eine mögliche Lösung, um Verkehrsstaus vor allem an Autobahnkreuzen zu vermindern, hat die niederländische Universität von Delft erarbeitet. Das Problem ist ein bekanntes: Auf der abzweigenden Autobahn herrscht Stau, auf der weiterführenden könnte der Verkehr frei fliessen. Weil aber die Autofahrer zu lange nicht einspuren, um sich dann im letzten Moment doch noch reinzudrücken – meist wohl nicht einmal absichtlich –, entsteht ein Rückstau. Als Lösung haben die Holländer das Modell einer dynamischen Spurzuweisung entwickelt, die mit umschaltbaren Richtungstafeln die Verkehrsflüsse so früh wie nötig, aber so spät wie möglich voneinader separiert. Wenn die Richtungstrennung früh genug erfolgt, stellen sich die abzweigenden Autos nämlich zwangsläufig hinten an die abzweigende Kolonne an, und die Hauptachse bleibt frei. Gemäss den Modellen kann damit der Verkehrsfluss um bis zu 30 Prozent verbessert werden.
Am Ende ist aber auch klar, dass all diese Massnahmen nichts anderes als Symptombekämpfung sind. Um die Kapazität der Nationalstrassen nachhaltig dem Verkehrsaufkommen anzupassen, führt nichts an einem Ausbau vorbei.