Das Problem bei grossen Lieferwagen ist das Verhältnis von Reichweite zu Nutzlast», sagt Duga Hoti, Geschäftsführer und Gründer von Flux Mobility in Winterthur ZH. Heute sind grosse Lieferwagen mit Elektroantrieb wie der MAN E-TGE oder der Renault Master E-Tech zwar erhältlich, doch keines dieser Fahrzeuge kann beispielsweise 3500 Kilogramm an den Haken nehmen und fährt auch noch 350 Kilometer weit. Diese beiden Leistungswerte wurden zu Beginn als Entwicklungsrahmen für den Flux-Lieferwagen gesetzt.
Platz für Player wie Flux
Erste Überlegungen zu elektrischen Lieferwagen mit der Leistungsfähigkeit von Dieselmodellen geisterten Duga Hoti schon lange durch den Kopf. Der 29-jährige Ingenieur mit LKW-Mechaniker-Hintergrund war vor der Gründung seiner eigenen Firma verantwortlich für das Produktmanagement E-Trucks bei der Firma Designwerk, die mit den Futuricum-E-LKW über die Schweiz hinaus Bekanntheit erlangt hat. Nachdem sich Ende April 2021 die Volvo-Grupe an Designwerk beteiligte, sah Hoti die Zeit gekommen, sich auf die Entwicklung von E-Lieferwagen auszurichten. Bereits im August 2021 starteten die Arbeiten in der frisch gegründeten Flux Mobility AG, und vor acht Wochen wurde der modular aufgebaute Flux-E-Lieferwagen lanciert. «Diverse Mitarbeiter hatten bereits früher verantwortungsvolle Positionen in der E-Mobilitätsentwicklung inne, sodass wir von Beginn weg auf grosses Know-how aufbauen konnten», erklärt Hoti. Einer dieser Mitarbeiter ist Bill Zollinger, ehemals Batterieentwickler bei Designwerk und jetzt Mitbesitzer von Flux Mobility.
Die moderne Elektromobilität stellt für die OEM bei Lieferwagen eine grosse Herausforderung dar, denn diese weisen im Vergleich zu Personenwagen kleine Absatzzahlen auf. Entsprechend sind Investitionen in neue Technologien meist mit Personenwagen verlinkt, und die Adaption von Technikfortschritten verläuft beim Transporter eher träge. Die Van-Zwillinge MAN E-TGE und VW E-Crafter basieren beispielsweise nicht auf der ID-Plattform von VW, sondern noch auf der Technik des VW E-Golf mit 100-kW-E-Motor (290 Nm), 36-kWh-Batterie und gut 110 Kilometer Reichweite (WLTP). Die E-Golf-Technik ermöglichte 2018 zwar eine rasche Einführung eines grossen Elektrolieferwagens, heute aber zeigt sich, wie lange es in Grosskonzernen dauern kann, bis Lieferwagen auf die neuste E-Technologie umgestellt werden. Hier sieht Duga Hoti die Chancen für Firmen wie Flux Mobility: «Wir sind viel flexibler, wenn es darum geht, neuste Technologien rasch einzuführen.»
Das zeigt sich bei der flüssigkeitsgekühlten Batterie, welche bei Flux auf dem neusten Stand der Lithium-Ionen-Technologie (NMC) ist und damit die aktuell höchste Energiedichte aufweist. Dadurch werden hohe Reichweiten und an Fastchargern hohe Ladeströme ermöglicht. Der Stromspeicher wird aktuell mit drei Kapazitätsgrössen (33, 66, 99 kWh) verbaut, soll aber künftig in nur einer Grösse mit 98 kWh angeboten werden. Mit den knapp 100 kWh Kapazität sind reale Reichweiten von gut 350 Kilometern möglich.
Modularer Lieferwagen
Die Fahrzeuge von Flux bieten eine Nutzlast von 2500 Kilogramm und mehr und eine gebremste Anhängelast von 3500 Kilogramm. Modelle bis zu einem Gewicht von 3.5 Tonnen sind bis zu 130 km/h schnell. Die Schnellladefähigkeit liegt mit 130 kW auf dem Niveau moderner Personenwagen, der Batteriestand lässt sich in weniger als 30 Minuten von 20 auf 80 Prozent erhöhen. Optional wird die Ladebuchse auch an anderer Position als im Kühlergrill montiert. Auf Wunsch ist zudem ein leistungsfähiger Nebenantrieb erhältlich.
«Die Entwicklung der Prototypen wurde stets mit Blick auf ein Serienfahrzeug vollzogen», erläutert der junge Unternehmer. Damit der Kauf eines Flux-Lieferwagens interessant wird, wird ein Anschaffungspreis anvisiert, der maximal das Anderthalbfache des Dieselpendants beträgt. Zudem sollten sich innerhalb von vier Jahren die Mehrkosten amortisieren lassen, damit die Gesamtbetriebskosten, die Total cost of ownership, das Niveau eines Dieselmodells egalisieren oder sogar unterbieten.
Als Basis nutzt Flux Mobility den bewährten MAN TGE mit Hinterradantrieb. Aufgebaut wurden die Prototypen auf einem langen 5.5-Tonnen-Chassis-Cab mit Doppelbereifung und auf einem kurzen 3.5-Tonnen-Kastenwagen mit Singlebereifung. «Damit decken wir für die Typengenehmigung die ganze bauliche Bandbreite des Fahrzeugs ab», führt Hoti aus. Der Motorraum beherbergt anstelle des Diesels die Leistungselektronik. Der Elektromotor (140 kW, 1200 Nm) wird zentral im Chassis montiert und mit der Kardanwelle verbunden. Das Mehrgewicht im Vergleich zum Diesel liegt mit der höchsten Batteriekapazität bei rund 400 Kilogramm. Dank der neuen Gesetzgebung zu Gewichten und Abmessungen darf dieses Mehrgewicht durch ein entsprechend erhöhtes Gesamtgewicht kompensiert werden (Nutzlast bleibt unverändert).
Unterstützung und Investoren
Im Vorderachsbereich ist zudem Platz für einen weiteren Elektromotor vorhanden, denn Flux Mobility hatte den Allradantrieb von Beginn weg im Visier. «Wir müssen uns in einem zweiten Schritt dorthin bewegen, wo die OEM auch künftig nicht investieren», so Hoti. Darunter fallen neben dem AWD auch Reichweiten von bis zu 600 Kilometern. Die Entwicklung des Allradantriebs trifft auf starkes Interesse und wird auch vom Bundesamt für Energie unterstützt. Dabei klärt Flux generell ab, ob mittelfristig die E-Lieferwagen nur mit Allradantrieb gebaut und der Hinterradantrieb gar wieder fallen gelassen werden sollen. Die Entscheidung dazu fällt bereits im Herbst.
MAN Truck und Bus Schweiz begleitet Flux auf dem Weg in den Schweizer Markt. «Wir sind beeindruckt von der Leistung des Teams um Duga Hoti», erklärte Ron Ziegler, Leiter des Lieferwagengeschäfts bei MAN Truck und Bus Schweiz. Und man sei zudem schwer beeindruckt von der Innovationskraft des jungen Schweizer Unternehmens.
Made in Switzerland
Das sehen offenbar auch andere Firmen so. Anfang Woche wurde bekannt, dass Flux Mobility namhafte Schweizer Kapitalgeber gefunden hat, die sich substanziell beteiligen, darunter die PCS Holding, die bereits im automobilen Sektor involviert ist. Oliver Streuli, CEO der PCS Holding nimmt auch Einsitz im Verwaltungsrat von Flux Mobility. Der Flux-Verwaltungsrat wird zudem neu mit Conrad Sonderegger erweitert, Verwaltungsrat bei der auf Messtechnik spezialisierten Kistler Group. Durch die neuen Kapitalgeber erhält die Flux Mobility Zugang zu weiterem Know-how im Automotive-Bereich, aber auch in Sachen erneuerbarer Energien und Elektromobilität. Duga Hoti zeigt sich zufrieden: «Die neuen Kapitalgeber bestätigen uns in unseren Zielen. Das zusätzliche Kapital in Millionenhöhe und das damit verbundene Industrie-Wissen ist für uns sehr wertvoll.» Sie ermöglichten es Flux Mobility, die Entwicklung noch schneller voranzutreiben.
Der Flux-Mobility-Standort liegt im ehemaligen Rieter-Areal in Winterthur. Hier werden auch die ersten Fahrzeuge wie die zehn Early-Movers-Kundenfahrzeuge hergestellt, die bis August in Betrieb gehen werden. Ab 2023 will Flux Mobility nur noch jene Spezialfahrzeuge in Winterthur selber produzieren, welche besondere Entwicklungen erfordern, Standardfahrzeuge hingegen sollen extern produziert werden, entsprechende Abklärungen sind im Gang. Für externe Arbeiten (z. B. Fabrikation) und für Komponenten (z. B. Kabelstränge) sollen möglichst Schweizer Firmen berücksichtigt werden. Auch die App Flux Drive ist ein Schweizer Produkt. Sie liefert Daten über den Fahrzeugstandort, den Ladestand der Batterie und Fehlermeldungen. Mit ihr ist beispielsweise auch die Fernsteuerung der Standheizung möglich. Daneben wurde für Flottenmanager das cloudbasierte Onlineportal Flux Fleet entwickelt.
Flux Mobility
Der Name ist Programm bei Flux Mobility und hat gleich eine dreifache Bedeutung. Den Fluss: Man will Innovation möglichst fliessend auf den Markt zu bringen. Den Wandel: Die Mobilität befindet sich in starkem Wandel, den man mitgestalten will. Den Strom: Die Fahrzeuge, die man baut, fahren elektrisch. Der Zusatz Mobility soll das Ziel einer fliessenden Mobilität signalisieren, die über die blossen Fahrzeuge hinausgeht.