Der 16. Juni dieses Jahres war für Ferrari ein kapitaler Tag. Es fallen Begriffe wie Ebitda, CAGR, EPS und andere eigentümliche Kürzel für die zahlreichen Vertreter führender Banken, die der Einladung nach Maranello (I) gefolgt sind. Am Capital Markets Day präsentiert Ferrari die Strategie für die nächsten vier Jahre. Die Italiener unter der Leitung von Benedetto Vigna, CEO von Ferrari seit Oktober 2021, beginnen mit angenehmer Musik für die Ohren der Investoren: Ferrari ist weiterhin ein Bolide bei der Ertragsstärke (vor Zinsen, Steuer usw.) mit erwarteten 35 Prozent für das Geschäftsjahr 2022, das sind 1.65 Milliarden Euro. Maranello will sein operatives Ergebnis bis 2026 bei einem erwarteten Umsatz von 6.7 Milliarden Euro (im Vergleich zu den erwarteten 4.8 Milliarden für 2022) um 40 Prozent steigern.
Um dieses Ziel zu erreichen, investiert Ferrari in die Laufstege. Nicht in der Formel 1, sondern tatsächlich in der Mode. Ferrari wird sein eigenes Modelabel starten, im Windschatten von Red Bull, das mit Alpha Tauri ebenfalls eine Bekleidungsmarke lancierte. Selbstverständlich soll die Textilware nur einen Teil des Umsatzes erwirtschaften, denn in Maranello baut man ja hauptsächlich Sportwagen. Und nicht wenige: Die Männer in Rot versprechen für die Jahre 2023 bis 2026 die Entwicklung 15 neuer Fahrzeuge aus dem Ferrari-Stall, so viele wie in den letzten vier Jahren.
Das Supercar neu aufgelegt
Nicht Teil dieser Modelloffensive ist der Purosangue. Das erste SUV mit dem Emblem des steigenden Pferdes wird für September 2022 erwartet. Der Purosangue wird mit seinem V12-Motor allerdings nicht der Porsche Cayenne aus Maranello sein. «Wir wollen weiterhin sehr exklusiv bleiben», versichert Ferrari-Marketingchef Enrico Galliera. «Der Purosangue wird nicht das volumenstärkste Modell sein.» Wie üblich sagt Ferrari nichts zu den geplanten Absatzzielen – die Marke kam 2021 auf knapp 12 000 Einheiten –, weist jedoch darauf hin, dass man die Produktion mit dem Purosangue «nicht verdoppeln» werde.
Ausser dem SUV kündigt Ferrari ein Supercar bis 2026 an, einen Nachfolger des LaFerrari von 2013. Ferrari sagt nicht mehr zu diesem Thema, auch wenn Gianmaria Fulgenzi und Ernesto Lasalandra, verantwortlich für die technische Entwicklung der Produkte, die Fahrleistungen der V6- und V8-Hybridaggregate des 296 GTB und SF90 unterstreichen. Bis 2026 sollen laut Ferrari die Hybridmotoren mehr als die Hälfte (55 %) des Absatzes ausmachen.
Der Elektroschock
Ein eigentlicher Elektroschock dieses Capital Markets Day war die Enthüllung der Elektrostrategie von Ferrari. Der erste leise Hengst wird ab 2025 über die Strassen galoppieren, die Marke mit dem steigenden Pferd rechnet damit, dass die Elektrosportwagen im Jahr 2030 40 Prozent des Marktes erreichen werden. Für eine Marke, der das Schreien eines V12-Motors in die Wiege gelegt wurde, ist dies eine totale Umstellung. Um zu verhindern, dass Enzo Ferrari sich in seinem Grab umdreht, wiederholten die Italiener aber unisono: «Auch das Elektroauto wird ein echter Ferrari sein.»
Ferrari scheint sich der geringen Emotionsstärke von Elektrofahrzeugen durchaus bewusst zu sein. «Alle derzeitigen Elektromodelle bieten ausgezeichnete Werte für die Beschleunigung auf der Geraden. Doch das stimmt nicht unbedingt für den Fahrspass», sagt Ernesto Lasalandra. «Der elektrische Ferrari wird Fahrleistungen mit Fahrspass vereinen.» Aber auch die Kompetenz von Ferrari bei den Verbrennern soll genutzt werden: «Wir werden unser gesamtes Know-how in der Mechatronik und Aerodynamik ausschöpfen und somit Reichweite und Fahrleistungen ohne Einbussen beim Styling optimieren.» Ferrari wird seine eigenen Elektromotoren fertigen und die Batteriemodule in Maranello im neuen E-Building montieren, dessen Fundament gerade gelegt wird. Ausserdem will Ferrari alle zwei Jahre die Kapazität seiner Batterien um jeweils zehn Prozent steigern, was bei vergleichbarer Kilowattstunden-Leistung die Grösse und das Gewicht der Batterien verkleinern würde. Ausserdem plant Ferrari, klimaneutral zu werden, aktuell emittiert Ferrari 622 Kilotonnen CO2 jährlich, die 0.001 Prozent des globalen Gesamtausstosses entsprechen. Erreicht werden soll das durch Massnahmen in der gesamten Produktionskette, den Erwerb von CO2-Zertifikaten und die Umsetzung kompensierender Massnahmen. In Italien soll bis zum Jahr ein «bosco Ferrari» («Ferrari-Wald») angelegt werden.
Die Ungewissheit
Die Italiener erklären, dass sie jährlich zwischen fünf und 35 Prozent der Investitionsausgaben für die Elektrotechnologie in die Hand nehmen wollen. Grob gerechnet sind das höchstens 350 Millionen Euro im Jahr 2026. Das ist nicht viel in Anbetracht der Milliardenbeträge, die sonst in die Elektrifizierung gesteckt werden. Doch dieses Argument weist der CEO von Ferrari zurück. «Die Menschen denken bei Elektroautos meistens an hohe Investitionen. Die braucht es aber nur, wenn man bei null anfängt und die Digitalisierung mit der Elektrifizierung zusammenzählt. Aspekte wie Carsharing oder autonomes Fahren sind allerdings nicht wichtig für uns», lautet die Verteidigungslinie von Benedetto Vigna. «Ausserdem sind wir dank der Formel 1 seit 13 Jahren auf dem Weg hin zur Elektrifizierung. Wir haben grosse Kompetenz bei Elektronik und Software.»
Neben der Elektromobilität untersucht Ferrari auch das Potenzial synthetischer Treibstoffe und von Wasserstoff für Verbrennermotoren. «Wir müssen unseren Kunden die freie Wahl lassen und auf alles vorbereitet sein, wenn dann die endgültige Technologie feststeht», erklärt Vigna. Ausserdem will sich Ferrari um den bestehenden Fuhrpark kümmern: «Wir wollen Technologien entwickeln, damit unsere Autos auch in Zukunft gefahren werden können. Einen Ferrari kauft man für immer.»
Mehrfach wurde am Capital Markets Day das Wort Flexibilität erwähnt, ein Beweis dafür, dass niemand weiss, in welche Richtung die technische Entwicklung geht. «Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn mehrere Technologiewenden erlebt und kann bestätigen, dass ein Schlüssel zum Erfolg in einer sicheren und stetigen Vorgehensweise liegt», äusserte sich Benedetto Vigna dazu. Vorsicht ist also angesagt, denn bis Änderungen wirklich greifen, bedarf es seiner Zeit. Das meinte wohl Gianmaria Fulgenzi, als er sagte: «Es ist noch ein langer Weg bis 2030.»
«Wir müssen für alle Technologien offen sein»
Als Leiter der technischen Produktentwicklung kehrt Gianmaria Fulgenzi wieder zu seinen Ursprüngen zurück. Der Italiener war bereits von 2010 bis 2018 in dieser Abteilung tätig, bevor er zum Formel-1-Team wechselte. Während seiner Werkstätigkeit war er unter anderem an der Entwicklung der F12 Berlinetta, 458 Pista, 488 GTB und SF90 beteiligt.
Automobil Revue: Wie wird der elektrische Ferrari aussehen?
Gianmaria Fulgenzi: Für uns muss unser elektrisches Modell vor allem ein Ferrari sein. Er steht auf den drei Standbeinen unserer Produkte: Design, Performance und Fahrspass. Auf dem Markt gibt es eine ganze Reihe von Elektrofahrzeugen, die auf der Geraden schnell sind, aber das war es dann auch schon. Es gibt noch kein Elektroauto, das die Emotionen anspricht. Ein Ferrari muss Emotionen wecken, er muss ein Lächeln provozieren. Er muss schnell sein beim Lastwechsel und in den Kurven. Ein zu hohes Gewicht verhindert dies, dann fährt man eher einen Bus.
Wie gehen Sie die Gewichtsproblematik eines Elektromodells an?
Das Gewicht ist das grösste Problem eines Elektromodells. Aber Elektroautos haben auch Vorteile, denn man braucht keinen Verbrennungsmotor und kein Getriebe. Die Batterie kann sehr tief untergebracht werden, was wiederum das Trägheitsmoment verringert. Ohne Verbrenner und Getriebe kann man einen kurzen Radstand und einen tiefen Schwerpunkt wählen. Und das hohe Drehmoment der Elektromotoren überspielt den Nachteil des Zusatzgewichts komplett.
Wie steht es um den Klang?
Wir werden einen neuen Sound kreieren, denn ein Elektromotor kann nicht wie ein Verbrenner klingen. Jeder Motor hat sein eigenes Klangbild, auch der Elektromotor. Wir werden diesen natürlichen Klang einfach verstärken. Wir werden dieselben Emotionen wie ein V6, V8 oder V12 erwecken. Wir werden Sie überraschen!
Die Europäische Union hat das Aus für Verbrennungsmotoren bis 2035 beschlossen, steht damit bisher allerdings allein da. Was werden Sie weltweit verkaufen?
Wenn wir nur eine bestimmte Technologie in Europa anbieten können, werden wir uns natürlich daran halten. Wenn in der restlichen Welt andere Technologien erlaubt sind, dann sind wir dafür auch bereit. Wir müssen für alle Technologien offen sein, um sie in unterschiedlichen Produkten anzubieten. Wir wollen bereit sein, die Ansprüche unserer Kunden zu erfüllen, denn nur sie entscheiden am Ende, was sie kaufen wollen.