«Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen»

Alfa Romeo wird bis 2027 zu 100 Prozent elektrisch. Dieser Kurs sei zwingend notwendig, sonst werde die Marke verschwinden, ist der CEO überzeugt.

Ein Alfa Romeo, das ist ein Motor mit ­einem Auto drumherum», sagte man früher. Aber bereits in fünf Jahren werden die Motoren bei Alfa Romeo endgültig verstummen: Jean-Philippe Imparato, seit Anfang 2021 CEO der Marke, kündigte das Ende der Verbrennungsmotoren für 2027 an. Der Franzose, der behauptet, er sei praktisch «in einer Giulia Sprint geboren worden», will Alfa Romeo zur ersten Marke machen, die komplett auf Elektroantrieb umsteigt. Gleichzeitig versichert er aber: «Ich will Alfa Romeo nicht zu einem iPad mit einem Auto drumherum machen.» Wir wollten in einem exklusiven Interview wissen, ob dieser tiefgreifende Wandel bei Alfa Romeo unausweichlich war.

Automobil Revue: Sie stehen nun seit etwas mehr als einem Jahr an der Spitze von Alfa Romeo. Was bedeutet das für Sie?

Jean-Philippe Imparato: Es ist genial. Es dürfte für viele ein Traum sein, Chef eines solchen Unternehmens zu sein. Einer meiner Kollegen sagte bei meiner Ernennung zum CEO, dass die Marke Alfa Romeo ein Dreammare sei, also Traum und Albtraum zugleich. Ein Traum wegen der historischen Aspekte der Marke, und ein Albtraum wegen der Schwierigkeiten, die Marke permanent weiterzuentwickeln. Heute kann ich sagen, dass es eher ein Traum ist. Dass wir es innerhalb von einem Jahr geschafft haben, die Marke profitabel zu machen, ist bereits eine positive Entwicklung.

Macht Alfa Romeo trotz der geringen Verkaufszahlen Gewinn?

Das Volumen ist nicht entscheidend. Wir verdienen Geld, indem wir die Margen verbessern. Wir haben eine Produktplanung, die stabil ist und sich über zehn Jahre erstreckt. Ich muss sagen, dass es für mich eine Ehre ist, nur ein Jahr nach Antritt meines Postens ein neues Modell auf den Markt zu bringen. Das letzte neue Modell hatten wir nämlich 2016.

Wenn man sich die Umfragen ansieht, ist Alfa Romeo oft eine der beliebtesten Marken. Aber diese Wertschätzung schlägt sich nicht in den Verkaufszahlen nieder. Wieso ist das so?

Wenn der Preis bei über 50 000 Euro beginnt, fallen die unteren Segmente weg und damit auch alle Kunden, die früher eine Giulietta für 30 000 Euro gekauft haben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass unsere Stückzahlen niedrig sind. Historisch gesehen wurde die Leistung von Automarken immer an den Stückzahlen gemessen, wir haben jedoch bewiesen, dass es möglich ist, auch mit geringen Stückzahlen hervorragende wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass der Marktanteil von Alfa Romeo im Premium-D-Segment mit Verbrennungsmotor überall ausserhalb Chinas steigt. Und unser Auftragsbestand per Ende April ist im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gestiegen. Ich mache mir also keine Sorgen um das Volumen, wir müssen die Marke nur wieder mit Produkten beleben. Am wichtigsten sind für mich jedoch die Qualität und die Marge pro Modell.

Alfa Romeo soll bis 2027 rein elektrisch fahren. Drehen sich da die grossen Ingenieure von Alfa Romeo wie Orazio Satta-Puliga, Giovanni Busso und Rudolf Hruksa nicht im Grab um?

Wenn Sie auch nach 2030 noch über Alfa schreiben wollen, müssen wir elektrisch werden. So ist es nun einmal.

Aber Porsche hält mit synthetischen Kraftstoffen auch noch am Verbrennungsmotor fest …

Ja, aber auch für sie ist es die letzte Runde. Nicht umsonst brachten sie den Taycan mit enormen Marketinganstrengungen auf den Markt. Ich frage mich, wer fünf Euro pro Liter bezahlen soll. Bei allem Respekt für die Kollegen bei Porsche denke ich, dass dieser Weg das Erbe einer überholten Welt ist. Man kann nicht Milliarden in Gigafactorys investieren und gleichzeitig die Produktions­linien für Verbrennungsmotoren bis 2045 beibehalten. Verbrennungsmotoren werden dann nur noch einen marginalen Teil des Marktes ausmachen. Wir werden uns jedenfalls nicht in diesem Rand­segement befinden. Alfa Romeo steht für Sportlichkeit auf die italienische Art. Wir werden weiterhin hohe Leistung und ausgezeichnete Agilität bieten, aber in einem Umfeld, das der Marke eine sichere Zukunft bietet. Wer seiner Zeit nicht voraus ist, ist tot. Der Gründer von Alfa Romeo war jemand, der seiner Zeit voraus war.

Wie passt die typische Agilität der Marke zusammen mit einem Gewicht von über zwei Tonnen?

Da alle Fahrzeuge um 500 Kilogramm zulegen werden, wird es eine relative Agilität auf dem Niveau der elektrisch angetriebenen Konkurrenz sein. Es geht um die Optimierung des Batteriegewichts und der Gestaltung des Innenraums, wobei auf alles verzichtet wird, was nicht notwendig ist. Man erreicht diese Agilität natürlich nicht, wenn zur 500 Kilogramm schweren Batterie noch 55-Zoll-Bildschirme im Inneren kommen. Und um die Reichweite und die Ladezeiten zu verbessern, werden wir die 800-Volt-Technologie einführen.

Alfa Romeo hat in seiner Geschichte die ehrgeizigen Produktplanungen noch nie umgesetzt. Wie erklären Sie sich das?

Ich kann nur sagen, dass ich mir dessen durchaus bewusst bin. Um das Ruder herumzureissen, habe ich beschlossen, alle meine Versprechen einzuhalten. Ich weigere mich, lange Vorträge zu halten über alles, was wir uns vorgenommen haben. Es geht mir darum, das Vertrauen zurückzugewinnen, indem ich konsequent an der Strategie festhalte und darüber jedes Jahr der Presse und der Öffentlichkeit Bericht erstatte. Intern werde ich äusserst diszipliniert vorgehen und hin und wieder auch ein Machtwort sprechen, wenn es um die Qualität geht. Das sind die beiden Schlüssel, um Alfa Romeo wieder auf die Strasse des Erfolg zu führen. Den Rest, die Geschichte, das Erbe, das hat Alfa Romeo bereits.

Wann werden wir wieder ein Coupé in der Modellpalette sehen, wie es früher ein Muss war?

Zuerst müssen wir andere Schritte erledigen. Der erste besteht darin, die Palette wieder mit Produkten zu beleben, welche die grössten Marktsegmente abdecken. Das ist von entscheidender Bedeutung. Der zweite besteht in der Umstellung der Modellpalette auf Elektrifizierung und Digitalisierung. Sobald Alfa Romeo ein profitabler Partner von Stellantis ist, können wir anfangen zu träumen und ein Coupé bauen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!

Es könnte also noch einige Zeit dauern.

Ja, aber mein einziges Ziel ist es, dass die Marke von alleine weiterbesteht, wenn ich abtrete. Natürlich will ich einen Duetto! Aber ich kann nicht zu Carlos Tavares gehen und sagen: «Hey, Carlos, ich will einen Duetto!» Es ist wie im Privatleben: Man schaut sich erst einmal an, wie viel Geld man zur Verfügung hat, bevor man zu viel ausgibt. Wenn man ein Unternehmen führt, ist es dasselbe.

Stimmt. Aber Sportwagen sind immer auch ein Imageträger für eine Marke.

Das ist absolut richtig. Aber man verdient eben kein Geld damit. Alfa Romeo muss erst einmal profitabel sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass Alfa 40 Jahre lang Verluste gemacht hat. Auch ich liebe Sportwagen wie den 8C, aber wir müssen erst einmal Geld verdienen.

Was ist mit der Giorgio-Plattform?

Alfa Romeo wird die Plattformen der Stellantis-­Gruppe nutzen. Dennoch wird ein Alfa Romeo immer das typische Fahrverhalten der Marke haben. Für das Fahrverhalten sorgt aber der Entwickler, Herr Bagnasco, und nicht die Giorgio-Plattform. Für ein gutes Fahrverhalten braucht es etwas mehr als einen Haufen Schrott. Eine einzige Plattform, mit der wir isoliert wären, würde für Alfa Romeo das sichere Ende bedeuten. Wir wären von den Entwicklungen von Stellantis abgeschnitten. Ich dagegen möchte das gesamte technologische Wissen des Konzerns nutzen, um das Beste davon auszuwählen.

Was bedeutet das konkret?

Alfa Romeo wird die erste Marke der Gruppe sein, die 2025 die neue Elektroplattform der Gruppe nutzen wird, mit der die 800-Volt-Architektur eingeführt wird. Wenn ich mir die besten Komponenten aus dem Konzern geholt habe, rufe ich meine Spezialisten in Balocco an und sage ihnen, dass sie mir damit einen Alfa Romeo bauen sollen. Da mache ich mir keine Sorgen. Man muss auch sehen, dass sich die Automobilindustrie mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit entwickelt. Wer hätte vor zwei Jahren vorhersagen können, dass sich die Elektromobilität so stark etablieren würde? Und wir sind ja noch nicht am Ende! Bereits 2025 werden Sie die Autowelt nicht mehr wiedererkennen. Man muss immer einen Schritt voraus sein, anstatt hinterherzulaufen.

Inwiefern ist Alfa einen Schritt voraus?

Erstens geht es geht darum, den Übergang zur Elektrifizierung vor allen anderen zu vollziehen, in weniger als fünf Jahren, während alle anderen sich noch fragen, ob sie am Verbrennungsmotor festhalten sollen. Zweitens: Den grössten Beitrag zur Entwicklung von Alfa Romeo liefert die Software.

Wie kann Alfa Romeo auf dem Premiummarkt Erfolg haben, dort wo viele andere Marken an den deutschen Herstellern scheitern?

Premium und Sportlichkeit liegen in der DNA von Alfa Romeo. Ich habe keine Zweifel daran, dass Alfa Romeo sich dort etablieren wird. Ich denke auch nicht daran, gegen die Grossserienhersteller anzutreten. Es geht mir darum, zu unterstreichen, dass wir anders sind – italienisch. Ich will nicht wie BMW eine Million Autos pro Jahr produzieren. Stellantis braucht nicht eine Million Alfa Romeo, sondern einen Alfa, der vertrauenswürdig und angesehen ist. Dazu müssen wir Qualität liefern.

Der Tonale ist der erste Schritt von Alfa Romeo auf dem Weg zur Elektrifizierung. Das SUV wird in Kürze mit einer 275 PS starken Plug-in-Hybridversion auf den Markt kommen.

Zur Person

Jean-Philippe Imparato (55), ist seit Januar 2021 CEO von Alfa Romeo. Zuvor absolvierte der Franzose, der an der Managementschule in Grenoble (F) studiert hatte, den Grossteil seiner Karriere im früheren PSA-Konzern. Er stieg auf und wurde 2008 Direktor von Citroën Italien, 2013 Vizepräsident PSA Retail, und war von 2016 bis 2021 CEO von Peugeot.

1 Kommentar

  1. Elektromotor ist Elektromotor, da brauche ich keinen Alfa Romeo mehr.
    Wenn der Tonale die Zukunft ist bin ich froh, dass noch 25 Alfa von der alten Garde bis zur Neuinterpretation der Marke Alfa Romeo durch Fiat in meiner Halle stehen.
    ,

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