Wie kommt man zum Schluss, dass Hans «Hausi» Leutenegger der richtige Interviewpartner ist, wenn die AUTOMOBIL REVUE über den Autosalon Genf und dessen leidige Geschichte der jüngsten Vergangenheit, die sich häufenden Absagen seit 2020, sprechen will? Indem man sich fragt, wer ein Macher ist, wer ein Unternehmer ist, wer ein Finanzexperte ist, wer in Genf lebt und, nicht zuletzt, wer über die Jahre hinweg immer wieder am Autosalon Gast war. Eben, Hausi Leutenegger. Der Autosalon, der 2019 letztmals stattgefunden hat, feiert diese Woche (bis 14. Oktober) sein Comeback. Aber nicht in Genf, sondern in Doha. «Ein Autosalon in Katar interessiert mich absolut nicht», antwortet Leutenengger kopfschüttelnd auf die erste Frage. Im ersten Quartal des kommenden Jahres soll der Autosalon zum 100-Jahr-Jubiläum wieder in Genf über die Bühne gehen. «Das glaube ich erst, wenn dort tatsächlich wieder die Türen öffnen», schiesst es aus ihm heraus.
Hausi Leutenegger ist ein Unikat, ein wahrer Hansdampf. Breite Bekanntheit erlangte der heute 83-jährige Thurgauer durch seine Ausflüge in die Sport- und Filmwelt. 1972 gewann er als Bremser im Viererbob von Jean Wicki Olympiagold in Sapporo (Japan). 1985 flimmerte er im Actionfilm «Kommando Leopard» in der Rolle eines Captains an der Seite von Klaus Kinski über die Leinwand. In über 30 Film- und Fernsehproduktionen wirkte der «Burt Reynolds der Alpen», wie er wegen seiner Ähnlichkeit mit dem US-Star genannt wurde, mit. Lehrmeister war Kinski. Mit dem als Exzentriker verschrienen Deutschen konnten es weiss Gott nicht alle. «Mir aber war er ein sehr guter Freund.»
Geben und nehmen
Hausi Leutenegger dagegen ist offensichtlich überall herzlich willkommen. Einmal sei er von einem Polizeiauto verfolgt worden. Er habe angehalten und die vier Polizisten an seinem Auto stehend gefragt, was er denn verbrochen habe. Nichts, hätten die Polizisten geantwortet, sie hätten eben gesehen, dass da der Hausi Leutenegger im Auto sitze, und seien ihm lediglich gefolgt, weil sie Fans seien. Ein anderes Mal sei er von zwei Polizisten angehalten worden, weil er hinter dem Lenkrad sitzend telefoniert habe. «Einer der beiden Polizisten war offenbar ein grosser Fan von mir. Weil seine Schicht zu Ende war, sah er von der Busse ab, also habe ich die beiden zu einem Kaffee eingeladen.»
Hausi Leutenegger hat viel Geld, aber er hat es auch immer gerne ausgegeben. Nicht nur für einen Kafi. Er habe eine Familie unterstützt, als bei einem Unfall, in den er schuldlos verwickelt gewesen sei, eine Frau und Mutter gestorben sei. Oder den Schweizer Bobverband, als dieser in den Miesen war. Und seine vielen, vielen Autos, selbst die für sein Unternehmen, habe er stets bar bezahlt. «Es ist meine Art, einem Garagisten meine Wertschätzung zu zeigen und ihn zu unterstützen», erklärt Leutenegger. Kreditkarten benütze er auch, aber nur ab und zu. Denn es sei zu einfach, beim Bezahlen eine Karte durch einen Schlitz zu ziehen. «Kreditkarten haben Vorzüge, ja, aber es ist wichtig, dass man den Bezug zum Geld nicht verliert, es in den Händen hält und einem bei einem Kauf bewusst wird, was man gerade ausgibt und was man dafür geleistet hat.» In einem Interview sagte Leutenegger einmal: «Ich habe immer nach dem Motto gelebt: Geben ist seliger als nehmen.»
Ein bisschen Glück war auch dabei
Vom Bauschlosser-Lehrling zum Millionär. Von Sulzer in Winterthur ZH zum Unternehmer. Mit nur 25 Jahren gründete Hausi Leutenegger seine eigene Firma, die Leutenegger AG, heute mit Geschäftsstellen in der ganzen Schweiz und auch in Deutschland, eine davon ist der Hauptsitz in Genf. «Ich kam von einem Einsatz in den Niederlanden zurück. Dort habe ich gesehen, was ich in der Schweiz aufgebaut habe. Eine Agentur für Fachkräfte im Metallbau.» Er war mit seiner Firma quasi ein Vorläufer der heutigen Temporärbüros. «Aber meine Angestellten bekamen ihren Lohn von mir. Auch die Pensions- oder Krankenkassenbeiträge wurden von uns abgerechnet. Hätten meine Fachkräfte einmal kurz keinen Job gehabt, hätten sie trotzdem Lohn bekommen.» Temporär habe er nie jemanden verpflichtet. «Meine Angestellten hatten immer Arbeit. Und ich, ich hatte eigentlich immer zu wenig Fachkräfte.» Der Schweizer Schokoladenhersteller Suchard war nach der Firmengründung der erste grosse Kunde Leuteneggers. «Suchard hatte rund 50 Fachkräfte von mir.» Er sei früher, als es noch weniger Autobahnen gab, Tag und Nacht in der Schweiz herumgefahren und habe Arbeitsplätze und Baustellen besucht, wo seine Mitarbeiter engagiert waren.
Wenn er auf sein Leben zurückblicke, stelle er fest, dass er alles richtig gemacht habe, wurde Hausi Leutenegger in einem Interview zitiert. «Ein bisschen Glück war auch dabei», lautet der Titel seiner Biografie. Eben hat er diese, veröffentlicht vor 13 Jahren, wieder drucken lassen. Noch heute wird der Macher, der Hansdampf, das Glückskind gebucht, damit er aus seinem facettenreichen, erfolgreichen Leben erzählt.
Es ist vieles anders geworden
Aber er gibt auch zu, dass er heute sein Unternehmen nicht mehr so aufbauen könnte wie vor bald 60 Jahren. «Die Welt hat sich sehr verändert.» Es sei tatsächlich schwierig geworden, heute noch genügend Fachkräfte zu engagieren. Aber auch eine Sportkarriere wie seine sei heute nicht mehr möglich. Zum Bobsport sei er gekommen, weil er als Nationalturner athletisch gewesen sei und weil er einen Kunden zum Skifahren in St. Moritz GR getroffen habe. «Dort habe ich mein erstes Bobrennen gesehen und war fasziniert. 1968 war ich Bremser im Zweierbob von Hans Kleinpeter. Ich habe den Bob angestossen, nach vier Kurven wusste ich nicht mehr, wo wir waren, der Bob überschlug sich, ich fiel raus – und hatte die Schnauze voll!» Kleinpeter offerierte Leutenegger den zweiten Sitz im Viererbob, «das ist der Fauteuil unter den Bobsitzen», sagt Leutenegger. Bald war er wieder Bremser, weil sich ein Teamkollege verletzt hatte.
Jean Wicki, der spätere Goldpilot von Sapporo, warb Leutenegger ab. Die beiden wurden enge Freunde. Bei Wicki kaufte Leutenegger seinen ersten Mercedes, «weil Jean eine Mercedes-Vertretung hatte». Sein Lieblingsauto sei der Ford Mustang gewesen, der erste Wagen ein Opel Rekord, «eine Occasion für 400 Franken, natürlich habe ich das Auto bar bezahlt». Den ersten Neuwagen habe er erst erworben, als er wohlhabend gewesen sei, erinnert sich Leutenegger. Der erste Mercedes, jener von Wicki, sei goldfarben gewesen, «wegen des Olympiagolds», sagt Leutenegger und lacht. Den Erfolg von Sapporo habe er sich vergolden lassen wollen: «Ich machte als Olympiasieger Werbung für mein Unternehmen – worauf ich vom Verband für ein Jahr gesperrt worden bin. Olympia und Sponsoring, das passte zu jener Zeit gar nicht zusammen.»
Eine absolute Frechheit
Heute vertragen sich Autos mit Verbrennungsmotor nicht mehr mit dem Klimaschutz. «Ich bleibe bei den Benzinern. Nicht weil mich Umweltschutz nicht interessiert, ich liebe die Natur. Aber ich bin schlicht zu alt, als dass ich mich nun noch um Elektroautos kümmern müsste.» Ganz und gar kalt lässt ihn der Mobilitätswandel dennoch nicht. «In vielen Städten werden Autofahrer nur noch schikaniert!», sagt Leutenegger und wird noch lauter: «Am meisten regen mich diese Menschen auf, die sich am Asphalt festkleben und den Verkehr aufhalten. In den Autos sitzen Familienväter und -mütter, die zur Arbeit wollen, deren Existenzen aufs Spiel gesetzt werden. Ja, ging denn in den vergangenen Jahren wegen Corona nicht schon genug kaputt und den Bach runter wie zum Beispiel die Wirtschaft? Müssen wir uns wirklich eine Greta Thunberg antun? Es ist eine absolute Frechheit, was diese Menschen der arbeitenden Gesellschaft antun. Man müsste sie zwingend härter anpacken!» Die sollen arbeiten und etwas leisten, hallt es durch die Geschäftsstelle in Bern-Bümpliz.
Zweifellos, Hausi Leutenegger hat viele Geschichten zu erzählen. Lustige, interessante, spannende. Aber zwischendurch macht er auch eine Ansage. Und die hat dann Gewicht. Weil sie von Hausi Leutenegger kommt. Denn der Macher, der Anpacker, der Hansdampf, der Selfmade-Millionär traute sich in seinem Leben auch etwas, krempelte die Ärmel hoch und schuf etwas.
Es überrascht nicht, dass Hausi Leutenegger nun auf das Thema Autosalon Genf zurückkommt. «Der Autosalon war ein Erlebnis für die ganze Schweiz. An den Autosalon kamen sie immer alle. Sogar solche, die kein Auto besassen!» Leutenegger, der immer wieder am Autosalon zu Gast war und hinter die Kulissen blicken konnte, will nicht darüber urteilen, was heute hinter den Kulissen des Autosalon abläuft – oder eben nicht. «Ich kann deshalb auch nicht sagen, was man anders machen müsste.» Ruedi Huser hätte es vermutlich gewusst. Der 2009 verstorbene Krienser war ein Freund Leuteneggers – und ebenso ein Macher. 1962 war Huser der erste Sekretär des Autosalons, zwei Jahre später war er dessen Generaldirektor. 1964 hatte Huser acht Angestellte und 320 000 Besucher – 32 Jahre später, als er sein Amt abgab, zählte der Autosalon Genf 157 Angestellte und 750 000 Besucher. «Ruedi Huser hat sich im Grab umgedreht, als er gehört hat, dass der Autosalon nicht mehr in Genf stattfindet», sagt Hausi Leutenegger.