Enttäuschungen mit Artega, Halbleiterkrise und nun der Krieg in der Ukraine: Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass der Weg des kleinen Schweizer Unternehmens Microlino mit Stolpersteinen gespickt war. Nichtsdestotrotz ist die Familie Ouboter, die das kleine Schweizer Unternehmen besitzt und leitet, auf dem besten Weg zum Erfolg, und der Markteinführung ihres elektrischen Kleinstwagens steht (fast) nichts mehr im Weg. «Wir haben die Zulassungstests vor drei Monaten abgeschlossen. Wir hatten mit den europäischen Tests begonnen und mussten anschliessend noch die Schweizer Zulassung durchführen, die zwar grundsätzlich dieselbe ist, aber eine zusätzliche Frist von acht Wochen in Anspruch nimmt. Aber wir haben es geschafft. Jetzt haben wir endlich alle Papiere und befinden uns im letzten Schritt vor dem Produktionsstart», erklärt Merlin Ouboter, der Marketingverantwortliche bei Microlino.
Er beantwortete zusammen mit seinem Bruder Oliver, dem Betriebsleiter, die Fragen der AUTOMOBIL REVUE. Merlin Ouboter erzählte uns mehr über den aktuellen Stand des Projekts und über die Höhepunkte ihres Familienabenteuers. Mitten im Interview betritt ein eleganter Herr um die fünfzig den Raum: Wim Ouboter, der Vater von Oliver und Merlin und Gründer der berühmten Schweizer Trottinett-Marke Micro. Unverhofft erhalten wir die Gelegenheit, mit allen drei Männern gleichzeitig zu sprechen.
AUTOMOBIL REVUE: Wie sieht der aktuelle Stand des Projekts Microlino aus?
Merlin Ouboter: Unsere Produktionslinie ist endlich bereit, die ersten echten Produktionsfahrzeuge herzustellen, die über eine eigene Chassisnummer verfügen. Seit Anfang des Monats haben wir den Switch zwischen den letzten Vorlaufserien und den ersten echten Produktionsfahrzeugen gemacht. Diese werden bald an unsere ersten Kunden geliefert.
Zu Beginn des Projekts sagten Sie, dass Ihr Verkaufsziel zwischen 6000 und 10 000 Fahrzeugen pro Jahr liege. Ist das immer noch der Fall?
Oliver Ouboter: Es ist klar, dass unser Verkaufsvolumen in den ersten Monaten der Produktion nicht so gross sein wird. Zurzeit bauen wir erst rund zwei Fahrzeuge pro Tag, das macht zehn Stück pro Woche. Aber diese Zahl dürfte sich bald verdoppeln. Ursprünglich hatten wir geplant, ab diesem Jahr zwischen 2000 und 2500 Fahrzeuge zu produzieren. Aber wir ziehen es vor, mit dieser Zahl vorsichtig zu sein, denn die Lieferketten sind aufgrund der Halbleiterkrise und des Krieges in der Ukraine sehr fragil. Es ist klar keine gute Zeit, um über eine Erhöhung der Produktionsrate zu sprechen.
Gerade wenn man bedenkt, wie sehr diese Probleme die grossen Hersteller betreffen, fragt man sich, wie sich ein neuer Akteur wie Microlino Gehör verschaffen kann.
Merlin Ouboter: Das ist klar, Microlino ist im Vergleich zu den grossen Automobilherstellern ein kleiner Player. Nichtsdestotrotz ist die Situation, wie sie ist, wir müssen mit dem Status als Anfänger zurechtkommen. Aber es sind insbesondere die Marktpreise, denen man nur schwer folgen kann. Seit Corona sind die Kosten für Rohstoffe und Energie explodiert. Zum Beispiel hat sich der Preis für Stahl und Aluminium im Vergleich zum früheren Preis verdoppelt. Beim Kupferpreis ist es noch schlimmer, dieser hat sich verdreifacht. Die Preise für Nickel und Lithium, die in den Batterien vorkommen, sind ebenfalls stark angestiegen.
Ein Auto von Grund auf zu bauen, muss ein echtes Abenteuer gewesen sein. Wenn jeder von Ihnen den schönsten und den schlimmsten Moment bestimmen müsste, welche wären das?
Merlin Ouboter:Es gab nicht viele schlimme Momente. Aber wenn ich einen bestimmen müsste, dann vielleicht das, was 2015 ganz zu Beginn des Projekts passiert ist. Damals wollten wir unseren ersten Prototyp am Genfer Autosalon präsentieren. Das Auto war in China bei einem unserer Partner zusammengebaut worden, was uns beim Import ein bürokratisches Kopfzerbrechen bereitete. Aber wir schafften es, und als das Auto angekommen war, erhielten wir einen Anruf vom Flughafen Zürich, und man erklärte uns, dass der Lift, der das Auto transportiert hatte, dieses auf das Rollfeld des Flughafens hatte fallen lassen. Das Auto war komplett zerstört. Zum Glück schafften wir es, es in letzter Minute vor dem Event zu reparieren. Und der schönste Moment war zweifellos, als wir in München vor Gericht gegen Artega und Klaus Frers gewannen (die ehemaligen Partner Artega und deren Geschäftsführer Klaus Frers planten mit einer eigenen Micorlino-Variante, dem Karo – Red.).
Oliver Ouboter:Für mich bleibt die schönste Erinnerung der Erfolg unseres ersten Konzepts in Genf im Jahr 2015. Wir erhielten während der ersten beiden Tage des Events 500 Reservationen. Das war ein sehr schöner Moment, denn das war es, was uns dazu bewog, am Projekt festzuhalten. Der schlimmste Moment bleibt zweifellos diese Sache mit Artega, insbesondere als ich realisierte, dass es unmöglich sein würde, mit ihnen zusammenzuarbeiten und das Auto bei ihnen zu produzieren. Es war auch sehr schwierig, die Kommunikation mit den Kunden und der Presse einzustellen, als wir uns mit ihnen im Rechtsstreit befanden.
Sich ein Auto auszudenken, zu entwickeln und zu konstruieren, ist eine gigantische Aufgabe. Können Sie einen Rückblick auf die Erfahrungen der letzten Jahre geben?
Oliver Ouboter:Zu Beginn des Projekts wussten wir nichts, obwohl wir das zu dieser Zeit natürlich komplett ignorierten. Seither wurden wir uns der Grösse der Aufgabe bewusst. Wir haben gelernt, die verschiedenen Phasen der Entwicklung zu verwalten. Für mich bestand die grösste Herausforderung als Newcomer nicht so sehr in der Entwicklung des Autos, sondern vielmehr im Umgang mit den verschiedenen Zulieferern – Unternehmen, für die wir kleine Player waren und daher kaum eine Rolle spielten. Ganz im Gegensatz zu den grossen Herstellern, von denen sie befürchten, sie zu enttäuschen. So waren wir nie ihre Priorität. Das bereitete uns einige Probleme, denn als Hersteller brauchen wir Zulieferer, um ein Auto zu bauen.
Merlin Ouboter:Als wir das Projekt Microlino ankündigten, versuchten zahlreiche Personen, uns zu entmutigen, indem sie uns sagten, dass das Ausmass der Aufgabe, die uns erwarte, enorm gross sei. Zum Glück ignorierten wir das damals. Ein Auto zu bauen, kommt einem Rennen über die Berge gleich, bei dem jede Passhöhe ein neues Problem darstellt, das es zu bewältigen gilt. Das Geheimnis besteht darin, Schritt für Schritt vorzugehen und nie aufzugeben.
Könnten Sie sieben Jahre zurück, würden Sie das Microlino-Abenteuer erneut starten?
Oliver Ouboter:Das steht ausser Frage. Wir glauben heute mehr denn je an unser Produkt, denn es spart Platz auf den Strassen. Ausserdem bietet sich der Microlino als glaubwürdige Alternative für zahlreiche Verwendungszwecke an.
Würden Sie Dinge anders machen?
Merlin Ouboter:Nein. Zugegeben, wir sind auf grosse Probleme gestossen, insbesondere nachdem Tazzari das Unternehmen verkauft hatte. Aber wir können nicht wissen, was passiert wäre, wenn wir anders gehandelt hätten. Und heute sind wir mit dem Resultat sehr zufrieden.
Für wen sind die ersten Fahrzeuge bestimmt?
Merlin Ouboter:Für Schweizer Kunden.
Und wie teuer wird der Microlino verkauft?
Merlin Ouboter: Die Basisversion kostet etwas weniger als 15 000 Franken. Aber dieser Preis ist noch nicht ganz sicher, denn wir müssen noch einige weitere Kalkulationen durchführen.
Er ist also viel teurer als ein Citroën Ami mit 8900 Franken!
Oliver Ouboter: Ja, das stimmt. Aber in dem Segment sind die Konkurrenten darauf ausgelegt, dass sie möglichst billig sind. Das ist beim Microlino nicht der Fall, er ist eher Premium. Er ist robuster und wurde so konzipiert, dass er dem Zahn der Zeit standhält. Er dürfte seinen Wert daher behalten, unter anderem dank seines gut verarbeiteten Chassis. Die Gesamtbetriebskosten dürften ausserdem niedriger sein als bei den Konkurrenzmodellen.
Wim Ouboter, sind Sie stolz auf die Arbeit Ihrer beiden Söhne und auf die Richtung, die Ihr Unternehmen eingeschlagen hat?
Wim Ouboter: Enorm stolz. Es ist sehr schön für einen Vater, wenn er mit seinen beiden Söhnen zusammenarbeiten kann. Und es ist umso besser, wenn man zusammen an einem neuen Projekt wie dem Microlino arbeitet. Wenn ich heute A sage, Merlin oder Oliver aber B sagen, dann habe ich keine Chance, mich durchzusetzen. (lacht)
Hat das Abenteuer Microlino nicht zu Spannungen in Ihrer Familie geführt?
Wim Ouboter: Ich denke, das Gegenteil war der Fall. Es hatte eine hervorragende Wirkung, denn es lieferte uns gute Gesprächsthemen. Am Tisch diskutierten wir nicht mehr über Politik oder lästerten über andere Personen, sondern sprachen über Dinge, die wir noch erreichen wollten. Abgesehen davon muss ich sagen, dass für meine Söhne der Druck, dies in der Familie zu tun, wahrscheinlich grösser ist, denn ihre Entscheidungen haben Auswirkungen auf ihre Angehörigen.
Merlin Ouboter: In allen Projekten gibt es Spannungen und schöne Momente. Im Microlino-Abenteuer haben wir weit mehr schöne als schlechte Momente erlebt. Es ist auch positiv, mit der Familie zu arbeiten, da man sich austauschen und über Probleme, die man bei der Arbeit hat, sprechen kann. Man behält sie nicht für sich.
Wie viel hat Sie das Projekt Microlino gekostet?
Wim Ouboter: Wir bevorzugen es, diese Frage nicht zu beantworten. Aber ich kann Ihnen eine grobe Vorstellung davon geben, was so etwas kostet: Als der Autohersteller Volkswagen ein Trottinett entwickelte, investierte er mehr als 30 Millionen in das Projekt. Wir entwickeln heute kein Trottinett, sondern ein Auto. Aber wir bleiben ein sehr kleines Team, da nur sechs Personen in der Schweiz und etwa zehn in Italien an dem Projekt arbeiten.
Merlin Ouboter: Zusätzlich arbeiten wir mit externen Geschäftspartnern. Ausserdem planen wir, weitere Mitarbeitende einzustellen, wenn das Projekt und die Produktion grösser werden. Die Montagestrasse von Cecomp in Italien kann bis zu 100 Personen beschäftigen.
Wim Ouboter: Es ist auch wichtig zu wissen, dass wir das ganze Projekt selbst finanzieren. Und wir haben auch genügend Mittel, um uns weiter zu finanzieren, falls das Projekt nicht sofort rentabel sein sollte. Die Trottinette bringen mehr ein, als wir in diesen Markt reinvestieren könnten.
Was ist Ihr nächstes Ziel, jetzt, wo der Microlino tatsächlich auf der Strasse ist?
Merlin Ouboter: Wir haben sehr viele Projekte und Ideen. Natürlich müssen wir diese noch geheim halten, aber was wir sagen können, ist, dass wir nicht zu Smart werden und ein SUV bauen werden. Wir möchten in der Fahrzeugkategorie unter 500 Kilogramm bleiben. Das ist die Definition von Micro-Mobility. Es gibt noch andere Arten von Fahrzeugen, die es wert sind, dass man sich genauer mit ihnen befasst.
Wim Ouboter: Die Umgestaltung der Mobilität bedeutet nicht einfach, dass Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren ersetzt werden müssen. Die neue Mobilität muss für kleine Autos stehen. Und für diejenigen, denen es nicht möglich ist, in kleineren Autos zu fahren, kann der Microlino als Zweitauto in Betracht gezogen werden, das für kurze Fahrten im Alltag praktisch ist.
Grossartig! Noch immer ein faszinierendes Fahrzeug das ich vor Jahren vorbestellt habe und wohl auch noch Jahre drauf warten muss da ich in Frankreich wohne. Trotzdem freue ich mich sehr darauf. Ich hoffe, dass es bald noch eine stärkere Version geben wird da für mich das Fahrzeug als einziges Fahrzeug vorgesehen ist. Ich fahre seit über 10 Jahren Elektroauto und brauche für meine Tätigkeit mindestens 400 km Reichweite. Mal sehen was man draus machen kann. Viel Spaß beim bei der Markteinführung wünsche ich der Familie und dem ganzen Team. Gruß aus Frankreich und neuerdings aus Italien Josef
Es freut mich sehr, dass seit langem wieder einmal ein Leicht-Elektrofahrzeug auf den Markt kommt. Für die geleistete Arbeit und Weitsicht kann man den Initianten nur danken. Der Microlino wird ein grosser Erfolg! Alles Gute für die Markteinführung!