Als Nachfolger von Ueli Maurer trat Albert Rösti zu Jahresbeginn seine Aufgabe als Bundesrat an. Der SVP-Politiker wurde Chef des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) und folgte damit auf Simonetta Sommaruga (SP) – und erbte angesichts der aktuellen Umbrüche in der Klima-, Verkehrs- und Energiepolitik ein äusserst herausforderndes Amt. In Porträts wird als herausragende Eigenschaft Röstis sein ausgleichendes, höfliches Naturell beschrieben – eine Eigenschaft, die ihm während seiner Amtszeit als SVP-Präsident eher als Schwäche ausgelegt wurde, die aber als Bundesrat gefragt ist. Fachexpertise sammelte Rösti, der als dossierfest gilt, als Präsident der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves), beim Dachverband der Brennstoffhändler Swissoil sowie als Präsident der Automobilimporteurs-Vereinigung Auto-Schweiz. Mit der AUTOMOBIL REVUE blickt er auf das erste halbe Jahr seiner Amtszeit zurück.
AUTOMOBIL REVUE: Herr Bundesrat, Sie sind nun ein halbes Jahr im Amt. Haben sich Ihre Vorstellungen, Erwartungen, vielleicht auch Befürchtungen bestätigt?
Albert Rösti: Ich darf für die Zukunft unseres schönen Landes gute Lösungen suchen. Das ist eine wunderbare Aufgabe – und ein Privileg! Ich gebe aber gerne zu, dass ich die zeitliche Beanspruchung des Amtes schon ein wenig unterschätzt habe. Bundesrat ist man sieben Tage die Woche. Die Auseinandersetzung mit den vielen Themen in meinem Departement ist intensiv und anspruchsvoll.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Eine freudige Überraschung war der sehr freundliche und offene Empfang durch die Menschen in meinem Departement. Ich bin umgeben von kompetenten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auf die ich mich stets verlassen kann.
Sprechen wir über die Verkehrspolitik. Die Strasseninfrastruktur ist heillos überlastet. Sie streben unter anderem einen Ausbau der Autobahn A1 an. Wie sieht da der Fahrplan aus?
Der Bundesrat hat im Strategischen Entwicklungsprogramm Nationalstrassen aufgezeigt, wann er welche Kapazitätsengpässe beseitigen will. Zuerst wird dort ausgebaut, wo die Verkehrsprobleme am grössten und Verkehrsmanagementmassnahmen ausgeschöpft sind. Derzeit berät das Parlament den aktuellen Ausbauschritt. Darin enthalten sind nach dem Beschluss des Nationalrats auch drei Projekte auf der A1: Wankdorf–Schönbühl und Schönbühl–Kirchberg in der Region Bern sowie Le Vengeron–Coppet–Nyon im Raum Waadt/Genf. Aber nicht nur die A1 ist wichtig. Eine funktionierende Infrastruktur stärkt den Zusammenhalt in der Schweiz und ermöglicht wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand. Es ist daher wichtig, dass wir der Infrastruktur in allen Regionen der Schweiz Sorge tragen. Zwischen 2024 und 2027 will der Bundesrat 8.8 Milliarden Franken für Unterhalt, Betrieb und Anpassungen auf den bestehenden Nationalstrassen investieren. Bis 2030 sind zudem Kapazitätserweiterungen im Umfang von 11.6 Milliarden Franken vorgesehen. Diese Projekte befinden sich vor allem in den Agglomerationen. Das sind aber höchstens punktuelle Entlastungen. Das grundsätzliche Problem bleibt bestehen, dass die Infrastruktur für die enorm gestiegene Nachfrage nicht mehr genügt. Mit Step nimmt der Bundesrat genau diese Problematik auf. Es geht darum, gezielt dort auszubauen, wo es nötig ist. Dies dient auch dazu, das Autobahnnetz robuster zu gestalten, damit bei Unterhaltsarbeiten oder Tunnelsanierungen der Verkehr trotzdem fliessen kann und es zu keinem Umverkehr in umliegende Dörfer oder Städte kommt.
Die Zahl der Staustunden ist in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren regelrecht explodiert. Welche Rolle spielt dabei die anhaltend hohe Zuwanderung?
Auf den Nationalstrassen hat sich der Verkehr seit 1990 mehr als verdoppelt. Die Zuwanderung spielt dabei klar eine Rolle. Wir sind heute aber auch öfter unterwegs als früher, sowohl auf der Strasse als auch auf der Schiene, und dies im Beruf und in der Freizeit.
Auch am Gotthard kommt es immer öfter zu Staus. Manche fordern jetzt die Umstellung auf ein Mautsystem. Kann das die Lösung des Problems sein?
Ich habe Verständnis für den Unmut der Bevölkerung am Gotthard. Der Ferienverkehr weicht auf die umliegenden Dörfer aus und belastet dort die Menschen und die Umwelt. Die Einführung einer Maut wurde vor rund zehn Jahren in einer Vernehmlassung diskutiert und abgelehnt. Das Parlament hat uns nun beauftragt, in einem Bericht aufzeigen, wie das Verkehrsmanagement im alpenquerenden Verkehr, insbesondere auf der Gotthard- und San-Bernardino-Achse, verbessert werden kann. Im Rahmen dieses Berichts werden wir auch die Vor- und Nachteile einer Maut aufzeigen. Daneben steht das Bundesamt für Strassen in engem Austausch mit den Kantonen. Mit der Verlängerung der Ausfahrten Göschenen und Airolo werden die Kantonsstrassen entlastet.
Der Gotthard ist ein Flaschenhals. Der Stau ist politisch gewollt. Wäre es nicht klüger und auch ökologischer, die im Bau befindliche zweite Röhre künftig zu öffnen?
Der Alpenschutzartikel in der Verfassung verbietet eine Erhöhung der Kapazitäten. Wer am Gotthard mehr Transitverkehr will, muss folglich die Stimmberechtigten an der Urne überzeugen. Ich gebe zu bedenken, dass mehr Kapazität am Gotthard sich auch auf die Zubringerstrecken auswirken würde, also auf die Autobahnen im Mittelland. Und gerade hier kommt es oft zu Engpässen. Wollen wir das wirklich verschärfen mit einer noch attraktiveren Gotthardroute für den Transitverkehr?
Die forcierte Elektrifizierung der Mobilität stellt grosse Anforderungen an das Stromnetz und die Ladeinfrastruktur. Können wir diesbezüglich mit der rasanten Entwicklung überhaupt mithalten?
Ja, aber dafür brauchen wir genug Strom, geeignete Ladeinfrastrukturen und belastbare Netze. Auf allen drei Ebenen ist der Bund aktiv. Wir produzieren in der Schweiz immer mehr erneuerbaren Strom. Das ist erfreulich! Nur schon die 2022 erstellten Fotovoltaikanlagen produzieren über zehnmal mehr Strom als die im letzten Jahr neu zugelassenen E-Autos benötigen. Momentan verbrauchen übrigens alle E-Autos zusammen rund 0.6 Prozent des Schweizer Stroms. Auch die Ladeinfrastruktur bauen wir laufend aus. Entlang der Nationalstrassen gibt es auf den Raststätten und Rastplätzen schon recht viele Ladestationen. Anders sieht es bei der privaten Ladeinfrastruktur aus, vor allem in Mehrparteiengebäuden. 60 Prozent der Menschen in der Schweiz sind Mieterinnen und Mieter, und weitere zwölf Prozent besitzen Stockwerkeigentum. Beide Gruppen können nicht einfach so eine Ladestation installieren. Um sie zu unterstützen, sieht aber das revidierte CO2-Gesetz ein Förderprogramm vor.
Zu diskutieren gibt auch die zukünftige Finanzierung des Verkehrs. Die Umstellung auf Strom lässt die Einnahmen aus Mineralölsteuer und -zuschlag sinken. Welches Finanzierungsmodell streben Sie an?
Mir ist die Fairness wichtig. Alle sollen die Kosten für die Strassen mittragen, E-Autofahrer genauso wie Fahrer von Benzin- und Dieselautos. Der Bundesrat plant deshalb, eine Ersatzabgabe für Fahrzeuge mit alternativem Antrieb einzuführen. Wie die Abgabe erhoben werden soll, prüfen wir im Moment sorgfältig. Möglich sind Lösungen, wie wir sie beim Schwerverkehr mit der bewährten leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA – Red.) kennen. Aber auch Alternativen ohne geografische Lokalisierung werden geprüft.
Droht den Automobilisten damit bald ein Road-Pricing?
Heute wird die Infrastruktur über die Mineralölsteuern finanziert. Wer mit Benzin oder Diesel unterwegs ist, leistet also einen Beitrag an die Strassen. Nun gibt es immer mehr E-Autos – und in Zukunft wohl auch Wasserstoffautos. Auch sie müssen einen Beitrag zur Finanzierung der Infrastruktur leisten. Daher stellt sich die Frage, ob wir bei den neuen Fahrzeugen weiterhin die Energie besteuern sollen oder ob wir auf die gefahrenen Kilometer als Bemessungsgrundlage wechseln. Die Antwort wird emotionslos sein, es wird die günstigste, technisch machbare Variante sein.
Reden müssen wir auch über das neue Klimagesetz. Die Befürworter haben im Abstimmungskampf immer gesagt, es werde keine neuen Verbote geben – beispielsweise von Verbrennerfahrzeugen. Doch schon am Abstimmungssonntag klang es anders. Sie wollen sich für Lösungen ohne Verbote einsetzen. Wie kann das gelingen?
In der Schweiz ist kein Verbot von Benzinautos geplant. Fast alle Autos, die in die Schweiz kommen, werden für den EU-Markt produziert. Daher hat die Regulierung dort einen Einfluss auf unser Land. Kein Hersteller wird ausschliesslich für die Schweiz Verbrennerautos bauen, dafür ist unser Markt zu klein. In der EU haben viele Hersteller angekündigt, spätestens ab 2035 keine Autos mehr mit Verbrennungsmotor in Europa anbieten zu wollen. Die geplante Regulierung in der EU betrifft ausschliesslich Neufahrzeuge. Die Fahrzeuge, die schon in Betrieb sind, werden auch in Zukunft zugelassen sein.
Parlament und Volk haben Ihnen eine schier unlösbare Aufgabe gegeben: Sie müssen rund 60 Prozent der heutigen Energieversorgung mit Strom ersetzen. Ist das überhaupt machbar?
Es wäre vermessen, heute bereits den Energiemix von 2040 vorauszusagen. Ich bin langfristig technologieoffen. Vorerst müssen wir nun vorwärts machen und rasch mehr einheimischen Strom produzieren. Die Weichen sind in eine gute Richtung gestellt. Mit dem Mantelerlass, den das Parlament wohl in diesem Herbst fertig beraten wird, sichern wir einen massgeblichen Zubau an Strom. Mit dem bereits in Kraft getretenen Solarexpress und dem Windexpress ab 2024 sollten rasch Investitionen in neue Stromproduktionsanlagen getätigt werden. Hinzu kommt die Vorlage zur Beschleunigung der Verfahren, die der Bundesrat im Juni ins Parlament geschickt hat.
Ohne Kernkraft könnt es schwierig werden. Wie schätzen Sie die politischen Chancen für neue Atomkraftwerke ein?
Die bestehenden Kernkraftwerke sollen so lange weiterlaufen, wie sie sicher sind. Hier spricht man schon von mehr als 60 Jahren. Bei der längerfristigen Energieversorgung bin ich technologieoffen. Wenn in einigen Jahren neue Kraftwerkstypen mit annehmbaren Kosten und hoher Sicherheit verfügbar werden, könnte sich die Situation wirtschaftlich und politisch gegenüber heute ändern. Dies hängt davon ab, wie viel Strom wir mit neuer erneuerbarer Energie hinkriegen.
Die Kernkraftgegner betonen, ein Neubau würde viel zu lange dauern. Aber kommen wir überhaupt darum herum?
Nochmals: Ich bin langfristig technologieoffen. Jetzt konzentriere ich mich auf das, was kurzfristig möglich ist.
Kommen wir zum Schluss auf das Thema Auto zurück. Sie haben nun einen Dienstwagen. Um welches Modell handelt es sich?
Um einen elektrischen BMW i7 xDrive 60.
Mit welchen Extras ist ein Bundesratswagen ausgestattet? Kommt James-Bond-Feeling auf?
Die Ausstattung ist gewiss nicht auf James-Bond-Niveau. Wichtig ist, dass ich unterwegs gut Akten studieren und telefonieren kann.
Zur Person
Albert Rösti (55) ist seit Jahresanfang Bundesrat und Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation. Der in Frutigen im Berner Oberland geborene promovierte Agrarökonom lebt in Uetendorf BE bei Thun, wo er auch seine ersten politischen Ämter als örtlicher SVP-Präsident, Gemeinderat und Gemeindepräsident inne hatte. 2011 schaffte Rösti erstmals den Sprung in den Nationalrat, von 2016 bis 2020 amtierte er als Präsident der SVP, im Herbst 2022 wurde er als Nachfolger von Ueli Maurer in den Bundesrat gewählt.