«Tank-to-Wheel ist ein erster Schritt zur Klimaneutralität»

Audi macht Ernst mit der Elektrifizierung. Wir haben uns exklusiv mit ­Technikvorstand Oliver Hoffmann unterhalten.

Im Volkswagen-Konzern ist einiges in Bewegung. Im Zuge der Elektrifizierung wird die technische Entwicklung neu ausgerichtet, alle Elektroplattformen werden zu einem Baukasten zusammengefasst, die Batteriezellen vereinheitlicht, die Elektronikarchitektur ebenso. Wir haben uns mit Audis Technikvorstand Oliver Hoffmann darüber unterhalten, was der Wandel für die Premiummarke bedeutet.

Automobil Revue: Audi hat kürzlich den A6 Avant E-Tron Concept präsentiert. Wie nah an der Serie ist der bereits?

Oliver Hoffmann: Er gibt nicht nur optisch einen guten Ausblick auf den A6 E-Tron, sondern auch technisch. Mit der PPE, die wir gemeinsam mit Porsche entwickelt haben, präsentieren wir eine neue Plattform mit neuen Motoren, gesteigerter Effizienz und Performance und einem 800-Volt-­Bordnetz, wodurch das Auto mit bis zu 270 kW schnellladen kann.

Und die J1-Plattform, auf der der E-Tron GT basiert, wird ein einmaliges Projekt bleiben?

Mit der J1-Plattform hat Porsche Pionierarbeit geleistet, aus der wir alle lernen konnten. Wir haben heute im Grunde genommen drei Plattformen, auf denen wir elektrische Fahrzeuge bauen: Mit dem Audi E-Tron auf Basis der MLB evo waren wir Pionier im Bereich der Elektromobilität, dann kamen die J1 und die MEB. Der nächste wichtige Schritt ist jetzt die PPE, welche wir gemeinsam mit Porsche entwickeln. Langfristig wollen wir all diese Plattformen synergetisch zusammenzubringen.

Wie werden diese verschiedenen Plattformen künftig innerhalb des Konzerns genutzt werden?

Zukünftig werden alle Plattformen in einem gemeinsamen Baukasten zusammengeführt: im SSP. Klar, man kriegt schwer ein A-Segment-Auto und eine D-Segment-Auto auf die gleiche Plattform. Wichtig ist aber, dass die Komponenten und die Systeme innerhalb des Baukastens gleich gehalten werden. Das heisst, es können alle Plattformen im Volkswagen-Konzern aus einem einzigen Baukasten bedient werden. Im Vergleich dazu haben wir heute einen MQB-Baukasten, einen MLB-Baukasten, dazu die verschiedenen Baukästen der Elektromobilität. Das klare Ziel ist es, alles in einem Konzernbaukasten konvergieren zu lassen und Komplexität zu reduzieren.

Wie sieht es mit der Batterieentwicklung aus?

Wir haben uns innerhalb des Konzerns auf ein einheitliches Zellformat verständigt, die sogenannte prismatische Einheitszelle. Das hat den riesigen Vorteil, dass wir im Konzernverbund einen wahnsinnigen Skaleneffekt haben. Natürlich wird es aber verschiedene Batteriegrößen und auch Leistungsstufen geben. Wir bei Audi pilotieren diese Einheitszelle mit dem Projekt Artemis, das wir 2025 präsentieren werden.

Kann man sagen, dass Audi hier die Vorreiterrolle einnimmt im Konzern?

Da stehen wir mit unserem Slogan «Vorsprung durch Technik» schon in der Pflicht und dieser Rolle als Technologievorreiter wollen wir gerecht werden. Mit dem ersten Modell aus dem Artemis-Projekt werden wir wichtige Neuheiten bringen, wie eben die Einheitszelle aber auch die E3 2.0, die neue Elektronikarchitektur, die wir gemeinsam mit Cariad entwickelt haben.

Ganz anderes Thema: Audi war lange stark in der Entwicklung von synthetischen Treibstoffen. Wie steht es darum?

Wir haben mit unserer Pilotanlage gezeigt, was möglich ist in diesem Bereich. Wir haben auch kürzlich unsere Dieselflotte freigegeben für R33, das zu einem Drittel aus regenerativen Komponenten besteht. Wir haben aber ein klares Ziel der nachhaltigen und klimaneutralen Mobilität, und dazu bedarf es batterieelektrischer Mobilität. Synthetische Kraftstoffe können eine Komponente auf dem Weg dorthin sein, um die Bestandsflotte zu dekarbonisieren. Sie sind aber langfristig nicht Teil der klimaneutralen Mobilität der Zukunft.

Der Individualverkehr kann also nicht als Nutzniesser neben der Schiff- und der Luftfahrt mitschwimmen, wo es keine überzeugende Alternative zu synthetischen Treibstoffen gibt?

Das sehe ich deswegen nicht, weil die Verfügbarkeit der synthetischen Kraftstoffe nicht gegeben ist. Wir haben noch grosse Herausforderungen in der Dekarbonisierung der Schifffahrt und der Luftfahrt. Da können grüner Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe die richtigen Bausteine sein, und deswegen macht es keinen Sinn, dort in Konkurrenz zu stehen mit dem Individualverkehr.

Damit ein Produkt Cradle-to-­Grave klimaneutral ist, braucht es auch eine klima­neutrale Liefer­kette.

Der erste Schritt ist es, die Klimaneutralität Tank-­to-Wheel sicherzustellen, und dazu sind elektrische Fahrzeuge ein guter Schritt. Wir haben uns das Ziel gesetzt, bis 2025 allen E-Tron-Kundinnen und -Kunden in Europa bilanziell klimaneutralen Grünstrom zur Verfügung zu stellen. Parallel dazu schauen wir tief in die Lieferkette. Wir werden diese unter ethischen und ökologischen Gesichtspunkten überwachen und dann auch klimaneutral machen. Bilanziell produzieren wir schon in einigen Werken CO2-neutral, beispielsweise in Brüssel. Die nächsten Themen sind dann Recycling und Circular Economy, um sicherzustellen, dass Fahrzeuge schon in einer frühen Phase so ausgelegt werden, dass die Wiederverwertbarkeit gegeben ist. Gerade bei den Batterien ist das extrem wichtig.

Damit stellt man sicher, dass wir nicht in einigen Jahren auf einem Haufen Altbatterien sitzen? Es können ja nicht alle als Second-Life-Batterien in Heimspeichern zum Einsatz kommen.

Ich finde diesen Use Case des Second Life sehr sinnvoll, aber man kann natürlich nicht alle Batterien einer Second-Life-Verwendung zuführen. Es macht mehr Sinn, die raren Materialien in den Batterien wiederzuverwenden. Wir sehen, dass über 90 Prozent der Batterie mit einer hohen Güte recycelt werden können. Ich bin überzeugt, dass das nicht nur ein Thema der ökologischen Überzeugung ist, sondern auch aus der Versorgungssituation heraus Sinn macht.

Gerade in der Schweiz sind typischerweise die S- und RS-Modelle die meistverkauften Ausführungen. Das sind Kunden, die Verbrennungsmotoren lieben. Können Sie diese davon überzeugen, dass Elektroautos genauso attraktiv sind?

Wir zeigen mit dem RS E-Tron GT, wie performante E-Mobilität der Zukunft aussehen kann – ich kenne keinen, der da nicht mit einem Grinsen aussteigt. Wir haben also im High-Performance-Bereich eine klare Vision, wohin wir uns entwickeln wollen. Auf dem Weg dorthin werden wir aber noch spannende Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sehen, die noch ein Stück mehr elektrifiziert sind als heute, aber genauso viel Spass machen.

Sie sprechen die Plug-in-Hybride an. Sind diese ein nötiger Zwischenschritt auf dem Weg zur vollen Elektrifizierung?

Wir werden 2025 noch einmal eine komplett neue Generation an Fahrzeugen mit überarbeiteten Verbrennungsmotoren bringen und diese noch einmal stärker elektrifizieren. Wir glauben, dass der Hybrid eine Brückentechnologie ist, die uns noch eine ganze Zeit lang begleiten wird auf dem Weg zu einer klimaneutralen Mobilität.

Was fasziniert Sie persönlich an dieser Zeit der Transformation?

Es ist für mich ein Privileg, in diesem Jahrzehnt bei Audi als Entwicklungsvorstand diese Arbeit machen zu dürfen. Sie ist hochspannend, und ich liebe diese Herausforderung. Wir entwickeln uns konsequent von einem klassischen Automobilbauer hin zu einem Tech-Unternehmen und haben Entwicklungsansätze, die man sonst eher aus der Softwareindustrie kennt. Wir entwickeln uns also nicht nur bei den Produkten, sondern auch bei unserer Organisation und dazu gehört auch ein super Team! Wir haben bei Audi mit der Strategie 2030 ein klares Ziel, wo es hingehen soll, und haben das konsequent schon in die technische Entwicklung gebracht. Aber das bekommen Sie nur hin, wenn Sie auch ein entsprechendes Entwicklungs-Team haben, und auf dieses bin ich sehr stolz!

Oliver Hoffmann ist seit März 2021 Vorstand für technische Entwicklung bei Audi. Nach mehreren Jahren als Leiter der Antriebsentwicklung in Györ (Ungarn) und in Ingolstadt (D) trat der Ingenieur 2017 die Leitung der technischen Entwicklung von Audi Sport an. Später leitete er die technische Entwicklung in Neckarsulm und die Antriebsentwicklung der Audi AG.


Einer für alle – der nächste Konzern-Baukasten

Noch vor wenigen Jahren war Software eine Begleiterscheinung im Auto, eine Notwendigkeit, um die Mechanik zu unterstützen. In einem modernen Fahrzeug sind bereits mehrere Millionen Zeilen Programmiercode enthalten, in den kommenden Jahren wird der Umfang in die Hunderte von Millionen gehen. So ist es nahe-liegend, dass sich auch die Art und Weise, wie Fahrzeuge entwickelt werden, immer mehr dem Stil annähert, wie heute Software entwickelt wird. Was das bei Volkswagen bedeutet, erklärt Thomas Ulbrich, Volkswagen-Vorstand für technische Entwicklung: «Anstatt Hardware first heisst es in Zukunft Software first. Wir richten unsere Prozesse nicht mehr an einzelnen Bauteilen, sondern an Systemen und Funktionen aus. Damit können wir die Entwicklungszeiten um 25 Prozent verkürzen.» Münden soll die Transformation in der Scalable Systems Platform (SSP), dem nächsten Baukasten des Volkswagen-Konzerns. Er ist umfassender als je ein Baukasten zuvor: Alle Modelle aller Marken sollen dereinst auf der SSP aufbauen. Den Beginn macht Project Trinity von VW im Jahr 2026.

Die aktuell drei Konzernplattformen J1 (Porsche Taycan, Audi E-Tron GT), PPE (Audi A6 E-Tron, Porsche Macan) und MEB werden in den kommenden Jahren in einen einzelnen skalierbaren Baukasten zusammengeführt, der vom Kleinwagen bis zur Oberklasse alle Segmente abdecken kann. Das wird dadurch möglich, dass im Baukasten nicht mehr einzelne Bauteile definiert sind, sondern nur noch Systeme und deren Funktionen.

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