«Im Oval zu fahren, ist viel komplexer»

Der Genfer Romain Grosjean war dieses Jahr eine der Entdeckungen in der US-amerikanischen Indycar-Serie. Dort hat ihn nach der Rookie-Saison das bekannte Team Andretti unter Vertrag genommen.

Romain Grosjean wurde am 17. April 1986 in Genf geboren. Er besitzt auch den französischen Pass. Grosjean gewann in seinen ersten Jahren einen Titel nach dem anderen (u. a. F3 2007, Auto-GP 2010 und GP2 2011). In der Formel 1 holte er bei 179 GP zehn Podestplätze (mit Renault, Lotus und Haas). Dieses Jahr war er zweitbester Rookie der Indycar.

Eine Poleposition, dreimal auf dem Podium, spektakuläre Aufholjagden und ein mehr als überzeugendes Debüt auf einer der typisch amerikanischen, ovalen Rennstrecken, um die Romain Grosjean erst eine grossen Bogen machte: Die Bilanz des Genfers nach seinem ersten Jahr in der Indycar-Meisterschaft lässt sich sehen, so sehr, dass Michael Andretti, Sohn von Rennlegende Mario Andretti, ihn für 2022 unter Vertrag nahm. Für Grosjean ist das der Anfang einer neuen Geschichte nach dem Ende in der Formel 1. Nach einer erneuten Operation an der linken Hand, an der sich der 35-Jährige vor rund ­einem Jahr bei seinem Feuerunfall beim Formel-1-GP Bahrain Verbrennungen zugezogen hat, verlässt er mit seiner Familie die Schweiz in Richtung USA – bereit, um in Amerika ein neues Leben zu beginnen.

AUTOMOBIL REVUE: Warum diese Operation?

Romain Grosjean: Sie war geplant. Ich hatte eine Hauttransplantation, und es musste etwas verbrannte Haut entfernt werden. Es war nicht sehr störend bei den Rennen, aber es störte im Alltag. Ich hatte Schmerzen, die Haut war sehr empfindlich, ich musste die Hand immer wieder schützen.

Warum konnten Sie dieses Jahr in der Indycar selbst im kleinen Team Dale Coyne um Podestplätze kämpfen, etwas, das Ihnen in vielen Jahren in der Formel 1 nicht möglich war?

Weil wir alle die gleichen Autos haben. Man kann nur die Stossdämpfer verstellen. Sie sind sehr weit entwickelt. Ich weiss darüber mehr, wenn ich länger bei Andretti gefahren bin, denn das Team ist diesbezüglich sehr stark. Die Stossdämpfer spielen eine wichtige Rolle. Denn die amerikanischen Rundkurse sind in eher schlechtem Zustand. Der Asphalt ist oft 30 Jahre alt.

Der Fahrer kann also ein echtes Plus sein?

Ja, denn er kann das Auto so abstimmen, wie er es möchte, seinem Fahrstil entsprechend. In der Formel 1 hingegen bestimmt die Aerodynamik alles. Wenn das Auto zu Saisonbeginn untersteuert, dann bleibt es das ganze Jahr so.

Deshalb ist die Erfahrung so wichtig?

Deshalb haben die Fahrer eine lange Karriere und sind noch am Ende der Karriere stark. Es gibt wenige Testfahrten, die Rennwochenenden sind voll: zweimal 45 Minuten Testfahrten, wobei die Uhr bei einer roten Flagge, einem Abbruch, weitertickt und nicht gestoppt wird. Und es gibt nur einen Satz weicher Reifen. Mann muss schnell handeln und sich anpassen. Mit der Erfahrung kennt man aber die Strecken. Für den Fahrer ist das sehr dankbar, er baut so eine echte Beziehung zu seinem Renningenieur auf (Ingenieur Olivier Boisson zieht mit Grosjean vom Team Dale Coyne zu Andretti – Red.). Das liebe ich!

Hat Dale Coyne versucht, Sie zu behalten?

Ja, und es tat mir weh, ihm sagen zu müssen, dass ich gehe. Aber das Angebot von Andretti war zu toll. Das ist ein fantastisches Team, einer der grossen Namen im Motorsport. Für die Zukunft meiner Karriere war es die beste Option. Ich hatte drei Angebote, aber es war recht schnell klar mit Andretti. Ich fühlte mich sofort willkommen.

Grosjean (2. von rechts) mit seinem neuen Teamchef Michael Andretti (Mitte).

Hat Michael Andretti mit Ihnen über den Plan gesprochen, dass er in der Formel 1 das Team Sauber übernehmen wollte?

Ja, wir haben darüber geredet, aber eher im Spass. Ich habe ihm schnell gesagt, dass ich in der Indycar bleibe!

Wie verlief diesen Oktober Ihr Einstand beziehungsweise der Rookie-Test auf dem Ovalkurs in Indianapolis, wo die berühmt-­berüchtigten 500 Meilen gefahren werden?

Die vier Kurven sind identisch und doch alle verschieden! Derselbe Winkel, dasselbe Banking (Neigung – Red.), dieselbe Breite. Aber die Kurven eins und drei sind viel beeindruckender, denn man fährt schneller darauf zu. Ausserdem gibt es Tribünen auf beiden Seiten der Kurve eins, optisch bildet sich dort also ein Engpass.

Fährt es sich auf einem Ovalkurs anders als auf einem traditionellen Rundkurs?

Der einzige Unterschied ist der geringere Druck auf das Auto. Man fährt mit Fingerspitzengefühl, ganz fein. Die Konzentration des Fahrers ist sehr hoch. Man gewöhnt sich schnell an das Tempo (über 360 km/h im Schnitt – Red.). Aber zum Glück gibt es den Spotter, den Spion, der dich über Funk durch den Verkehr führt, denn man hat kaum Zeit, in die Rückspiegel zu schauen.

Blicken Sie den 500 Meilen von Indianapolis nächstes Jahr nun gelassener entgegen?

Ja, aber es bleibt ein wahnsinnig schnelles Oval mit entsprechenden Risiken. Auf diesem Oval wird es immer knapp zu- und hergehen. Aber ich bin bereit und freue mich darauf. Nächstes Jahr gibt es fünf Ovalrennen: Texas, Indianapolis, zweimal ­Iowa und Madison. Für die Meisterschaft sind sie immens wichtig.

Gateway war Ende August Ihr erstes und bislang einziges Ovalrennen. Sie fühlten sich offenbar schon wie zu Hause?

Ja, in der Tat, das lief gut (Platz 14 – Red.) Vorher sagte ich mir: Immer im Kreis fahren, das ist nicht lustig. Aber ich habe verstanden, dass es viel komplexer ist, als es aussieht. Man muss sein Gehirn schon sehr anstrengen! Aber das Auto macht viel aus. Ist es schlecht abgestimmt, darf man nicht den Helden spielen und muss ruhig fahren und abwarten. Vor so einer Strecke muss man Achtung haben. Aber es hat mir Spass gemacht!

Sie haben beschlossen, in den USA zu leben?

Wir haben ein Haus in der Nähe von Miami gekauft und ziehen im Dezember dort ein. Die Kinder Sacha, Simon und Camille sind super motiviert, auch wenn es nicht so einfach ist. Wir sind diesen Sommer eineinhalb Monate mit der Familie zwischen den Rennen im Motorhome gereist. Ich mache mir keine Sorgen. Wenn die Eltern glücklich sind, dann sind die Kinder es auch. Es gibt eine französische Schule in Miami, die es uns erlaubt, dass die Kinder im Schulprogramm bleiben. Wir behalten unser Haus bei Nyon auf jeden Fall. Aber eine Rückkehr ist nicht unsere Absicht. Ich bedauere nichts, im Gegenteil, ich freue mich sehr. Ein neues Kapitel beginnt.

Werden Sie die Formel 1 weiter verfolgen?

Aber sicher, mit viel Vergnügen. Es ist interessant, dass es vorne endlich wieder einen Zweikampf gibt. Zur Polemik Max Verstappen–Lewis Hamilton behalte ich meine Meinung aber lieber für mich. Nur so viel: mit Kies oder Gras am Streckenrand wäre die Frage bereits erledigt. In der Indycar ist es so: Wer aussen vorbei will, drängelt sich vor, wer innen fährt, gibt nach. Du beendest kein Rennen ohne Reifenspuren an der Karosserie. Und das wollen die Zuschauer sehen, nicht wahr?

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