Manche Marken erwecken Neid, andere Spott. Wieder andere entfachen leidenschaftliche Reaktionen, positive oder negative, je nach Neigung. Selten sind solche, bei denen sich Autoenthusiasten so einig sind wie beim Lotus. Wie könnte es auch anders sein? Der Hersteller aus Hethel (GB) hat die Gebote der Sportlichkeit – extrem geringes Gewicht, kompakte Bauweise und Leistung – zum Mantra erhoben. Allen Widrigkeiten zum Trotz, von Beinahe-Pleiten bis zu diversen Eigentümerwechseln, hat die britische Firma mit der Elise (1996) und dem Exige (2000) an ihrem Kurs festgehalten. Nun ist es jedoch an der Zeit, diese Modelle in den Ruhestand zu schicken. Das neue Modell, der Emira, steht schon bereit, um ihren Platz einzunehmen. Mit einem angekündigten Gewicht von 1405 Kilogramm ist allerdings nicht sicher, ob der Neuling die von ihren Anhängern so geliebten Elise und Exige ablösen kann. Zumal Lotus seinem Kultduo mit einer Final Edition einen denkwürdigen Abgang beschert.
Sich selbst treu
Der Exige Sport 420 Final Edition wird allerdings nicht wegen seiner besonderen Gestaltung in Erinnerung bleiben, denn die Aussenhaut des Autos ist, abgesehen von einem Logo an den vorderen Kotflügeln, identisch mit der des Exige Sport 410. Egal, es wäre auch unsinnig gewesen, Spoiler, Lufteinlässe und andere Accessoires anzuschrauben, um zehn zusätzliche PS zu signalisieren. Die Basis ist bereits mit allen Insignien ausgestattet: verstellbarem Spoiler, übergrossem Heckdiffusor, genuteten Bremsscheiben und so weiter.
Der aufmerksame Betrachter wird die Final-Edition-Version vermutlich erst am Innenraum erkennen. Nicht nur an den offensichtlichen Zeichen wie der Gedenkplakette, sondern vielmehr an seinem TFT-Bildschirm, der – eine Premiere beim Exige – die gewohnten Instrumente ersetzt. Auch das Alcantara-Lenkrad mit seiner abgeflachten Gestalt gehört zu den besonderen Merkmalen dieser ultimativen Modellvariante.
Das Cockpit ist ansonsten identisch mit dem des Exige Sport 410 und letztlich dem des frühen Exige ganz ähnlich. Natürlich hat Lotus auch den Innenraum aufgewertet und das mit Alcantara bezogene Armaturenbrett mit kontrastierenden Nähten versehen. Hinzugefügt wurde ausserdem eine – völlig unzugängliche – USB-Buchse. Das Autoradio scheint dagegen direkt aus den 1990er-Jahren zu stammen, und das rechte Fenster lässt sich nur öffnen, indem man sich zur Beifahrerseite hinüberbeugt. Um den Aussenspiegel einzustellen, greift man gar aus dem Fenster. Bis es aber so weit ist, muss man erst einmal das Gehampel beim Einsteigen hinter sich bringen: Der Einstieg gelingt nur mit Verrenkungen und einer präzisen Choreografie, um die breiten Chassisholme zu überwinden. Alltagstauglichkeit und intuitive Ergonomie treten hier weit in den Hintergrund.
Nur das Wesentliche
Ist man einmal drin, will man nicht mehr heraus. Nicht nur, weil das Aussteigen aus dem Exige noch komplizierter ist als das Einsteigen, sondern weil hier alles auf das Fahrvergnügen abgestimmt ist. Die niedrige, gestreckte Fahrposition ist perfekt, jedenfalls für kleinere Fahrer. Der Schalthebel mit seiner sichtbaren Mechanik ist eine Augenweide. Auf der Strasse wirkt der nur 4.08 Meter lange britische Winzling wie ein Spielzeug, verloren inmitten dicker SUV: Mit 1.13 Metern Höhe liegen die Auspuffrohre eines vorausfahrenden Crossovers auf Höhe der Windschutzscheibe des britischen Flohs. Dieses David-gegen-Goliath-Gefühl macht den Exige zu einem Sympathieträger, der auch bei unserem Test viel Bewunderung auslöste.
Kupplung treten, Schlüssel drehen, Finger auf den Startknopf, und schon ist der 3.5-Liter-V6 mit Kompressor bereit. Im Hinblick auf das grosse Finale hat Lotus dem von Toyota gelieferten Motor zehn PS mehr verliehen, er leistet nun 420 englische Pferdestärken, was hierzulande 426 PS entspricht. Das Leistungsgewicht von 2.58 kg/PS erhebt den teuflischen Floh auf eine Stufe mit Monstern wie dem McLaren 600LT (2.26) und dem 650 PS starken Porsche 911 Turbo S (2.52). Denn das Gewicht des Lotus beträgt nur 1100 Kilogramm. In der heutigen Zeit ist das eine echte Ausnahme, wenn nicht gar ein Kunststück.
Genug geredet, jetzt ist es an der Zeit, den V6-Kompressor zu Wort kommen zu lassen. Beim dumpfen Aufbrüllen des Sechszylinders läuft uns der erste Schauer über den Rücken. Hier gibt es kein akustisches Gepimpe, der nervös-kehlige Sound wird nicht durch Lautsprecher, Soundgeneratoren oder anderes Teufelszeug generiert. Der Sound des Motors, der im nutzlosen Zentralspiegel prangt, ist ausschliesslich das Konzert der Kolben und Ventile dort hinten.
Komfortabler als erwartet
Der erste Gang rastet mit einer kurzen Bewegung und einer deutlichen Anstrengung des Arms ein. Wir sind bereit, uns in den Verkehr einzufädeln, als uns die fehlende Servolenkung wieder einfällt. Beim Manövrieren muss man seine Muskeln spielen lassen, aber das ist der Preis, den man für eine ungefilterte Lenkung zahlt. Sobald der Wagen Geschwindigkeit aufnimmt, wird die Lenkung leichter, und das Fahren in der Stadt ist ohne Schweissausbrüche möglich. Die kompromisslose Definition des Exige lässt in punkto Komfort das Schlimmste vermuten. Wir hatten Sorge wegen der vor uns liegenden Strassenunebenheiten. Und dann die Überraschung: Die dreistufig einstellbaren Nitron-Dämpfer stauchen entgegen aller Erwartungen nicht unsere Wirbelsäule zusammen, sondern wirken doch recht ordentlich den Unebenheiten entgegen. Es wäre unangebracht, von Komfort zu sprechen, aber es gibt andere, viel weniger radikale Sportwagen wie den Hyundai i30N, die auf unebenen Strecken doch anständig durchgeschüttelt werden.
Genug von der Hektik der Stadt, die Spielwiese dieses Exige Sport 420 Final Edition ist die Rennstrecke. Da kein Rundkurs in der Nähe zur Verfügung steht, nehmen wir ersatzweise eine Passstrasse, zu der uns eine Autobahn führt. Dabei erleichtert uns ein rudimentäres Tempomatsystem die Anfahrt. Die Liste der Fahrhilfen endet damit auch schon wieder, und das ist vermutlich die einzige Situation, in der der Tempomat einen Vorteil bietet. Wir empfehlen, auf längeren Fahrten vielleicht ein paar Ohrstöpsel mitzunehmen, denn der Geräuschpegel bei Autobahngeschwindigkeit ist ohrenbetäubend: Bei 120 km/h haben wir 84 dB(A) gemessen!
Die Erlösung, die Autobahnausfahrt, kommt gerade noch zur rechten Zeit. Das Asphaltband windet sich immer enger, je näher wir dem Pass kommen. Der Exige ist hungrig nach mehr. Fieberhaft rauscht der Brite durch die Kurven, reagiert mit meisterhafter Präzision und Gefühl auf die Lenkbefehle. Wenn man das Tempo erhöht, übertragen sich die Fliehkräfte immer stärker auf die Lenkung. Aber keine Panik, Sie halten einfach das Lenkrad fest – und der Exige lässt Sie nicht im Stich. Das Handling, das die Michelin-Pilot-Sport-Cup-2-Reifen bieten, ist phänomenal, aber die Reifen sind nur eines der Elemente, die dieses hervorragende Handling ausmachen. Der Grund liegt einerseits im extrem geringen Gewicht und andererseits im niedrigen Schwerpunkt. Die daraus resultierende Agilität ist schwindelerregend, der Floh auf Steroiden springt mit einer einzigartigen Inbrunst von einer Kehre zur nächsten. Vielleicht nehmen Sie diese oder jene Kurve mit einem Porsche Cayman GT4 noch schneller. Aber was solls! Die gefühlte Geschwindigkeit im Lotus ist viel höher, die Empfindungen verzehnfacht, was ja auch das Ziel dieser Art von Spielzeug ist. Vor allem, wenn der Porsche versucht, dem Fahrer zu schmeicheln, indem er viel Arbeit für ihn erledigt, ist es im Exige Sport 420 Final Edition der Fahrer – und nur er −, der die Kontrolle über das Lenkrad hat. Ein ABS und ein ESP packen ihn am Kragen, wenn er zu weit geht, aber das sind die einzigen Helferlein, die das britische Auto bietet.
Motor passend zum Rest
Das Handling des Exige ist sicherlich der grösste Trumpf des Briten, aber sein Antriebsstrang spielt keineswegs die zweite Geige, weit gefehlt. Der Brite wartet begierig auf die Befehle des rechten Fusses, um sich in die nächste Kurve zu stürzen. Der aufgeladene V6 katapultiert den Exige dank der 420 Nm Drehmoment, die ab 2600 U/min zur Verfügung stehen, schon bei der kleinsten Bewegung des Gaspedals nach vorn. Aber erst bei 4500 U/min wird es richtig spannend: Der 3.5-Liter-Motor wechselt sein Klangregister von tiefen Tönen zu einem langen, herzzerreissenden Schrei bis hin zum Begrenzer. Gänsehaut und Suchteffekt garantiert. Die Motordrehzahl fällt nach dem Gangwechsel genau dahin, wo sie hin soll, und der Motor verhilft zum nächsten Adrenalinschub. Auch beim Verzögern macht der Exige einen guten Job. Die Bremsen sind bissig, kraftvoll und sehr standfest. Wir haben einen Bremsweg von 35.8 Metern aus 100 km/h gemessen. Nicht zuletzt liefert der kurze Pedalweg ein hervorragendes Feedback.
So hat der Exige Sport 420 Final Edition nichts andereres als Lob verdient, oder fast nichts anderes. Die wenigen Unzulänglichkeiten, neben dem etwas hohen Kraftstoffverbrauch (10.5 l/100 km im Durchschnitt) der exorbitante Kaufpreis von 106 000 Franken, trüben das Bild nur geringfügig. Natürlich ist sein ärgster Konkurrent, der Porsche Cayman GT4, praktischer, moderner und alltagstauglicher und bietet dabei fast denselben Fahrspass. Der kleine, aber feine Unterschied aber liegt im Wort fast: Nur wenige Sportwagen machen auf der Rennstrecke so süchtig wie auf der Strasse. Mit dem Exige Final Edition will man einfach nur fahren… und noch mehr fahren. Der Brite mag bereits 21 Jahre alt sein, doch das Vergnügen, das er bietet, hat so gar nichts Altmodisches an sich. Um die Rechnungen für den Chiropraktiker indes wird man als Fahrer kaum herumkommen, Antidepressiva braucht es allerdings definitiv keine.
Testergebnis
Gesamtnote 85.5/100
Antrieb
Ein Motor, wie es ihn heute praktisch nicht mehr gibt. Der mitreissende Sound sorgt für Gänsehaut, die Kraftentfaltung ist betörend.
Fahrwerk
Dieser Exige Sport 420 Final Edition unterscheidet sich in punkto Handling nicht von seinem kleineren Bruder, dem Sport 410. Bedeutet: Agilität, Balance und Fahrverhalten sind überirdisch gut.
Innenraum
Die Sicht nach hinten ist gleich null, das Einsteigen kompliziert, die Ausstattung spärlich und das Platzangebot minim. Aber die Fahrposition ist nahe an der Perfektion, und das ist alles, was zählt.
Sicherheit
Zwei Airbags, ABS und ESP, das wars. Sicherheit bei Lotus bedeutet Monster-Bremsleistung und hervorragendes Handling.
Budget
Autsch, das tut dann doch weh. Mit 106 000 Franken kostet der Exige Final Edition so viel wie ein Porsche Cayman GT4. Der Exige ist objektiv teuer, aber Liebe hat keinen Preis.
Fazit
Für hartgesottene Autoenthusiasten gibt es kaum etwas Aufregenderes als diesen Exige Sport 420 Final Edition. Sicher, es gibt leistungsstärkere, schnellere und vielseitigere Sportwagen, aber kaum einer von ihnen kann es in Sachen Nervenkitzel mit dem Briten aufnehmen. Dieser, der ultimative Verfechter ungefilterten Fahrvergnügens, wird eine grosse Leere hinterlassen.
Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.
Spurhalteassistent? Wohl eher die Traktionskontrolle gemeint. 😉