Das CO2-Gesetz, das im Juni zur Abstimmung kommt, ist kein alleinstehender Plan auf der grünen Wiese, sondern Teil der «Langfristigen Klimastrategie der Schweiz» und somit eingebettet in den grossen Klimaplan des Bundes, der sich wiederum am Pariser Abkommen orientiert. Die Klimastrategie 2050 hat zum Ziel, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral ist – und eine Ablehnung des CO2-Gesetzes gefährde diese Planung, heisst es von Seiten der Befürworter. Was aber ist drin, in diesem Klimaplan der Schweiz?
Importierte CO2-Emissionen
Das oberste Ziel heisst: Reduktion der inländischen CO2-Emissionen auf netto null. Damit ist schon eine starke Einschränkung der Wirksamkeit gegeben, schliesslich fällt der Grossteil der CO2-Emissionen, die durch den Konsum der Schweizer Bevölkerung verursacht werden, im Ausland an (s. Grafik). Entsprechend hält die Klimaplanung des Bundes auch fest, dass der Plan nur aufgeht, wenn das Ausland mitzieht. In Abstimmung mit dem Pariser Abkommen ist jedes Land selber dafür verantwortlich, dass die festgelegten CO2-Ziele innerhalb der eigenen Landesgrenzen erreicht werden. Insofern besteht das Risiko, dass die CO2-Produktion ins Ausland verlagert wird. Deshalb hält die Klimastrategie ebenfalls fest: «Die Rahmenentwicklungen, insbesondere die internationalen Energiepreise, müssen in den Szenarien eine in sich konsistente Welt abbilden. Dies impliziert unter anderem, dass die Schweiz eine international abgestimmte Energie- und Klimapolitik verfolgt und keine Alleingänge unternimmt, sodass keine Anreize zur Verlagerung von Emissionen ins Ausland bestehen.»
Der Grossteil der in die Schweiz importierten Waren stammt aus dem europäischen Raum, der mehrheitlich auch eine Verpflichtung zu den Klimazielen anerkennt. Nur ein geringer Teil – aktuell rund fünf Prozent des importierten Warenwertes – kommt aus China. Der Import aus China ist insofern problematisch, als die Grossmacht zwar auch dem Pariser Abkommen beigetreten ist und Klimaziele angekündigt hat, bisher aber noch kaum konkrete Entwicklungen vorweisen kann, die ein ernsthaftes Bekenntnis glaubhaft machen würden. So hat Chinas Staatspräsident Xi Jinping im vergangenen Herbst zwar die Absicht bekundet, bis 2060 eine CO2-Bilanz von netto null vorweisen zu können. Gleichzeitig soll der Peak-CO2, also der maximale CO2-Ausstoss des Landes, vor 2030 erreicht sein, ab dann soll es abwärts gehen. Bis dahin werden also munter Gas- und Kohlekraftwerke gebaut – alle mit einer Laufzeit von rund 30 Jahren. Allein schon deswegen scheint unwahrscheinlich, dass China plötzlich komplett auf saubere Energie wird umsteigen können.
Der Klimaplan für die CO2-Reduktion innerhalb der Landesgrenzen ist aufgeteilt nach Sektoren, für die unterschiedliche Ziele und Vorgaben festgelegt werden. Nicht jeder Wirtschaftszweig wird demnach bis 2050 den CO2-Ausstoss komplett auf null reduzieren müssen. So ist weiterhin vorgesehen, dass sich gewisse Branchen freikaufen können durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten von Firmen – aus der Schweiz oder aus dem Ausland –, die ihre CO2-Ziele erfüllen. Eine der Branchen, die sich freikaufen kann, ist die besonders energieintensive Zementindustrie.
Bedeutung für den Individualverkehr
Für den Verkehrssektor hält sich der Klimaplan erstaunlich vage und baut im Wesentlichen auf drei Säulen auf: Elektrifizierung, Verkehrsreduktion und Umstieg auf den öffentlichen Verkehr. Vor allem der Elektromobilität wird grosses Potenzial beigemessen, sie soll im Bereich der Individualmobilität vorherrschend werden. Wie das erreicht werden soll, wie die Infrastruktur aufgebaut wird und woher die Energie kommt, dazu äussert sich die Strategie nicht. Unter dem Strich prognostiziert die Klimastrategie einen Rückbau der Kernkraftwerke und jeglicher fossiler Kraftwerke sowie eine Reduktion des importierten Stromes auf null. Die entstehende Lücke soll durch erneuerbare Energien gedeckt werden, dabei legt der Bund grosse Hoffnungen auf die Solarenergie, die bis 2050 die Hälfte des inländischen Stromverbrauches abdecken soll. Dieser Projektion stehen aber verschiedene Experten kritisch gegenüber, so auch der ETH-Ingenieur Ferrucio Ferroni: «Die Energieeffizienz von Solaranlagen im Verhältnis zum für die Herstellung, den Transport und die Montage nötigen Aufwand ist sehr gering, und die Kosten sind hoch. Ein grossflächiger Einsatz von Fotovoltaikanlagen in der Schweiz ist deshalb kritisch zu betrachten.» Wasserstoff, Biogas und synthetische Treibstoffen ordnet der Klimaplan nur eine untergeordnete Rolle zu.
Weniger Mobilität und mehr ÖV
Als zweite Säule setzt der Bund darauf, dass das Mobilitätsbedürfnis in Zukunft wegen der Digitalisierung und der vermehrten Möglichkeit für Homeoffice abnehmen wird. Dass eine solche Annahme reine Spekulation ist, zeigen die Statistiken zum Verkehrsaufkommen seit Beginn des ersten Corona-Shutdowns Anfang März 2020. So ging die Mobilität der Schweizer Bevölkerung damals schlagartig zurück, hat sich jedoch in den letzten Monaten wieder erholt und liegt heute wieder nahezu auf Vor-Corona-Niveau. Und dies, obwohl in den vergangenen Monaten viele Firmen die digitale Transformation vorangetrieben haben, die Unternehmen Möglichkeiten geschaffen haben, dass ihre Mitarbeiter von zu Hause arbeiten können – und de facto noch Homeoffice-Pflicht herrscht.
Als weiteren Ansatz für die Energiewende im Mobilitätssektor sieht die Planung des Bundes das autonome Fahren. Wenn die Autos in Zukunft selbst fahren, könne ein grosser Teil der Fahrten verhindert werden – eine Annahme, die aus zwei Gründen heikel ist. Einerseits setzt der Bund voraus, dass autonomes Fahren bis 2050 möglich ist, eine Prämisse, die alles andere als sichergestellt ist. Andererseits sind sich die Experten grösstenteils einig, dass autonome Fahrzeuge nicht zu weniger Verkehr führen werden, ganz im Gegenteil. Dadurch würden erstens mehr Leerfahrten entstehen und zweitens mehr Menschen das Auto nutzen, die das heute nicht können. Diese Ansicht haben sowohl Verkehrsexperte Reiner Eichenberger als auch der Geschäftsführer des Dynamic Test Centers in Vauffelin BE, Marcel Strub, in Interviews mit der AUTOMOBIL REVUE bekräftigt.
Der dritte Punkt in der Planung für einen klimaneutralen Verkehr ist einfach: mehr ÖV. Dieser sei besonders energieeffizient und deshalb in Zukunft zu verstärken. Dies gilt aber vor allem dann, wenn dieser gut ausgelastet ist. Wie der Thinktank Avenir Suisse in einer Publikation 2016 errechnet hat, liegt die Auslastung des öffentlichen Verkehrs bei unter einem Drittel: «Insgesamt liegt die Sitzauslastung der SBB bei nur 32 Prozent im Fern- und bei 20 Prozent im Regionalverkehr. Dies bedeutet: Zwei Drittel beziehungsweise vier Fünftel der Verkehrskapazität bleiben ungenutzt.» Zum Vergleich: Für ein Auto schätzt man die durchschnittliche Auslastung auf 1.6 Personen pro Fahrzeug, bei vier Plätzen entspricht das einer Auslastung von knapp 40 Prozent. Und auch hier hat sich während Corona gezeigt, dass der öffentliche Verkehr nicht sehr krisenresistent ist und Herr und Frau Schweizer im Zweifelsfall froh sind, ein Auto in der Garage zu haben.
So sieht die Klimastrategie 2050 nicht nur im Bereich der Mobilität einschneidende und potenziell teure Umkrempelungen vor, deren Wirksamkeit nicht immer klar ist. Am Schluss muss der Bund zugeben, «dass eine Kosten-Nutzen-Bilanzierung nur sehr eingeschränkt möglich und eine genaue Quantifizierung deshalb schwierig ist».