Eine einzige Zahl. Die Herausforderung von Elektrofahrzeugen scheint sich auf eine einzige Zahl zu konzentrieren: die Reichweite. Das jüngste Beispiel ist Mercedes mit seinem EQS: Die Marke rühmt sich, mit seinem neuen elektrischen Flaggschiff eine Reichweite von mehr als 700 Kilometern erreichen zu können (hier zum Bericht). Ein Beweis dafür – sofern einer nötig ist –, dass die Range-anxiety beziehungsweise Reichweitenangst für zahlreiche Käufer das Haupthindernis beim Wechsel auf ein Elektroauto ist. Denn Autofahrer sind seit mehr als einem halben Jahrhundert an Fahrzeuge gewöhnt, die mindestens 500 Kilometer weit fahren, bevor sie an eine Zapfsäule müssen. Das Volltanken dauert nur fünf Minuten, das Aufladen eines Elektroautos hingegen mindestens zwanzig Minuten, an einer Wallbox zu Hause sogar Stunden.
Immer grösser
Um diesen Mangel auszugleichen und eine ausreichende Autonomie anzubieten, setzt die Mehrheit der Hersteller auf grosse Batterien. Der EQS von Mercedes verfügt über einen 107.8-kWh-Akku, der künftige Tesla Model S Plaid soll mit einer 115-kWh-Batterie auf den Markt kommen, um nicht zu schnell leer zu sein, wenn die 1100 PS eingesetzt werden.
«Alle Hersteller sind Tesla auf diesem Weg gefolgt», bedauert Merlin Ouboter, Mitbegründer des Schweizer Elektrokleinwagenbauers Microlino. «Zurzeit geht der Trend in die Richtung je mehr Reichweite, desto besser. Bietet man weniger Batteriekapazität an, kann das Produkt veraltet wirken.» Der Microlino begnügt sich mit einer Lithium-Ionen-Batterie von acht oder optional 14.4 kWh, was ihm eine Reichweite von 125 bis 200 Kilometer verschafft. Das ist allerdings kein Problem für den Kleinwagen, denn er ist für die Stadt konzipiert: «Der Microlino scheint auf den ersten Blick kein Auto zu sein, mit dem man in die Ferien fahren könnte. Deshalb ist die Reichweite für unsere Marke kein Problem.» Aufgrund seines modernen BMW-Isetta-Looks kann man sich ausserdem nur schwer vorstellen, mit einem Microlino nach Südfrankreich zu fahren.
Das ist beim Mazda MX-30 hingegen weniger offensichtlich. Das erste Elektroauto des japanischen Herstellers verfügt über eine vergleichbare Reichweite wie der Microlino, wodurch sich sein Einsatzgebiet entgegen seinen grosszügigen Dimensionen (Länge 4.40 m) auf die Stadt beschränkt. «Als wir begannen, den MX-30 zu konzipieren, dachten wir zuerst an unsere Kunden und ihre Bedürfnisse», erinnert sich Christian Schulze, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Mazda Europe. «Wir haben entschieden, dass eine Reichweite von 180 bis 200 Kilometer ausreicht. So erschien uns eine 35.5-kWh-Batterie die richtige Grösse zu haben.»
Christian Schulze stützte sich auf Studien, welche die täglich gefahrene Strecke von Europäern auf weniger als 70 Kilometer schätzen. In der Schweiz betragen 70 Prozent der täglichen Fahrten mit dem Auto weniger als 50 Kilometer. Das sind rationale Argumente, die aber nicht gegen Angst helfen. «Viele Personen bewerten die Batteriegrösse als zu wichtig», sagt Christian Bach, Leiter der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). «Sie wollen eine grosse Batterie für die wenigen Male im Jahr, wenn sie weiter wegfahren möchten.»
700 Kilogramm schwere Batterie
Dennoch hat Mazda, einer der letzten Verfechter der kleinen Batterien, den Akku seines MX-30 knapp dimensioniert. Für die Japaner gibt es keinen Grund, sinnlos mehrere Hundert Kilogramm spazieren zu fahren. Eine Batterie wiegt mindestens 300 Kilogramm, beim Audi E-Tron sind es sogar 700 Kilogramm. «Die Batterie eines Elektro-SUV ist schwerer als unser Microlino inklusive Passagiere, Gepäck und maximaler Ausstattung. Das ist absurd», empört sich Ouboter. Tatsächlich beschränkt sich das Leergewicht des kleinen Microlino auf rund 520 Kilogramm. «Die Batterien sind ein Gewicht, das man ständig mit sich herumfahren muss», betont Christian Schulze. Ein höheres Gewicht hat einen negativen Einfluss auf den Verbrauch des Fahrzeugs, wenn auch gemäss unseren Erhebungen nur beschränkt (s. Grafik).
Der Ausgleich ist bald erreicht
Zusätzlich zum Gewichtsargument haben die kleinen Batterien einen weiteren grossen Vorteil: den tieferen Preis. «Der Preis der Batterie bleibt weiterhin einer der grössten Kostenfaktoren eines Elektroautos», sagt Christian Bach. «Der Preis der Batterien entspricht bei uns einem Viertel der Fahrzeugkosten», bestätigt Merlin Ouboter. «Deshalb lässt sich hier schnell Geld sparen.»
Doch dies könnte sich bald ändern. Der Preis für eine Kilowattstunde sinkt nämlich stetig. Gemäss Zahlen von Bloomberg ist er 2020 auf 137 Dollar/kWh gesunken, während er im vergangenen Jahr noch bei 157 Dollar lag. Vor zehn Jahren musste man noch mit 1100 Dollar/kWh rechnen! Bei diesem Tempo könnte die magische Zahl von 100 Dollar/kWh im Jahr 2023 erreicht sein. Tatsächlich schätzen Experten, dass Elektroautos ab dieser Schwelle mit Verbrennerfahrzeugen hinsichtlich Rentabilität gleichauf sind.
Greenwashing
«Dieser Preissturz der Batterien veranlasst die Hersteller dazu, grössere Batterien zu verbauen», bedauert Christian Schulze. Seiner Meinung nach schlagen diese Marken den falschen Weg ein, und zwar aus einem entscheidenden Grund: der Umweltbelastung. Aufgrund der raren Materialien, die für ihre Herstellung erforderlich sind (Seltene Erden, Kobalt), stellen die Batterien der Elektrofahrzeuge eine ökologische Belastung dar. Je kleiner die Batterie ist, desto schneller wird dieser anfängliche Nachteil ausgeglichen (s. Grafik). «Wenn man ökologisch denkt, muss man sich für eine vernünftig dimensionierte Batterie entscheiden», erklärt Christian Bach. «Der ökologische Fussabdruck der grossen Batterien ist grösser.» Merlin Ouboter teilt diese Einschätzung: «Man kann sich fragen, wie sinnvoll es ist, mit einem 2.5 Tonnen schweren Elektro-SUV in der Stadt zu fahren! Man bekommt den Eindruck, dass ein Elektroantrieb reicht, um ein Fahrzeug akzeptabel zu machen, aber das ist schlichtweg Greenwashing.» Christian Bach setzt noch einen drauf: «Wenn man von einem zwei Tonnen schweren Diesel-SUV auf ein 2.5 Tonnen schweres Elektro-SUV wechselt, hat man nicht viel von Nachhaltigkeit verstanden.»
Vorteil beim Wiederaufladen
Der Leiter der Empa weist darauf hin, dass grosse Batterien neben der grösseren Reichweite noch viele weitere Vorteile haben: «Eine kleine Batterie ist ein etwas einschränkender Faktor für die Ladeleistung, während ein grosser Akku viel höhere Ladeleistungen aufnehmen kann.» Ein Porsche Taycan mit einer 93-kWh-Batterie unterstützt an einer geeigneten Schnellladestation beispielsweise bis zu 270 kW.
Wenn die Elektronen schnell in einen Akku gelangen können, dann können sie genauso schnell wieder herauskommen, wenn man aufs Gas drückt. «Eine grosse Batterie leidet weniger, wenn grosse Leistungen auf einmal freigesetzt werden», erklärt Christian Bach. «Für den Betrieb ist eine grosse Batterie von Vorteil, denn sie funktioniert mit mehreren Mikrozyklen.» Aufgrund dieser Eigenschaften ist sie besonders geeignet für Sport- oder Luxuslimousinen, die auf Langstrecken ausgelegt sind.
Eine Rückbesinnung ist möglich
Bei den Fahrzeugen, die für den Stadtverkehr konzipiert sind, dürften sich kleinere Akkus dennoch durchsetzen. In den nächsten Jahren werden diesbezüglich grosse Fortschritte erwartet. «Unsere Forscher erwarten, dass sich die Energiedichte in Zukunft verdoppeln wird: Bei gleicher Grösse und gleichem Gewicht werden uns doppelt so viele Kilowattstunden zur Verfügung stehen. Oder die Batterie wird bei gleicher Anzahl Kilowattstunden halb so gross und halb so schwer sein», prognostiziert Christian Bach von der Empa.
Nach Meinung von Christian Schulze von Mazda haben die Verfechter der grossen Batterie noch nicht gewonnen. «Die ersten Turbo-Dieselmotoren boten eine Reichweite von bis zu 1200 Kilometern. Sehr schnell merkte man aber, dass eine Reichweite von 700 Kilometern ausreichte. Ich glaube, dass es bei den Elektrofahrzeugen gleich ablaufen wird: Wenn man überall sehr schnell aufladen kann, dann nimmt das Interesse an grossen Batterien ab.» Merlin Ouboter stimmt mit dieser Auffassung überein: «Wenn das Ladenetz gut ausgebaut ist, braucht man keine so grosse Batterie mehr. Wer bereits einmal ein Elektroauto hatte, weiss beim Kauf des zweiten Elektroautos, dass er keine so grosse Reichweite benötigt.» Bedenken über geringe Reichweite und lange Ladezeiten sieht er nicht: «Das Problem der Reichweitenangst ist in Wirklichkeit eine Angst der Menschen, die noch keine Erfahrungen mit Elektromobilität gemacht haben.» Ob wirklich nur Neo-Elektrofahrer betroffen sind, wird sich zeigen, wenn sich die Technologie etwas weiter etabliert hat. Die Entwicklung des Ladenetzes wird aber auf jeden Fall ein entscheidender Faktor sein für die Akzeptanz. Es sei denn, niemand wolle die kostspielige Investition tätigen, da sich die Hersteller und die Politik zurzeit gegenseitig die Verantwortung dafür zuschieben.