Ausnahmsweise gehörten die ganz grossen Schlagzeilen nicht dem launischen Tesla-Chef, sondern der etablierten Konkurrenz. Es wurde gemunkelt, dass Elon Musk bei seiner Investorenkonferenz am 10. März ein sehr billiges Elektroauto ankündigen würde, nachdem er Anfang Jahres mit Preissenkungen (in der Schweiz um bis zu 10 000 Franken) gehörig den Markt aufgemischt und die anderen Hersteller unter Druck gesetzt hatte. Letztlich kündigte Musk nur einige zusätzliche Preissenkungen innerhalb seiner Produktpalette an mit der Begründung, dass «der Wunsch, einen Tesla zu besitzen, extrem stark ist. Der limitierende Faktor ist die Fähigkeit, für einen Tesla zu bezahlen». Es war vielmehr Volkswagen, das im Kampf um erschwingliche Elektroautos aufhorchen liess: Die deutsche Marke stellte den ID 2 All vor, ein Konzept, das einen Ausblick auf ein elektrisches Stadtauto für weniger als 25 000 Euro gibt. Es soll spätestens 2026 auf den Markt kommen. Selbst aufseiten von General Motors hat man sich entschieden, das Tempo zu beschleunigen. Der Konzern will noch in diesem Jahr eine elektrische Variante des SUV Chevrolet Equinox vorstellen, die auf dem US-Markt für 30 000 Dollar verkauft werden soll. GM bietet auch den Bolt unterhalb dieser Schwelle an.
Wenn die traditionellen Akteure beginnen, im Kampf um das Elektroauto schweres Geschütz aufzufahren, dann nicht nur, um Tesla zu kontern. Sie wissen, dass die Bedrohung aus Asien kommt, insbesondere aus China, wie Peter Murmann, Professor für strategisches Management und Leiter des Instituts für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, erklärt: «Es gibt eine neue Technologie und den Wettbewerb, sich als Marktführer zu etablieren. Die Chinesen liegen nicht mehr wie in der Vergangenheit hinter den traditionellen Herstellern zurück. Nio bietet zum Beispiel eine sehr hohe Qualität. Es würde mich nicht wundern, wenn sich chinesische Hersteller in Europa in den unteren Segmenten etablieren würden.»
Weniger als 30 000 Franken
Tatsächlich sind in den letzten Monaten nicht nur Nio, sondern auch Namen wie BYD, Aiways, Geely (Polestar, Smart, Lynk & Co) und Saic mit Macht auf dem Alten Kontinent aufgetaucht. Es war insbesondere die Saic-Gruppe, die über ihre Marke MG ihre Konkurrenten mit einem Elektroauto für rund 30 000 Euro in Angst und Schrecken versetzte. Der Kompaktwagen, der kürzlich in Deutschland, Frankreich und Italien, aber noch nicht in der Schweiz auf den Markt gekommen ist, wird in der Einstiegsversion etwa 30 Prozent günstiger als ein VW ID 3 verkauft. Zwar bietet der deutsche Kompaktwagen dank seiner grösseren Batterie (58 kWh, MG4 51 kWh) eine grössere Reichweite (426 km, MG4 350 km). Aber der Preisunterschied von mehr als 10 000 Franken löst bei Kunden mit einem von der Inflation strapazierten Geldbeutel mehr als nur kurzes Nachdenken aus. «Wenn chinesische Autos 30 Prozent weniger kosten als ein Seat und die gleiche Leistung bieten, kann man sich vorstellen, dass sie eine Kundschaft finden werden», meint Murmann.
Derzeit kann man nicht sagen, dass die chinesischen Marken den etablierten Herstellern in Europa grosse Marktanteile streitig machen. Ihre Verkäufe erreichten zusammen nur 1.5 Prozent. Das meistverkaufte chinesische Modell in Europa, der MG ZS, lag laut Jato Dynamics mit 19 146 Einheiten auf Platz 34 der Elektroautos. Das ist weit von den 137 000 Einheiten entfernt, die Marktführer Tesla vom Model Y verkauft. Murmann glaubt jedoch, dass die chinesischen Hersteller einen ähnlichen Weg einschlagen werden wie die japanischen Marken vor 50 Jahren, als diese sich mit qualitativ hochwertigen Autos zu niedrigen Preisen zuerst in den USA etablierten.
Gewinnspannen werden geopfert
Obwohl Tesla von zwei Dinosauriern der Automobilbranche die Show gestohlen wurde, ist im Kampf um das billige Elektroauto noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Der Hersteller aus Austin im US-Bundesstaat Texas ist nach wie vor der weltweit grösste Akteur im Bereich Elektroautos und hat 2022 mehr als 1.3 Millionen Autos verkauft, 400 000 mehr als sein nächster Rivale BYD. Dank der hohen Stückzahlen hat Tesla eine wirksame Waffe auf seiner Seite: die Preise. Tesla hat die Preise für Model Y und Model 3 in den letzten Monaten mehrmals gesenkt – nicht nur in Europa, sondern insbesondere in China mit Rabatten von bis zu 20 Prozent. Ein Model Y der Einstiegsklasse wurde zu Jahresanfang für 259 900 Yuan verkauft, was umgerechnet 35 000 Franken entspricht (Preis in der Schweiz 46 900 Fr.). Mit den Rabatten in Europa drehte Tesla die Preise wieder zurück, die vor allem im vergangenen Jahr kräftig angehoben worden waren.
Tesla kann sich solche Manöver leisten, denn der Hersteller sitzt auf einem dicken Margenpolster und hat beschlossen, dass es an der Zeit sei, einen Teil davon zu opfern. «Tesla will damit die traditionellen Hersteller ausbluten lassen», sagt Murmann. Diese Strategie tut den Etablierten weh, da sie mit Elektroautos kein oder nur wenig Geld verdienen. «Damit würde für sie der Übergang zu Elektroautos noch schwieriger. Das ist ein sehr aggressives Manöver von Tesla.» Teslas Gewinnspanne, die zwischen dem dritten und vierten Quartal 2022 von 27.9 auf 25.9 Prozent sank, ist immer noch komfortabel: Reuters schätzt, dass der US-Hersteller immer noch 15 000 Dollar pro Auto verdient, was dem Doppelten von Volkswagen, dem Vierfachen von Toyota und dem Fünffachen von Ford entspricht. Für Ford, dessen Erfolg auf der Massenproduktion des T-Modells Anfang des 20. Jahrhunderts gründet, ist dies ein verheerendes Zeugnis. Der Preisdruck hat die traditionellen europäischen Hersteller dazu gezwungen, die Produktion von Einstiegsmodellen nach China zu verlagern. Mercedes produziert den Smart #1 in einem Joint Venture mit Geely, und BMW wird den Mini Electric ab 2025 in den Great-Wall-Fabriken in der Provinz Jiangsu herstellen.
Die Treue der Kunden
Das Elektroauto hat vielen Akteuren in China den Weg geebnet. Die Zahl der Start-ups, die sich mit der Elektrifizierung beschäftigen, ist in nur wenigen Jahren von 500 auf 1000 gestiegen. Aber nicht alle werden überleben. «Die Zeit läuft gegen sie», sagt Murmann. «Wenn alle traditionellen Autohersteller Elektroautos anbieten, gibt es keinen Platz mehr für sie.» Die meisten Marken haben bereits mindestens ein Elektromodell in ihrem Sortiment und massive Elektrifizierungspläne angekündigt. Die angekündigten oder geplanten Verkaufsverbote für Verbrenner – nicht nur in der EU, sondern auch auf wichtigen Märkten wie Kalifornien oder Grossbritannien – lassen ihnen keine andere Wahl.
Der Experte der Universität St. Gallen ist zudem skeptisch, dass das Preisargument in den höheren Segmenten ziehen wird. «Markentreue ist kein Nebenaspekt. Ich denke, dass es für Marken wie Rivian oder Lucid nicht einfach sein wird, sich in Deutschland zu etablieren. Es würde mich wundern, wenn ein traditioneller Mercedes-Käufer zu einer dieser Marken wechselte.» Der Kampf hat gerade erst begonnen.