Am Ende entscheidet der Preis. Oder ist es die Ästhetik? Der Autokauf war schon immer ein Kampf zwischen Verstand und Bauchgefühl. Ein Tauziehen zwischen dem Wunsch, sich eine Freude zu bereiten, und dem kalten Schweiss bei der Vorstellung, dass am Monatsende das Geld ausgeht. Allerdings holt uns die Realität immer auf den Boden zurück. Eine Realität, die – für den Durchschnittsverdiener – Bank heisst. Ob es nun jene ist, die den Leasingvertrag bewilligt, oder jene, die das Girokonto verwaltet. «Bei der Auswahl eines Neuwagens beginnt der Kunde immer mit der Festlegung einer Preiskategorie, die seinem Einkommen entspricht», sagt Luis Santos-Pinto, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne.
Die Suche nach dem günstigen Angebot
Die Schweizer können dank ihrer hohen Kaufkraft der irrationalen Seite freien Lauf lassen: Der Durchschnittspreis eines Neuwagens betrug 2020 rund 49 000 Franken (ohne Optionen!), was einer der höchsten der Welt ist. «Aufgrund dieser Kaufkraft ist der Preis in der Schweiz kein so beherrschender Faktor wie in anderen Märkten», räumt Sébastien Perrais, Generaldirektor von FCA Switzerland, ein. Andererseits ist der Begriff des «günstigen Angebots» in unserem Land wichtig. Die Höhe des Rabatts oder der Leasingrate ist wichtiger als der absolute Preis selbst. «Wir stellen fest, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis auch in unserem Land immer wichtiger wird. Der überwältigende Erfolg von Škoda über die letzten Jahre belegt dies», stimmt Bernhard Soltermann, Leiter des Bereichs Operations bei Amag Import, zu. Bereits 2017 hat der Octavia dem VW Golf die Krone des meistverkauften Modells entrissen und seitdem nicht mehr abgegeben. Der tschechische Autobauer ist die viertbeliebteste Marke in der Schweiz.
Das neuste Modell dank Leasing
Besessen von der Idee, ein gutes Geschäft zu machen, wird der Schweizer also diskutieren, verhandeln und feilschen. Fabien Thuner, Direktor von Autobritt in Genf, meint, dass dies auf «95 Prozent der Kunden» zutreffe. Dem Händler der Marken Jaguar, Land Rover, Volvo und Morgan fällt jedoch auf, dass die Kunden an die monatlichen Raten denken und nicht mehr an den Barverkaufspreis. «Das ist eine Besonderheit des Schweizer Marktes, auf dem das Leasing überwiegt», meint Sébastien Perrais. «Diese Art der Finanzierung ermöglicht es den Schweizern, in regelmässigen Abständen neue Modelle zu fahren. Ein Fahrzeug zu fahren, das gerade erst auf den Markt gekommen ist, ist in der Schweiz ein wichtiger Faktor.» Die Schweizer wechseln ihre Fahrzeuge alle zwei, drei oder vier Jahre. Es überrascht also nicht, dass das Durchschnittsalter der Schweizer Autoflotte mit neun Jahren das niedrigste in Europa ist.
Auch die Sicherheit spielt eine wichtige Rolle bei der Wahl eines Autos. Sie ist so wichtig, dass sie als selbstverständlich angesehen wird: «Sicherheit wird oberste Priorität eingeräumt», so Perrais. Eine Fünf-Sterne-Bewertung im Euro-NCAP-Crashtest ist mittlerweile ein Muss, jedes Ergebnis darunter ist enttäuschend.
Grünes Gewissen
Ein weiteres Kriterium, das immer wichtiger wird, ist der Umweltaspekt: Immer mehr Schweizer wollen auf ein sauberes Fahrzeug umsteigen, sei es aus Umweltbewusstsein oder um bei der Verkehrssteuer zu sparen. «Gewerbliche Kunden (B2B –Red.) achten aufgrund ihrer CO2-Policies sehr genau auf die CO2-Emissionen, aber auch bei Privatkunden gewinnt das Thema rasch an Bedeutung», so Soltermann. «Der vor drei Jahren angekündigte grüne Wandel, der vielleicht wie die Vision einiger weniger Manager aussah, ist nun in vollem Gang und unausweichlich», fügt Sébastien Perrais hinzu. Der Marktanteil alternativer Antriebe lag im ersten Quartal bei 36.7 Prozent, während er im Vorjahreszeitraum noch 21.2 Prozent betrug.
Emotionen spielen eine grosse Rolle
«Die Entscheidung für ein umweltfreundlicheres Fahrzeug basiert jedoch nicht nur auf rationalem Denken, sondern ist auch von Emotionen geprägt. Interessanterweise wurden zunächst die rationalen Tugenden von Elektroautos angepriesen, aber ein solcher Kauf beinhaltet auch viele emotionale Aspekte», erklärt Francine Petersen, ausserordentliche Professorin für Marketing an der Universität Lausanne. «Sie sagen etwas über den Verbraucher aus, über sein Bedürfnis, gut zu handeln, gut zu sein, sich gut zu fühlen. Tesla hat erkannt, dass der Kunde ein Auto nicht aus rein rationalen Gründen kauft. Also hat man auch die emotionalen Bedürfnisse der Kundschaft befriedigt.»
Laut Bernhard Soltermann von Amag wählen zwar 60 Prozent der Käufer ihr Fahrzeug vor allem nach rationalen Kriterien aus, doch spielen Emotionen weiterhin eine Rolle. In der Tat eine sehr wichtige Rolle, so Perrais: «Das Design eines Fahrzeugs ist in Europa oft das entscheidende Kriterium beim Autokauf. Es ist ein echter Auslöser für den Kauf. Deshalb werden Designer in diesem Bereich mit Gold aufgewogen», sagt er lächelnd.
Sozialer Status, ein Bedürfnis
Auch das Bedürfnis, seinen sozialen Status nach aussen zu zeigen, gehört offenbar immer noch zu jenen Triggern, die auf der emotionalen Seite eine Rolle spielen. «Das Bedürfnis, seinen sozialen Status zu zeigen, ist eine Motivation, die sich beim Menschen nicht ändern wird», meint Luis Santos-Pinto. «Auch wenn Umweltthemen an Bedeutung gewinnen, wird es immer eine Nachfrage nach Statusprodukten geben.» Das gelte auch für junge Menschen, für die heute mehr der Erlebniswert von Interesse ist: «Je älter wir werden, desto wichtiger wird das Bedürfnis nach Status. Es ist unausweichlich.» Ja, Bauchgefühl und Charakter des Menschen kommen immer wieder im Galopp zurück. Der Autokauf bleibt, auch wenn die Bedeutung abnimmt, eine von Emotionen geprägte Entscheidung.