Kaum eine Rennstrecke in Europa ist derart interessant wie jene am Bilster Berg in Deutschland. Auf 4.2 Kilometern mit 19 Kurven und bis zu 26 Prozent Gefälle wechseln sich Kuppen und blinde Stellen mit hügeligen Geraden und schnellen Wechselkurven ab. Mittendrin: Der neue Porsche GT3, ein Strassenauto mit Rennsportgenen, ein Rennauto mit Strassenlizenz. Über dieses Set-up nicht mit lauter Superlativen zu schwärmen, ist schwierig, vielleicht unmöglich. Ob nun Ferrari, McLaren, Mercedes nicht hie und da besser sind, ist für den Nichtprofi zweitrangig. Denn: «Sobald man so ein Auto auf der Strecke fährt, ist alles darum herum vergessen», sagt Rallyelegende Walter Röhrl. Wer, wenn nicht der begnadete Rennfahrer, für den die Rennwagen von Porsche seit 1993 ein zweites Wohnzimmer sind, könnte die Kompetenzen des GT3 besser beschreiben? Röhrl sagt stets gerade heraus, was er denkt. Lassen wir uns den neuen GT3 also von ihm und den Direktbeteiligten gleich selbst erklären.
«Der GT3 ist das Serienauto, das am nächsten an ein Rennauto herankommt.»
Walter Röhrl, Porsche-Markenbotschafter
Ein Beispiel in Zahlen: Am Bilster Berg erreichte Röhrl bei garstigen Bedingungen und leichtem Schneefall Seitenführungskräfte von 2.1 g. «Das hat es so in einem Strassenauto noch nie gegeben. Der neue GT3 baut viel mehr Seitenführungskraft auf, das ist gewaltig», sagt Röhrl. Gewaltig ist das Gefühl allemal, wenn die Traktion bei Kurventempi gegen 200 Sachen noch längst nicht abzureissen scheint. Und der GT3 dabei, wie überhaupt alle GT-Autos aus Zuffenhausen, gutmütig, ja fast einfach zu fahren ist. Das ganz oder mit Ausnahme der Traktionskontrolle ausschaltbare Porsche-Stability-Management (PSM) regelt spät, kaum spürbar und zuverlässig. Und doch: Da die Leistung nur an der Hinterachse zerrt, wollen Lastwechsel wohlüberlegt sein. Die gesenkten Bremsscheiben (vorne 408×34 mm, hinten 380×30 mm) mit Monobloc-Festsätteln und sechs Kolben vorne und vier hinten packen brachial und konsistent zu, optional steht die Keramikbremse zur Wahl. Mit dem Gewicht von 1435 Kilogramm (Handschaltung 1418 kg) fühlt sich der GT3 dank Leichtbaumassnahmen wie der Fronthaube aus kohlefaserverstärktem Kunststoff, den Schmiederädern und der gegenüber dem Vorgänger um zehn Kilogramm leichteren Abgasanlage beinahe handlich an. Der Grip an der Vorderachse ist mit aufgewärmten Reifen schier absurd, die breiten Reifen (255/35 ZR20 vorne, 315/30 ZR21 hinten) krallen sich regelrecht in den Asphalt. Optional gibt es strassenzugelassene Semi-Slicks. Auf der Strasse eilt der GT3 bei nasskalten Bedingungen zwar von Spurrinne zu Spurrinne, gibt sich aber auch hier überraschend sanft und schmeichelt dem Fahrer bezüglich Assistenzsystemen und Innenraumgestaltung mit allen Annehmlichkeiten, die die Baureihe zu bieten hat. So zielgenau und flink das vom Vorgänger übernommene Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe den passenden Gang bereitstellt, so butterweich schaltet es bei gemächlicher Gangart. An das PDK gekoppelt ist eine elektrisch gesteuerte Hinterachs-Quersperre. Zum selben Preis ist auch die sauber geführte Sechsgang-Handschaltung erhältlich. Hier gleicht ein mechanisches System das Antriebsmoment zwischen den Hinterrädern aus. Natürlich versperren der riesige Heckflügel oder der optionale Überrollbügel bei beiden Varianten den Blick nach hinten – für etwas Understatement gibt es den weniger radikalen Touring. Natürlich ist der Motor permanent unterfordert. Und natürlich tut es fast weh (im Herzen, nicht im Rücken), diesem Geschoss Tempo 30 zuzumuten. Der GT3 macht das in bester Porsche-Manier wohlgesonnen mit – das wohl grösste Kompliment, das man einem Rennauto im Alltagsbetrieb machen kann.
«So einen Sprung hatten wir noch nie, das ist wie von einer anderen Welt.»
Walter Röhrl
Ganze 17.5 Sekunden nimmt der neue GT3 seinem Vorgänger auf der berühmt-berüchtigten 20.6 Kilometer langen Nürnburgring-Nordschleife ab (hier zum Video der Rekordfahrt). Im Rennsport ist das eine Ewigkeit. Der neue GT3 ist gar einen Hauch schneller als der 991.2 GT3 RS. Hauptverantwortlich dafür sind für Röhrl die Verbesserungen am Fahrwerk: «Durch die Doppelquerlenker-Vorderachse aus dem Rennsport in Verbindung mit der Hinterradlenkung um bis zu zwei Grad ist das Auto in engen Kurven schneller geworden.» Sie hat eine höhere Sturzsteifigkeit und befreit die Stossdämpfer von störenden Querkräften. Vor allem das kurvenäussere Rad wird unterstützt, was zu einem höheren Seitenkraftpotenzial und damit zu höheren Kurvengeschwindigkeiten führt. Zugleich stemmt sich die Konstruktion Bremsnickbewegungen entgegen. Dem gleichen Zweck dienen nach hinten geneigte Federbeine. Für eine ausgewogenen Fahrwerkbalance erhält die Fünflenker-Hinterachse zusätzliche Kugelgelenke für die belasteten unteren Querlenker. Sie sorgen für eine direkte Verbindung zur Strasse.
«Die Aerodynamik wurde in rund 700 Simulationen entwickelt. Für den Feinschliff waren wir mehr als 160 Stunden im Windkanal.»
Mathias Roll, Entwicklungsingenieur Aerodynamik
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die verbesserte Aerodynamik. «Diese macht den GT3 durch den erhöhten Abtrieb besser in schnellen Kurven», sagt Röhrl. Die optisch auffälligen Merkmale gründen aus vielen Simulationen im Windkanal in Weissach (D). «Wir gieren, nicken und rollen das Fahrzeug, um die physikalischen Einflüsse auf der Strecke zu simulieren», sagt Aerodynamik-Entwicklungsingenieur Mathias Roll. Resultat dieser Abstimmung ist der erstmals bei einem Porsche-Serienfahrzeug hängend angebundene Heckflügel. Seine Schwanenhalsaufhängung kommt in ähnlicher Form beim 911 RSR und beim GT3 Cup zum Einsatz. Da zwei Aluminiumwinkel das Flügelelement von oben halten, kann der Fahrtwind die empfindlichere Unterseite störungsfrei umfliessen. Das erhöht den Abtrieb und führt mit vielen weiteren Detailmassnahmen zu einem gut ausbalancierten Anpressdruck. Der Anstellwinkel des Heckflügels lässt sich individuell – wie viele weitere Komponenten – in vier Stufen einstellen. «Bereits in der Auslieferungsstellung generiert der neue GT3 bei 200 km/h 50 Prozent mehr Abtrieb als sein Vorgänger. In der Einstellung mit maximalem Abtrieb ist es eine Steigerung von mehr als 150 Prozent», so Roll. Letztere ist für den Strasseneinsatz allerdings nicht zugelassen. Doch nicht nur der Heckflügel fällt auf. Die Lüftungsgitter in der Frontschürze leiten den Kühlern (und den Vorderbremsen) gezielt Luft zu, die durch den neu zweigeteilten Auslassschacht in der Fronthaube wieder austritt. Das verbessert die Kühlung sowie den Abtrieb an der Vorderachse. Im Zusammenspiel mit der breiten Spoilerlippe sorgen die Frontdiffusoren bei höheren Tempi für eine konstantere Anströmung des vollverkleideten Unterbodens. An der Hinterachse beschleunigt der um grosse Finnen ergänzte Heckdiffusor die herangeführte Luft, sodass der erzeugte Unterdruck den GT3 nochmals stärker zum Boden saugt. All das hilft auch der Lenkung. «Man fährt exakt dorthin, wo man hinlenkt», bestätigt Röhrl. Wohlgemerkt: Die Lenkung ist eine der besten, weil direkteste, reaktivste und natürlichste, die Porsche in einem Strassenauto je verbaut hat.
«Die Einzeldrosselklappensteuerung stammt direkt aus dem Motorsport und sorgt für ein deutlich verbessertes Ansprechverhalten.»
Thomas Mader, Projektleiter GT-Strassenmotoren
Jeder der sechs Zylinder erhält eine eigene Einzeldrosselklappe, was direkt vom 911 RSR übernommen wurde. Sie rückt besonders nah an die Einlassventile heran und verbessert die Luftzufuhr und Dosierbarkeit. Die zentrale Drosselklappe bleibt als Backup erhalten, steht im normalen Betrieb aber dauerhaft offen. Durch die Einzeldrosselklappen wurde der potentielle Leistungsverlust durch die zwei verbauten Partikelfilter kompensiert. So konnten die Werte um jeweils zehn auf 510 PS und 470 Nm Drehmoment nochmals verbessert werden. Von 0 auf 100 km/h sprintet der GT3 mit PDK in 3.4 Sekunden (Schaltgetriebe 3.9 s), Tempo 200 ist nach nur 10.8 Sekunden (11.9 s) erreicht. Die drehzahlfeste Ventilbetätigung erfolgt wie im Motorsport über starre Schlepphebel. Sie werden von der Nockenwelle ohne Zwischenglieder von oben betätigt. Einen hydraulischen Spielausgleich braucht es damit nicht, der Wartungsaufwand wird deutlich gesenkt. Eine Kurbelwelle mit grossen Lagerdurchmessern, breite Pleuellager und plasmabeschichtete Zylinderlaufbahnen mindern Reibungsverluste und reduzieren den Verschleiss. Hinzu kommt ein Klang, der in der Nähe des Drehzahlbegrenzers bei 9000 U/min infernalisch ist.
«Der Unterschied zum Motor im Rennfahrzeug besteht im Wesentlichen aus zwei Bauteilen, der Abgasanlage und dem Motorsteuergerät. Der Rest ist identisch.»
Thomas Mader
Mehr als 22 000 Stunden lief der Motor des GT3 auf dem Prüfstand, zur Einhaltung der strengen Normen wurden über 600 Abgastests durchgeführt. Und mehr als 5000 Kilometer am Stück, lediglich unterbrochen durch Tankstopps, musste das Aggregat auf dem Oval im italienischen Nardò bei Dauertempo 300 km/h wegstecken. «Bei der Entwicklung simulierten wir immer wieder typische Rundstreckenprofile und fuhren einen hohen Volllastanteil», sagt Thomas Mader, Projektleiter GT-Strassenmotoren. Der gierig auf Gaspedalbefehle ansprechende Sechszylinder-Saugmotor im Heck basiert auf dem Rennaggregat des 911 GT3 R und kommt beinahe unverändert auch im 911 GT3 Cup zum Einsatz. «Der grosse Unterschied zum Vorgänger ist die Art und Weise, wie sauber der Vierliter-Boxer anspricht, und was für eine Leistung er bereits bei 1500 Umdrehungen bereitstellt. Ringsherum wurde an vielen kleinen Stellschrauben gedreht, was das ganze Aggregat besser macht», zieht Walter Röhrl Fazit.
«Wenn die gleichen Ingenieure, die unsere Rennautos entwickeln, an der Konstruktion eines GT-Autos für die Strasse arbeiten, dann ist das der unmittelbarste Technologietransfer, den ich mir vorstellen kann.»
Andreas Preuninger, Gesamtprojektleiter GT-Fahrzeuge
Viel mehr muss man dazu nicht sagen. Der neue Porsche 911 GT3 ist schlicht ein «Kunstwerk», wie Walter Röhrl es treffend beschreibt.
Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.