Sie glaube, die Stimmung betreffend Strassenlärm habe sich geändert, sagt SP-Nationalrätin Gabriela Suter hoffnungsvoll. Sie meint damit die Stimmung im eidgenössischen Parlament, das mit der Wahl 2019 ein gutes Stück grüner geworden ist. Vorstösse einzelner Parlamentarier gegen «übermässigen» Strassen- oder Motorenlärm gab es mehrere, doch die Frühlingssession 2021 markierte eine deutliche Verschärfung der Gangart. Der Nationalrat befürwortete einen Auftrag an den Bundesrat mit dem Gewicht einer Kommissionsmotion. Er solle Gesetze formulieren, «damit übermässige Lärmemissionen im Strassenverkehr einfacher und stärker sanktioniert werden können».
In der Motion, die trotz vehementer Gegenstimmen der SVP klar angenommen wurde, sind zwei Punkte enthalten, die SP-Frau Suter gefordert hatte: Verbote für – in ihren Ohren – zu lauten Motorräder. Und Lärmradare. Realistischerweise nicht zur Debatte stehen technische strengere Normen, die von den Vorgaben der EU abweichen.
Mit anderen Worten: Wer ein homologiertes Auto unverändert fährt, ist vom politischen Lärmangriff nicht betroffen. Theoretisch – denn noch ist nicht so ganz klar, ob die Parlamentarier lediglich technisch manipulierte Fahrzeuge im Visier haben. Oder ob sie auch ungebührliches Verhalten am Gaspedal sanktionieren möchten.
Führerausweisentzug droht
In der kurzen Debatte im Nationalrat beklagte Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga das Verhalten Einzelner, welche mit ihrem Lärm die teuren Lärmschutzmassnahmen aushebelten. Damit sprach sie vermutlich die zuletzt in Verruf geratenen Autoposer an, die in den Ohren Lärmsensibler gerade ein doppelt zweifelhaftes Verhalten an den Tag (und gerne auch in die Nacht) legen: Sie drehen die Motoren ohne Beschleunigungsabsicht hoch und sorgen mit Auspuffsystemen am Rand oder jenseits der Legalität dafür, dass es die Umgebung auch mitbekommt.
Allerdings ist beides schon heute verboten. Umbauten müssen zugelassen werden. Und das Strassenverkehrsgesetz fordert, dass jede Belästigung von Strassenbenützern und Anwohnern zu unterlassen sei. Der Haken an der Sache ist, wie so oft, der Vollzug. Sprich: Gebüsst wird nur, wer erwischt wird. Ein Erwischen wiederum fordert der Polizei viel Arbeit ab. Deshalb wollen die Politiker den Vollzugsbehörden stärkere Mittel in die Hand geben. Dazu sollen nebst der Intensivierung polizeilicher Kontrollen und höheren Bussen «auch der Führerausweisentzug oder die Beschlagnahme des betroffenen Fahrzeugs» geprüft werden. Fahrverbote «für besonders laute Fahrzeuge» gehören ebenfalls zum Repressions-Arsenal. Welche Fahrzeuge dies denn wären, bleibt vorerst im Dunkeln, auch auf Nachfrage bei Nationalrätin Suter.
Forschung an der ETH Lausanne
Als weitere Vollzugshilfe sollen sogenannte Lärmblitzer eingesetzt werden. Aktuell gibt es keine für den polizeilichen Einsatz geeigneten Geräte, wie Bundesrätin Sommaruga bestätigt. Geforscht wird an der ETH Lausanne in Kooperation mit einem spezialisierten Unternehmen. Dennoch, Skepsis bleibt, auch bei Fachleuten. So hält der TCS fest: «Ob der Einsatz des zukünftigen Lärmradars effektiv und geeignet ist, um übermässigen Lärm zu bekämpfen, lässt sich nach heutigem Kenntnisstand nicht beurteilen. Die Anwendung wäre nicht so einfach wie bei der Geschwindigkeitskontrolle, da neben dem Motor- und Getriebegeräusch auch andere Faktoren (z. B. Strasse, Reifen, Wind, Umgebungsgeräuschpegel usw.) von Belang sind.» Auch ist noch nicht klar, ob nicht bereits das Ausreizen der Nennleistung manch legaler Fahrzeuge genügen würde, um den Lärmblitzer auszulösen.
Geräte zur Emissionsmessung im Strassenverkehr waren in der Schweiz schon im Einsatz. So testete im Juni letzten Jahres der Kanton Genf gemeinsam mit dem TCS den Einsatz im städtischen Raum. Haupterkenntnisse: Die Geräte scheinen zuverlässige Resultate zu liefern. Und es sind einige wenige, teils aber heftige Ausreisser nach oben, die am Nervenkostüm der Anwohner zerren. Auch in der Deutschschweiz kamen Lärmmesser schon zum Einsatz, vorläufig allerdings in didaktischer Mission: Laute Fahrerinnen und Fahrer wurden nicht gebüsst, sondern lediglich dazu angehalten, das nächste Mal leiser zu sein. Durchaus mit Erfolg, wie der Anbieter betont.
Die Forderungen nach schärferen Sanktionen gegen Krachmacher werden als nächstes vom Ständerat diskutiert werden. Spannend wird, wie die Verwaltung nach der (zu erwartenden) Zustimmung das knifflige Thema in Gesetzestexte umsetzt.
Umfrage: Braucht es ausser Geschwindigkeits- jetzt auch noch Lärmblitzer?
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Das Interview mit Nationalrätin Gabriela Suter
Automobil Revue: Frau Suter, haben Sie ein Lärmproblem?
Gabriela Suter: Ich persönlich habe keines. Doch ich glaube, dass ein grosser Teil der Bevölkerung unter Lärm leidet. Menschen in der Stadt, Personen, die an viel befahrenen Strassen wohnen, jene, die an einer Passroute leben und so weiter. Gemäss Bundesamt für Umwelt sind in der Schweiz 1.3 Millionen Menschen schädlichem Lärm ausgesetzt. Das Problem spitzt sich zu, weil immer mehr Autos unterwegs sind. Unsere Gesellschaft ist übermotorisiert. Ich setze mich für jene ein, die daran leiden.
Sie sagen: 1.3 Millionen Betroffene. Das bedeutet, dass in der Schweiz gut sieben Millionen Menschen leben, die kein Lärmproblem haben.
Der Anteil Betroffener ist aber viel zu hoch. Denn Lärm ist gesundheitsschädigend. Der Mensch kann sich nicht genügend erholen. Folgen können Bluthochdruck und Herzinfarkte sein, auch Diabetes. Was wiederum der Allgemeinheit Gesundheitskosten aufbürdet. Deshalb ergreift man Lärmschutzmassnahmen, von Schallschutzfenstern bis zu Flüsterbelägen. Das kostet Milliarden. Nicht zu vergessen die tieferen Liegenschaftswerte lärmexponierter Wohngebäude.
Sie sehen Lärm also als wichtiges Thema.
Dass das absolut kein Nebenthema ist, sehe ich an den Reaktionen aus der Bevölkerung auf meine Vorstösse. Noch nie habe ich so viele Post und Dankesbriefe erhalten. Darunter sind auch Motorradfahrer, die schreiben, sie verstünden nicht, warum Biker extra laute Auspuffe montierten.
Motorräder waren der Auslöser für Ihre Vorstösse zum Thema, der Lärm durch sogenannte Autoposer kam später dazu. Tirol sperrte einzelne Strecken für Töff ab einem gewissen – legalen, wohlgemerkt! – Standgeräusch.
In der Tat war es so, dass es in den letzten Jahren immer hiess, wir könnten keine anderen Vorschriften erlassen als in der EU, weil dies das Landverkehrsabkommen tangieren würde. Als Tirol diese Verbote auf Teilstrecken erliess, ist klar geworden, dass dies nicht gegen EU-Normen verstösst. Ganz grundsätzlich fand ich das Vorgehen Tirols interessant. Sie haben vorgängig eine breite Studie gemacht und die Bevölkerung gefragt, welche Massnahmen sie wünsche. Das Ergebnis war eindeutig, es sind die überlauten Fahrzeuge, die als Hauptärgernis gelten. Verbietet man diese, hat man einen grossen Effekt – und es kostet fast nichts.
Abgesehen von der schon lange wirksamen Lärmschutzverordnung war Lärm in der Politik lange eher ein untergeordnetes Thema.
Das nationale Parlament hat das Thema in den letzten Jahren vernachlässigt. Es gab einzelne Vorstösse, aber als Ganzes hat das Parlament zu wenig getan. Da spüre ich jetzt eine Veränderung. Auch der Druck der Bevölkerung ist grösser geworden, den die Politik nun aufnimmt.
Sie haben das erwähnte Vorbild Tirol in eine parlamentarische Intitiative umgemünzt, die aus den – notabene legal eingelösten – Motorrädern mit einem Standgeräusch von über 95 Dezibel Alteisen machen würde. Ist das fair?
Die Nationalratskommission hat das Anliegen von zwei parlamentarischen Initiativen aufgenommen, aber breiter gefasst. Bundesrat und Verwaltung müssen prüfen, wie die gesetzlichen Grundlagen für Lärmblitzer und Fahrverbote auf einzelnen Strecken für überlaute Fahrzeuge auszusehen hätten. Die Initiative mit dem flächendeckenden Verbot ist bis auf weiteres sistiert. Persönlich sehe ich das Hauptproblem bei jenen, die mit Sportauspuffen oder Motortuning ihr Fahrzeug gezielt lauter machen. Und jene mit zu lautem Standgeräusch müsste man halt mit dem Ziel weniger Lärm nachrüsten.