Die Tage nach der Rücktrittsankündigung seien schon turbulent und emotional gewesen, «aber schon nicht so wie nach dem ersten Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans 2011», relativiert Marcel Fässler mit einem Lachen. Einerseits sei er überrascht gewesen, wie viele Wegbegleiter, von Fans über Medienleute und Teamchefs bis hin zu ehemaligen Rivalen auf der Rennbahn, sich gemeldet hätten. Andererseits sei ihm so auch vor Augen geführt worden, wie lange und wie schön und vor allem wie extrem erfolgreich seine Karriere doch gewesen sei. «Spurlos sind diese Worte und Erinnerungen nicht an mir vorbeigegangen. Ich gebe zu, zwischenzeitlich hatte ich Hühnerhaut, und die eine oder andere Träne habe ich verdrückt. Aber ich bin auch stolz», gibt der 44-jährige Schwyzer zu. Das lässt keinen kalt, der ihm zuhört.
Vor 37 Jahren drehte er seine ersten Runden im Kart, über die Formel 3 und die DTM kam er zur Langstrecken-WM, holte – um nur die Höhepunkte zu nennen – als erster Schweizer den Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans und setzte noch zwei weitere Triumphe beim Klassiker plus 2012 den Weltmeistertitel obendrauf, stand dann im vergangenen November bei den 12 Stunden von Sebring zum letzten Mal am Start eines weiteren grossen Rennens, und wieder vier Monate später gab er seinen Rücktritt vom Rennsport bekannt. Es ist seine allerletzte Checkered Flag.
Einer zum Anfassen
Es ist brutal, wie schnell die Zeit vergangen ist, seit wir uns im Frühling 1999 erstmals trafen, in einer Autobahnraststätte an der A1. Oder als wir in den nachfolgenden Jahren jeweils zu Saisonbeginn mit Daniel Wyrsch von der «Neuen Luzerner Zeitung» im KKL Luzern zusammensassen. «Mäse», wie ihn alle nannten, war schon damals zügig unterwegs: «Aber gell, Jungs, nur für eine Stunde.» Letztlich wurden es immer deren zwei oder sogar drei. So ist er eben auch, ein Vollblut-Racer durch und durch, der aber zur richtigen Zeit auch gerne auf die Bremse steht. Marcel Fässler hatte in seinen ersten DTM-Jahren bei Mercedes prominente, erfolgreiche Teampartner. Aber im Abseits stand er bei den Fans trotz Hausnummern wie Klaus Ludwig und Bernd Schneider nie. Der schnelle Schwyzer aus der «Schwiiz» stand bei den Deutschen hoch im Kurs, weil er einer zum Anfassen war.
Leicht fällt so ein Entschluss zum Rücktritt in der Regel nicht. Viele Sportler zögern den Absprung hinaus, auch weil sie schlicht keinen Plan für die Karriere nach der Karriere haben. «Ich habe mir schon in jungen Jahren gesagt, dass ich mit 45 Jahren aufhören werde», sagt Marcel Fässler. «Mein Ziel war es nie, dass ich als alter Mann noch ewig Runden drehe oder am Ende gar nicht mehr wahrgenommen werde. Als ich vor zwei Jahren nochmals den Vertrag mit Corvette verlängern durfte, habe ich insgeheim gewusst, dass danach Schluss sein würde.» Damit habe er auch genug Zeit gehabt, um seine Zeit nach der Rennsportkarriere zu planen. Dass die 12 Stunden von Sebring am 14./15. November 2020 sein letzter Auftritt als Rennfahrerprofi sein würden, das wusste Fässler lange davor. «Ich habe meine Rücktrittserklärung aber noch um ein paar Monate verschoben, weil es für meine berufliche Zukunft doch noch das eine oder andere zu klären gab. Diese Perspektive zu haben, war mir wichtig.»
Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns
Letztlich war es ja auch nicht der erste wichtige Entschluss, den Fässler fasste. Der Karriereweg ist gepflastert mit Entscheiden – rückblickend bereue er keinen, auch wenn er heute älter und erfahrener sei. «Ich habe einmal diesen einen Spruch gehört, das Leben wäre einfacher, wenn man es rückwärts erleben könnte und demnach als alter Mann mit weisen Entscheidungen leichter vorankommt als ein Jungspund, der wahrscheinlich das eine oder andere Mal den Kopf anschlägt.» Doch solche Erfahrungen machten auch das Leben aus. Das Leben sei ein Lernprozess, «und es ist wahrscheinlich, dass du auf diesem Weg das eine oder andere Mal – ich sage es einfach mal so – auf die Schnauze fällst».
Deshalb, sagt Marcel Fässler und hält kurz inne, würde er nichts an seiner Karriere ändern wollen. «Ich habe Entscheidungen immer mit dem Herzen getroffen, ich hatte ein gutes Gefühl dabei – wobei das die eine oder andere Person sicher nicht nachvollziehen konnte und den Kopf geschüttelt hat. Ich bereue auch deshalb nichts, weil es in den meisten Fällen einen wichtigen Grund für eine Entscheidung gegeben hat – oder bisweilen schlicht auch keine andere Möglichkeit.» Aus Fehlern und Niederlagen lernten wir, betont Marcel Fässler. «Und letztlich habe ich es ja geschafft, 20 Jahre vom Rennsport zu leben. Viele meiner Entscheidungen sind demnach wohl nicht schlecht gewesen», sagt er – schliesst dann aber doch noch mit einem spitzbübischen Grinsen und den Worten: «Zugegeben, das eine oder andere Mal habe ich mich zwar richtig entschieden, ein wenig mehr Cleverness hätte aber gewiss nicht geschadet.»
Viel Neues unter einen Hut bringen
Marcel Fässler hat sich nun bewusst für den Schritt in die Karriere nach dem Rennsport entschieden. Auf seine Zukunft freut er sich auch. Engagements wie jenes als Instruktor bei Fahrkursen des TCS oder als Formel-E-Co-Kommentator beim Fernsehsender Mysports werde er beibehalten, einfach weil es ihm Spass mache. Sein Arbeitgeber Nummer eins ist aber nun Sportec. Beim Zürcher High-Tech-Unternehmen, das Automobile veredelt und tunt, leitet Fässler die Motorsportabteilung. Das Ziel des Schwyzers: Das hauseigene Team an den Langstrecken-Rennsport heranzuführen. Und er klemmt sich bisweilen auch noch selbst hinters Lenkrad, aktuell testet er den brandneuen KTM GTX, dessen exklusive Vertretung Sportec innehat.
Fässler wird künftig auch in Hinwil ZH anzutreffen sein, also dort, wo er vor rund 20 Jahren zum Formel-1-Probesitzen bei Sauber war. Nun ist er Entwicklungsfahrer des neuen Formel-1-Simulators von Alfa Romeo Racing. «Eine grossartige Aufgabe, die mich ehrt und mir sehr viel Spass macht.» Es freue ihn sehr, dass der Wechsel von der Rennfahrerkarriere in ein neues Berufsleben so reibungslos verlaufen sei, sagt der Schwyzer: «Und es ist eine Bestätigung meiner bisherigen Arbeit, dass meine Erfahrung als Rennfahrer weiterhin gefragt sein wird.»
Logisch, denn der Erfolg zeigt, dass Marcel Fässler die Rundenzeiten an den Rennstrecken im Griff hatte. Wie er aber künftig möglichst effizient über die Runden kommt, dürfte die nächste Herausforderung sein. «Wie ich mein Berufsleben, meine Jobs und Mandate vernünftig im Terminkalender unterbringe, werde ich erst erfahren müssen. Dafür fehlt mir gerade noch etwas das Gefühl», gibt er mit einem Schmunzeln zu. Dieses Zeitmanagement ist wie ein Ritt auf der Rasierklinge früher auf der Rennstrecke: «Man kann immer viel tun, die Kunst ist es aber, dass man sich dabei nicht verzettelt und den Fokus verliert. Ich will auch künftig, in meinem neuen Karriereabschnitt, etwas überlegt und richtig tun. Dieses Zeitmanagement muss ich nun lernen. Denn mein Ziel ist es ja auch ganz klar, dass ich endlich mehr für meine Familie da sein und ihr etwas zurückgeben kann.» Nach der langen und erfolgreichen Rennfahrerkarriere ist nun die Familie mit Ehefrau Isabel und den vier Töchtern Shana, Elin, Yael und Delia die neue Nummer eins von Fässler. «Sie haben in der Vergangenheit mir zuliebe oft verzichten müssen. Nun ist es an mir, ihnen viel zurückzugeben.»
Marcel Fässler ist im Jetzt angekommen. Die Weichen für die Zeit nach der Rennfahrerkarriere sind gestellt. Der 44-jährige Schwyzer bereut nichts. Aber wird er etwas aus dem zurückliegenden Rennfahreralltag vermissen? «Bestimmt die Menschen, die ich während der Jahre kennengelernt habe, mit denen ich zusammengearbeitet und auch Emotionen geteilt habe», sagt Fässler. «Aber der Kontakt zu diesen Menschen wird ja nicht abbrechen, nur weil ich jetzt keine Rennen mehr fahre.» Auch auf Reisen sei er immer gerne gewesen: «Vor allem zu den Rennen nach Amerika. Dort hat es mir immer sehr gepasst, weil rund um eine Rennstrecke Motorsport gelebt wird. Aber ich bin natürlich auch zu Rennen an Orten gereist, an denen der Motorsport wenig oder gar keine Tradition hat. An solchen Orten war es öde, weshalb ich jeweils raschmöglichst wieder die Heimreise angetreten habe.»
Aus der Perspektive der Fans
Marcel Fässler wird dem Motorsport zuliebe aber auch in Zukunft ganz sicher auf Reisen gehen, wenn auch nicht mehr so oft wie bisher, denn: «Gewisse Rennen, beispielsweise die 500 Meilen von Indianapolis oder die 24 Stunden am Nürburgring, die möchte ich gerne einmal aus der Perspektive der Fans erleben. Mit Camping und allem Drum und Dran.» Die 24 Stunden von Le Mans wahrscheinlich auch? «Wer weiss? Eines aber weiss ich ganz bestimmt», schiesst es dann aus dem Rennfahrer-Rentner und Motorradfan heraus, «zur Isle of Man TT muss ich unbedingt! Wer den Rennsport liebt, der muss bei diesem geilen Rennen einmal dabei gewesen sein.»