Seit Luca de Meo im vergangenen Juli die Spitze von Renault übernommen hat, ist der Italiener stark beschäftigt. Dies hat er auch im Vorfeld der Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag erwähnt: «Ich habe mir Zeit genommen, um alle Abläufe und Prozesse eingehend zu studieren. Dazu bin ich in die verschiedenen Werke gefahren, habe die Händler getroffen und die Design- und Ingenieurzentren in Frankreich, Rumänien, Russland, Spanien, Tunesien und Marokko besucht.» Aus allen Besuchen ergab sich ein gemeinsames Problem: «Alle unsere Abläufe sind auf Volumenwachstum ausgerichtet. Ich will nicht sagen, dieser Ansatz sei grundsätzlich falsch. Noch vor fünf, zehn oder 15 Jahren war er vollkommen gerechtfertigt. Heute muss man aber zwangsläufig feststellen, dass er dies nicht mehr ist, denn sonst wären wir schliesslich nicht in der Situation, in der wir uns jetzt befinden.»
Und de Meo hebt noch mehr Fehler hervor: «Bis jetzt hat uns die geografische Expansion in 100 neue Länder bloss 25 Prozent unseres gesamten Gewinns eingebracht. Drei Viertel des Umsatzes der Renault-Gruppe konzentrieren sich weiterhin auf Europa. Und noch erstaunlicher: Die Hälfte unseres gesamten Umsatzes wird alleine in fünf Ländern in Europa generiert.» Auch die geringe Rentabilität der Kleinwagen betrachtet er als problematisch: «Zwei Drittel unserer Verkäufe erfolgen im B-Segment, und trotzdem ist der Umsatz im C-Segment dreimal so hoch!»
Renaissance
Um den Renault-Konzern wieder auf Kurs zu bringen, hat der CEO einen dreistufigen Aktionsplan ins Leben gerufen. Phase 1 («Erholung») hat bereits begonnen und soll bis 2023 dauern. Sie besteht darin, die Kosten zu reduzieren, die Margen zu verbessern und somit am Schluss mehr liquide Mittel zu generieren. Dies soll hautpsächlich über die Nutzung von Synergien im Konzern geschehen, die es laut de Meo ermöglichen sollen, die Entwicklungszeit für ein neues Modell von aktuell knapp vier Jahren um ein Jahr auf künftig drei Jahre zu reduzieren. Diese Reduktion der Entwicklungszeit geht de facto mit einer Reduktion der Anzahl Plattformen, Motoren und Bauteile einher. So werden heute 80 Prozent der von der Allianz Renault-Nissan-Mitsubishi produzierten Personenwagen (also insgesamt sechs Millionen Fahrzeuge) auf nur drei Plattformen – CMF-B, CMF-CD und CMF-EV – zusammengebaut. Bei den Motoren wird die Anzahl Familien von acht auf vier reduziert. «Damit sind wir im Vergleich zu anderen Automobilherstellern sehr gut aufgestellt», ist de Meo überzeugt.
Paradigmenwechsel
In der Phase 2 («Erneuerung»), die zwischen 2023 und 2025 abläuft, soll es für alle Marken des Konzerns eine komplette Überarbeitung der Modellpalette geben. Der Fokus soll dabei auf der teilweisen oder vollständigen Elektrifizierung der Modellreihen liegen. Mit dem Zoe hatte Renault Pionierarbeit im Bereich der Elektroautos geleistet – jetzt wollen die Franzosen wieder an die Spitze. Das Ziel sei es, Marktführer bei der Elektromobilität zu werden, so erklärte Luca de Meo. Deshalb arbeitet der Hersteller am Aufbau einer, wie Renault es nennt, Elektropole mit der weltweit grössten Produktionskapazität der Renault-Gruppe für Elektrofahrzeuge. Ausserdem möchte sich Renault auch mit der Frage der Brennstoffzellen auseinandersetzen.
Ab 2025 (Phase 3, «Revolution») soll die Renault-Gruppe schliesslich nicht mehr bloss als einfacher Automobilhersteller auftreten, sondern auch als Mobilitätsdienstleister, Technologieunternehmen, Technologieanbieter und Patentinhaber. «Wir werden uns von einem Autokonzern, der mit Technologie arbeitet, zu einem Technologiekonzern entwickeln, der mit Autos arbeitet. Mindestens 20 Prozent unseres Umsatzes werden wir mit Dienstleistungen, Daten und Energiehandel erzielen.» Damit steht Renault nicht alleine da. Seit dem riesigen Börsenerfolg von Tesla und allen möglichen Mobilitätsdienstleistern, die wie Pilze aus dem Boden schiessen, versuchen auch die Autohersteller auf den Zug aufzuspringen und sich ihren Anteil an diesem Markt zu sichern.
Vom Volumen zum Wert
Demnach haben die Produktionszahlen für Renault von nun an keine Priorität mehr. Schritt für Schritt dröselt Luca de Meo das Gefüge von Ex-CEO Carlos Ghosn auf und erklärt seine Absicht, das ganze Unternehmen neu zu organisieren, weg vom Volumen und hin zu mehr Wertschöpfung. Eine strategische Neuausrichtung, welche an die Neuorientierung erinnert, die Carlos Tavares mit PSA vor ein paar Jahren vollzogen hat. Wie damals bei PSA wird wohl auch bei Renault vor allem das Personal unter der Restrukturierung leiden. «Unsere jährliche Produktionskapazität von vier Millionen Fahrzeugen im Jahr 2019 werden wir bis 2025 auf 3.1 Millionen Einheiten reduzieren», erklärt de Meo. Er fährt fort: «Die Werke, die aktuell nur zu 70 Prozent ausgelastet sind, müssen bis 2023 auf 100 Prozent hochgefahren werden.»
Wenn weniger Autos produziert werden und gleichzeitig die Werke besser ausgelastet werden, bedeutet das aber auch: Es werden Standorte geschlossen werden müssen. Oder aber umgenutzt, so wie das bereits mit dem Werk in Flins nördlich von Paris geschehen ist. Die Fabrik, die einst ein Produktionsstandort war, wurde in ein Zentrum für Kreislaufwirtschaft umgewandelt, das jetzt Batterien recycelt und Occasionsfahrzeuge aufbereitet. Darüber, welche Standorte von den Sparmassnahmen betroffen sein werden, wollte sich de Meo noch nicht äussern. Man werde aber alle beteiligten Parteien berücksichtigen. Es bleibt allerdings offen, wie dies alles in der Realität umgesetzt wird. Und alles andere als ein Personalabbau wäre eine grosse Überraschung.
Zusätzlich zu allen Massnahmen haben der CEO und die verschiedenen Markenchefs eine Vielzahl an Konzepten präsentiert. Für jede der vier Stammmarken wurde eine oder mehrere Studien vorgestellt, die einen Ausblick auf künftige Serienmodelle geben. Neu dazu kommt neben Renault, Alpine und Dacia der Mobilitätsanbieter Mobilize, der sich vor allem auf Carsharing-Dienste konzentrieren wird. Dacia soll sich in der Ausrichtung Lada annähern. Es bleibt spannend!