Wenn ein Sport-SUV, dann ein Stelvio Quadrifoglio

BLITZAUFSTIEG - Alfa Romeo schafft es bereits mit dem ersten Versuch, sich mit einem Top-SUV in der Extraklasse zu etablieren. Das gilt nicht nur für die reinen Fahrleistungen, sondern auch für den Fahrspass, den der Wagen vermittelt.

Der Markt drängt uns Paradoxes auf, weil Kunden Gegensätzliches unter einem Hut wollen. Hier ein SUV mit viel Innenraum, guter Übersicht, leichtem Einstieg und variablem Interieur plus Fahrleistungen wie bei einem Granturismo. Mit jedem neuen Konkurrenten werden die Hochleistungs-SUV tatsächlich immer besser, wenn auch nur bis zu einem gewissen Punkt: Ein Nilpferd wird schliesslich nicht zur Ballerina, nur weil man ihm ein Tutu verpasst. Wir hatten also unsere Zweifel, als der neueste Vertreter der Zunft mit Geburtsdatum Oktober 2017 in unsere Testflotte aufgenommen wurde: der als «schnellstes SUV der Welt» angepriesene Alfa Romeo Stelvio Quadrifoglio. Er hatte tatsächlich gerade auf dem Nürburgring die Rundenzeit von 7:51,7 Minuten hingezaubert – eine Zehntelsekunde weniger als ein Lamborghini Gallardo LP560-4.

 


Design als starke Ansage

Der Stelvio Quadrifoglio widerlegt alle Unkenrufe, die sich angesichts seiner stattlichen Abmessungen aufdrängen. Sein Auftritt als Muskelprotz – aggressive Stossfänger, Luftaustrittsöffnungen auf der Motorhaube, eingeschwärzte Radläufe und vier Auspuffendrohre – ist kein leeres Versprechen. Überraschenderweise ist der Stelvio mit 1.68 Meter einen Zentimeter höher als sein braver Bruder, der grosszügige Ausschnitt der Radläufe sieht nicht eben rassig aus und lässt die 20-Zoll- Räder (serienmässig) kleiner wirken, als sie sind. Der dank einiger Modifikationen zu etwas ganz eigenem. Das Armaturenbrett kann gegen Aufpreis (+500 Fr.) in Leder mit roten Nähten eingekleidet werden, auf dem mächtigen Mitteltunnel prangen sehr hübsche Kohlefaserteile, und das Lenkrad kann mit Alcantara bezogen werden (+300 Fr.), zu dem die herrlichen Schaltwippen aus Alu besonders gut passen. Das Ambiente wird durch die Halbschalensitze mit Leder- und Alcantarabezug und ihre Carbon-Rahmen noch unterstrichen, sie bedingen allerdings einen Aufwand von 3800 Franken! Was aber wirklich stört, ist die nicht gerade sportliche Fahrerposition, die etwa gegen diejenige im Porsche Macan deutlich abfällt. Lob verdient hingegen die harmonische Integration des Infotainment- Systems unter der Armaturenabdeckung. Nur schade, dass das Alfa Navi Connect kein Ausbund an Ergonomie ist, immerhin kann man sich an die Bedienung mit dem Controler auf dem Mitteltunnel gewöhnen. Der Dreh-Drück- Schalter wirkt mit seiner vagen Präzision und der leichtgängigen Funktion etwas unbefriedigend.

Hohes Qualitätsniveau
Grösse und Auflösung des Bildschirms (8.8 Zoll) werden ebenfalls niemanden vom Hocker hauen, was auch für die Anzeige der Rückfahrkamera gilt, die kaum die Hälfte des Displays einnimmt. Wenigstens erfüllt die Qualität der Materialien auch höchste Ansprüche, die meisten Oberflächen und ihre Passgenauigkeit können sich mit der deutschen Konkurrenz messen, was man noch vor wenigen Jahren von einem Alfa nicht erwarten konnte. Aber ein Alfa Romeo muss nicht so sehr mit seinen Innenraummaterialien überzeugen, auf das Fahrverhalten kommt es an. Es ist also an der Zeit, den verführerischen roten Knopf auf dem Lenkrad zu drücken und das Herz des Wagens zum Leben zu erwecken. Bei diesem handelt es sich um den 2.9-Liter-V6 mit 510 PS, den wir aus dem Giulia Quadrifoglio kennen. Sein für einen V6 ungewöhnlicher Spreizwinkel von 90° (statt der schulbuchmässigen 60°) führt beim Start zu einigen Schüttelbewegungen. Das ist nicht sehr ausgeprägt, gibt aber einen Vorgeschmack darauf, wozu der Kraftprotz fähig ist: Der Stelvio Quadrifoglio wandelt sich zum Kurventeufel, sobald die Strasse mit reichlich Biegungen aufwartet. Die Handlichkeit des pummeligen Babys – nach unseren Messungen waren es 1970 Kilogramm – ist einfach verblüffend. Logisch, dass der Wagen mehr auf langgezogenen Kurven zu Hause ist, er lässt sich aber auch im engen Kurvengeschlängel nicht aus der Fassung bringen. Die Karosseriebewegungen sind immer gut kontrolliert, selbst wenn der Fahrer die hervorragende und präzise Lenkung für ruppige Richtungswechsel missbraucht. Die Ausgewogenheit ist untypisch für diese Art Fahrzeug, der Übergang vom Über- zu Untersteuern erfolgt dank dem Zauber des Torque Vectoring und des Allradantriebs äusserst progressiv. Der Stelvio ist immer zum Tanz bereit, bleibt dabei aber dennoch leicht beherrschbar, selbst im Race-Modus (deaktiviertes ESP). Der Italiener deckt die gesamte Bandbreite dynamischer Eigenschaften ab und stellt damit alle direkten Konkurrenten in den Schatten. Kaum zu glauben, dass man mit einem SUV unterwegs ist – das ist vielleicht das grösste Kompliment für dieses Auto.

Innen hochwertig
Ein chronischer Schwachpunkt von Alfa aus der Vergangenheit ist behoben. Die Verarbeitung und die Materialien im Interieur brauchen sich vor der deutschen Konkurrenz nicht mehr zu verstecken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vom alten Schrot und Korn
Was den Motor angeht, so steht der Biturbo-V6 dem Fahrwerk zur Seite. Während die meisten modernen Motoren ihre Leistung sehr gleichmässig abgeben, handelt es sich hier um einen Kraftprotz aus einer anderen Epoche. Er begeistert durch seine Überschwänglichkeit und zerrt den Karren schon bei 2500/min mächtig voran, wenn er seinen Drehmomenthöchstwert von 600 Nm erreicht. In der Folge jubelt er durch die nächsten 4000/min bis zum Einsetzen des Drehzahlbegrenzers. Der V6 spielt akustisch zunächst in den metallenen Regis-tern und trompetet dann sein Temperament kehlig in die Welt. Gleichzeitig schiesst der Stelvio Quadrifoglio voran wie ein geölter Blitz. Das verblüffende Temperament täuscht denn auch nicht, unsere Messungen bescheinigen dem Alfa-Romeo-SUV eine Zeit von 3.6 Sekunden für den Sprint von null bis 100 km/h. Er ist damit das schnellste je bei uns gemessene SUV. Mit dem Vorteil der vier angetriebenen Räder beim Start egalisiert er sogar die Zeit des McLaren 570S. Der englische Sportwagen zieht allerdings im oberen Tempobereich dann davon und erreicht 200 km/h in 10.4 Sekunden (14.9 s für den Stelvio). Die Heldentaten des Motors werden von der ZF-Automatik mit acht Stufen ideal umgesetzt. Die Gänge werden beim Hochschalten genauso schnell eingelegt wie bei einem Doppelkupplungsgetriebe, nur beim Herunterschalten ist eine Diskrepanz festzustellen. In den Modi Dynamic und Race ist das Hochschalten sogar von Zündaussetzern, das Herunterschalten von Zwischengasstössen begleitet. Das macht alles so viel Spass, dass man sich dauernd dabei erwischt, über die Paddles ins Schaltgeschehen einzugreiffen, nur um den 2.9-Liter singen zu hören. Aber aufgepasst, die Versuchung ist gross und der Motor gibt sich im überschwänglichen Einsatz sehr schluckfreudig. Wir ermittelten einen Extremwert von 25 l/100 km. Zum Glück genügt bloss schon ein klein wenig Zurückhaltung, um ihn im vernünftigen Bereich zu halten, wie unser Testdurchschnitt von 10.7 l/100 km belegt. Das kommt auch daher, dass der Stelvio selbst nach der Kur mit dem vierblättrigen Kleeblatt immer noch einen angenehmen Begleiter im Alltag abgibt. Mit einfachem Knopfdruck kann man das Fahrwerk auf Confort stellen, selbst im Dynamic- oder Race-Modus. Diese Vielseitigkeit dürfte all jene begeistern, die ein Auto für alle Fälle wollen und die keine Kompromisse akzeptieren. Mit einem Preis von 104 500 Franken oder beim Testwagen von 113 150 Franken bewegt sich der Stelvio Quadrifoglio im exklusiven Bereich, der aber angesichts der Leistungen nicht übertrieben ist. Ein echter Sportwagen mag (noch) mehr Spass bereiten und bessere Fahrleistungen bieten, aber Alfa Romeo erbringt einen verblüffenden Beweis: Der Stelvio Quadrifoglio ist das SUV, das uns im Testbetrieb bisher die grösste Fahrfreude bereitet hat. Die Ehre der Mailänder ist gerettet.

 

Wie die Giulia
Der Stelvio basiert auf der intern Giorgio genannten Giulia- Plattform. Leicht, direkt und schwungvoll bis äusserst schwungvoll lässt er sich um die Kurven jagen.


FAZIT

Lorenzo Quolantoni, Tester
Dieser Test hat neue Dimensionen eröffnet. Die Kombination des feurigen Biturbo-V6 mit seinen 510 PS mit einem extrem fähigen Fahrwerk macht das SUV aus Mailand zur Referenz beim Fahrverhalten. Alfa gelingt der Beweis, dass die Marke die Zunft der Hochleistungs-SUV im Griff hat, und nicht nur diese. Wenn die Welt wirklich nicht ohne die Sport-SUV auskommt, dann sollten alle so gut sein wie der Stelvio Quadrifoglio.

 


 

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