Automobil Revue: Andreas Jenzer, Sie tanzen seit neun Jahren auf zwei Hochzeiten: in der GP3 und der italienischen Formel 4. Was sind die Herausforderungen, wo gibt es Synergien?
Andreas Jenzer: Synergien gibt es beim Personal. Wir setzen Mechaniker oder Ingenieure aus der GP3 auch in der Formel 4 ein. Dann ist es natürlich das Ziel, Fahrer so gut auszubilden, dass sie den Sprung von der Formel 4 direkt in die GP3 schaffen. Das ist leider nicht so einfach, weil zwischen diesen beiden Meisterschaften eine recht grosse Lücke klafft.
Die soll mit der neuen Formel 3, die 2019 an Stelle der GP3 kommt, noch grösser werden. Was ist Ihr Wissensstand in Bezug auf die Nachwuchsklassen?
Was sicher bleibt, ist die Formel 4. Dort soll es in absehbarer Zeit ein neues Auto geben. Wichtig wäre, dass man dafür die einzelnen Meisterschaften analysiert. Wenn eine dieser Serien – und es gibt ja inzwischen 14 solcher F4-Championats – auf wackeligen Füssen steht, sollte man sie nicht zusätzlich belasten, indem man auf Biegen oder Brechen ein neues Auto einführt. Sicher ist auch, dass die neue Formel 3 kommt. Ob die FIA Formula 3 oder International Formula 3 heisst, hat noch politische Hintergründe. Aber der Promotor der bestehenden GP3 und Formel 2 wird sich 2019 um die neue Formel 3 kümmern. Das Fahrzeug wird technisch auf den neusten Stand gebracht, wobei die meisten Anpassungen, wie zum Beispiel das Halo, aus Sicherheitsgründen gemacht werden.
«Es ist nicht gut, dass wir weltweit
14 Formel-4-Meisterschaften mit rückläufigen Teilnehmerzahlen haben.»
Andreas Jenzer, Rennstallbesitzer und Nachwuchsförderer
Sie planen weiterhin in beiden Serien anzutreten?
Ja, das ist der Plan.
Es soll 2019 ja auch wieder nationale Formel-3-Serien geben. Wie stehen Sie dazu?Zwischen der Formel 4 und der neuen Formel 3 hat es sicher Platz für nationale Formel-3-Meisterschaften. Es gilt aber noch ein paar Hürden zu nehmen. Ein Einschreibeformular habe ich noch nicht gesehen.
Aber es wurden schon neue Autos vorgestellt?
Ja, von Tatuus gibt es eines mit einemAlfa-Turbo-Motor, der rund 270 PS leistet. Das wurde kürzlich in Vallelunga vorgestellt. Auch Renault soll etwas in petto haben. Da gab es einen Test in Magny-Cours. Es gibt auch den Plan, dass man mit dem aktuellen F3-Dallara noch ein Jahr länger fährt – mal abwarten, was da noch alles kommt.
Wenn man sieht, wie die Formel- 4-Startfelder von Jahr zu Jahr kleiner werden, muss man aber die Frage stellen: Gibt es überhaupt genug Nachfrage für weitere Nachwuchs-Meisterschaften?
Es ist nicht gut, dass wir weltweit 14 Formel-4-Meisterschaften mit rückl.u_ ger Teilnehmerzahl haben. Ein paar weniger, dafür in denen, die sich rentieren, starke Felder – ich glaube, das wäre der bessere Weg. Aber es hängt auch vieles davon ab, wie es bei Renault weitergeht. Die haben in den vergangenen 30 Jahren einen guten Job gemacht. Und im Eurocup sind immer noch 25 bis 30 Fahrzeuge pro Rennen am Start.
Sie sind seit 25 Jahren in den Nachwuchsklassen dabei. Eine unvorstellbare lange Zeit.
Ja, und wir haben es noch nicht einmal geschafft, dieses Jubiläum zu feiern. Es ist wohl wie mit dem Älterwerden: Irgendwann ignoriert man die Geburtstage…
Sie haben Ihr Hobby zum Beruf gemacht und sind vom Rennfahrer zum Teambesitzer aufgestiegen. Kann man denn vom Nachwuchsrennsport leben?
Sagen wir es so: Man kann viel Geld verlieren, aber man kann auch davon leben.
Sie haben aber neben der GP3 und der Formel 4 noch ein Standbein.
Ja, wir organisieren für private Kunden Trackdays in verschiedenen Formelautos – wir bieten sogar Fahrerlehrgänge in Formel-1-Autos an. Wir arbeiten da eng mit Christophe Hurni und Sports-Promotion zusammen. Das ist eine gute Sache geworden. Ausserdem kann ich so mein Personal auslasten, wenn es zwischen den Rennen in der GP3 und Formel 4 zu grösseren Pausen kommt.
Fast jeder Schweizer Rennfahrer der letzten 25 Jahre ist einmal bei Ihnen in die Schule gegangen. Sehen Sie sich als der Schweizer Nachwuchsförderer?
Wir sind ein Team, das Geld braucht, um Rennen fahren zu können. Wir können also nicht Schweizer Talente _ nanzieren. Auch wenn wir das gerne täten. Es ist schade, dass es zu wenige Sponsoren gibt, die mit uns gemeinsam Schweizer Talente fördern.
Haben Sie das Gefühl, dass manche Schweizer mit falschen Erwartungen zu Ihnen kommen oder in der Vergangenheit zu Ihnen gekommen sind?
Die meisten kommen zu uns in der Erwartung, dass wir ihnen einen günstigeren Deal offerieren als die ausländische Konkurrenz.
Wie gehen Sie damit um?
Wenn man sieht, wer zurzeit bei uns fährt, dann kann man gut erkennen, wie ich mit dieser Situation umgehen muss. Ich bin überzeugt, dass es junge Schweizer gibt, die das Talent haben, es nach oben zu schaffen. Aber wir brauchen halt auch das passende Budget dazu.
Was bräuchte es in der Schweiz abgesehen von Sponsoren, damit wir eine gesunde, nachhaltige Nachwuchsförderung erhalten?
Eine Schnittstelle zwischen den Kartteams und uns. Wir sind in der Schweiz die einzige Anlaufstelle in Sachen Formelsport. Das Young Drivers-Programm, das wir vor Jahren hatten, war von der Basis her gut. Was es neben den _ nanziellen Mitteln benötigt wird, ist eine gute Organisation und der Wille, etwas zu bewegen. Was in anderen Ländern geht, sollte doch auch bei uns möglich sein.
Einen Schweizer haben Sie in der Formel 4 unter Vertrag: Gregoire Saucy. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?
Seine Karriere war immer stark von seinen _ nanziellen Möglichkeiten geprägt. Er musste auf einem niedrigen Level Kart und Formel Renault fahren. Jetzt hat er mit Richard Mille einen Sponsor, der ihn unterstützt. Das ist sehr gut. In den Rennen dürfte er noch mehr explodieren. Er dürfte noch mehr die Ellbogen ausfahren.
Sie haben auch immer wieder Rennfahrerinnen, von Cyndie Alleman über Rahel Frey bis Samin Gomez. Im Moment fährt Sauber- Juniorin Tatiana Calderon bei Ihnen in der GP3. Wie schlägt sie sich?
Sie hat grosses Potenzial, fährt aber nun auch schon ihr drittes Jahr in der GP3. Und sie hat zuvor schon Erfahrung in der Formel 3 gesammelt. Sie ist mit 25 nicht mehr die jüngste, ich hätte sie gerne schon ein Jahr früher unter meine Fittiche genommen, dann hätten wir heute eine andere Basis. Motorsport ist eine Männerdomäne. Es gibt vereinzelt Frauen, auch unter den Ingenieuren. Aber sie sind in der Minderheit.
Tatiana Calderon hat einmal gesagt, dass ihr die Kraft fehle, um weiterzukommen. Teilen Sie diese Meinung?
Ich glaube nicht, dass sie ein Problem mit der Kraft hat. Aber Fakt ist, dass ein Formel-1-Auto vom Fahrer physisch weniger abverlangt als ein Formel- 2- oder GP3-Auto. Allein schon, weil wir keine Servolenkung haben.
Wie stecken es die Männer weg, wenn eine Frau vor ihnen liegt?
Ich glaube nicht, dass das einen grossen Unterschied macht. Oder zusätzlicher Ansporn ist. Rennfahrer geben sich von Natur aus ungerne geschlagen. Fakt ist: Tatiana macht zurzeit einen guten Job. Und das ist wichtig. Denn der schnellste Mann in diesem Jahr (David Beckmann – Red.) haben wir an die Konkurrenz verloren.
Warum?
Da muss ich nicht lange um den heissen Brei herumreden: Wir waren zu Beginn des Jahres einfach nicht gut genug. Unsere Ergebnisse waren schlecht. So einfach ist das.
Jenzer Motorsport
Gemeinsam mit seiner Partnerin Esther Lauber hat Andreas Jenzer 1993 Jenzer Motorsport aus der Taufe gehoben. Anfänglich fuhr das Team in der Schweizer Formel Ford 1800 und siegte dort auf Anhieb mit Hans Pfeuti. Einer der ersten grossen Erfolge über die Landesgrenze hinaus war der Gewinn der deutschen Formel-Ford-Meisterschaft mit Marc Benz im Jahr 2000. Nach der Formel Ford war Jenzer über Jahre hinweg fester Bestandteil nationaler und internationaler Formel-Renault-Meisterschaften. 2003 schaffte das Team aus Lyss BE mit Neel Jani im V6 Eurocup, dem Vorgänger der Worldseries 3.5, den zweiten Gesamtrang. Diesen Erfolg wiederholte man im Folgejahr mit dem Briten Ryan Sharp. 2007 wechselte Jenzer dann in die International Formula Master (IFM), wo man mit Fabio Leimer 2009 den Titel gewann. Nach dem Aus der IFM wechselte Jenzer 2010 in die GP3. Dort ist man eines von nur vier Teams, das seit dem ersten Tag am Start steht. Den grössten Erfolg in der GP3 feierte man gleich im ersten Jahr mit Gesamtrang 3 von Nico Müller. Parallel zur GP3 setzt Jenzer seit 2010 auch auf die Formula Abarth (seit 2004 italienische Formel 4). 2011 sicherte man sich mit Patric Niederhauser den Fahrer- und Teamtitel. Stolz ist Jenzer vor allem auf zwei seiner Ex-Fahrer: Nico Müller und Neel Jani. «Die haben es geschafft und verdienen heute mit dem Motorsport ihren Lebensunterhalt.» Die Frage nach dem grössten Erfolg beantwortet der bodenständige Teamchef mit den Worten: «Dass wir immer noch dabei sind.»