«WIR BRAUCHEN DEN CAYENNE!»

Porsche feiert 30 Jahre Allradantrieb im 911. Zur Demonstration seiner Performance lud man zum Eispistenfahren in Finnland. Dabei war auch der Cayenne wichtig.

Driften bis zum Abwinken: Beim Kundenevent «Porsche Driving Experience Winter» kann man die Möglichkeiten des Porsche-Allradsystems gefahrlos ausloten, hier im 911 Carrera 4 GTS. © zVg.

Der Kern des modernen Allrads bei den Porsche-Modellen ist die Traktion bei gleichzeitiger Performance auf allen Unterlagen», erklärt Jürgen Haug, bei Porsche Leiter Fahrdynamik und Performance. Haug spricht zu einer Gruppe Journalisten, die sich auf Einladung von Porsche im tief verschneiten und bitterkalten Levi (FIN) versammelt hat.

Anlass dieses Medientermins in Lappland, rund 170 Kilometer nördlich des Polarkreises, ist das 30-Jahr-Jubiläum von Allrad beim Kunden-911. Und seit diesen Anfängen hat sich in Sachen 4×4 bei Porsche viel getan.

Ein stolzer Fuhrpark

Um die Performance des heutigen Allradantriebs bei den Serien-Porsche zu belegen, betrieb man einen grossen Aufwand. So standen den Journalisten sechs 911 Carrera 4 GTS, fünf 911 Turbo S sowie fünf Panamera Turbo bzw. Turbo Executive zur Verfügung. Auch ein Cayenne war im Einsatz, um Autos, die entlang der Strecke auf einer Schneewähe am Rand der geräumten Eisfläche gestrandet waren, zu bergen.

Die Medienleute konnten in Levi von viel Porsche- Know-how profitieren, denn die Marke führt dort bereits seit 2014 im Rahmen des Angebots «Porsche Driving Experience Winter» Kunden­events durch. Laut dem Hersteller stammen rund 5 % der Absolventen eines solchen Allradlehrgangs auf Eis und Schnee aus der Schweiz, in den Jahren 2017 und 2018 waren dies je rund 80 Personen. Ähnlich grosse Winter­events führt Porsche noch im kanadischen Mécaglisse bei Québec sowie in Yakeshi (Innere Mongolei/China) durch. Wer nicht so weit reisen will, für den gibt es Kurse in Les Diablerets VD und in Samedan/St. Moritz GR.

Vielseitiges Gelände

In Levi steht für gefahrloses Erleben, wie sich «Traktion bei gleichzeitiger Performance auf allen Unterlagen» auf vereister Unterlage anfühlt, eine Fläche von 390 000 m² zur Verfügung. Um dem «Porsche Traction Management» (PTM) – so heisst bei der Marke der Allrad – auf den Zahn zu fühlen, gibt es die verschiedensten Übungsgelände, von der Kreisbahn bis zum Rallyetrack. Kurse gibt es etwa in den Kategorien «Master» oder «Präzision».

Doch so paradox es klingt, geht es bei den dortigen Kursen nicht einfach nur darum, aufzuzeigen, dass man mit dem PTM quasi in jeder erdenklichen Situation Grip hat. Vielmehr kann man sich dank der Grosszügigkeit der Pisten mit entsprechend dimensioniertem Auslauf in den Kurven dort wunderbar dem Drift hingeben.

Driften erwünscht

Bekanntlich ist ein Drift quasi ein gewolltes Übersteuern des Fahrzeuges in einer Kurve. Man umrundet also nicht wie gewohnt eine Biegung, sondern stellt den Wagen quer und bewegt sich so fort. Nun ist dieses Prozedere zwar auch auf Asphalt realisierbar, doch Driftanfängern fällt dies auf vereister Unterlage wie in Levi, beim Medien­event herrschten im grössten Ski-Ressort Finnlands Temperaturen von bis zu minus 26 Grad Celsius, gewiss leichter. Um den Drift zu sichern, wird zuvor das Porsche Stability Management (PSM) – ein elektronisches Regelsystem zur Stabilisierung im fahr­dynamischen Grenzbereich – per Knopfdruck deaktiviert.

So weit, so gut, aber wie driftet man jetzt? «Für einen schönen Drift müssen Sie einen Lastwechsel erzielen, bei dem durch Bremsen oder das Lupfen des Gaspedals der Schwerpunkt des Fahrzeugs nach vorne verlagert wird. Dann, wenn das Heck ausbricht, einfach nur kontrolliert gegenlenken und mit gezielten Gasstössen das Fahrzeug in den Drift bringen.» Zugegeben, die Anweisung des In­struktors am Funk klingt einfach, aber auch mit einem 911 Turbo braucht es Zeit, bis die Drifts auch wirklich hinhauen. «Wenn Sie einen noch stärkeren Gasstoss setzen, erzielen Sie einen noch grös­seren Driftwinkel», tönt es erneut am Funk. Mitten in die Überlegungen, wie diese Tipps umzusetzen sind, meldet sich erneut der Funk: «Wir brauchen den Cayenne!» Offenbar hat es wieder jemand der Gruppe übertrieben und muss von einem der Schneewälle geborgen werden. Macht nichts, in Levi geht es ja ums Üben.


DER RENNSPORT STAND PATE

Der siegreiche Porsche 959 an der Paris-Dakar im Jahre 1986. © zVg.

Die Story des Allradantriebs in Serien-Porsche begann mit dem Typ 953, der 1984 mit René Metge und Dominique Lemoyne/FRA die Rallye Paris–Dakar gewann. Er war der erste Allrad-911, denn der 953 war eine modifizierte Version des späteren Kult-Porsche und für die Rallye speziell entwickelt. Ihn löste ein Jahr später der 959 mit elektronisch gesteuertem variablen Allradantrieb ab, Metge/Lemoyne gewannen 1986 damit die Dakar erneut.

Der erste Strassen-911 mit serienmässigem Allradantrieb kam 1988. Bei diesem 911 Carrera 4 des Typs 964 wurde die Antriebskraft über ein Planetengetriebe als Mittendifferenzial verteilt. Hinzu kamen als Längssperre Lamellensperren zwischen der Vorder- und Hinterachse sowie ebenfalls Lamellensperren als geregelte Quersperre an der Hinterachse.

Visco-Kupplung als Etappe

Im Jahre 1994 brachte Porsche im 911 des Typs 993 die zweiten Allradgeneration. Hier leitete eine passive Visco-Kupplung erst bei Unterschieden in der Drehzahl zwischen der direkt angetriebenen Hinter- und der Vorderachse einen Teil davon an die Vorderachse. Dieses System erhielten auch die 911 Carrera und 911 Turbo des Typs 996.

Der Cayenne brachte 2002 das Porsche Traction Management (PTM). Bei diesem permanenten Allradantrieb verteilte ein zentrales Verteilergetriebe die Antriebskraft im Verhältnis 38:62 auf Vorder- und Hinterachse. Hinzu kamen ein Reduktionsgetriebe und eine elektronisch geregelte Längssperre. Ein reiferes PTM gab es 2006 im 911 Turbo des Typs 997 mit einer elektronisch gesteuerten und elek­tromagnetisch betätigten Lamellenkupplung. Dieses System war aktiv sowie voll variabel, wodurch die Antriebskraft zwischen der permanent angetriebenen Hinterachse und der Vorderachse rascher verteilt wurde. Es war auch präziser als eine passive Visco-Kupplung. 2008 wurden damit die 911-Carrera-4-Modelle der 2. 997-Generation bestückt. Ebenfalls über eine geregelte Lamellenkupplung verfügen dann ab 2009 die Allradantriebe der meisten Panamera-Modelle, ab 2013 folgen die Macan mit Allrad. Das bislang aktuellste PTM versieht schliesslich ab 2013 seinen Dienst im 911 Turbo der ersten 991-Generation. Hier gibt es nun eine elektrohydraulische statt einer elektromechanischen Betätigung der Lamellenkupplung, was die Performance positiv beeinflusst.

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