«SCHNELL MAL EINEN SPEEDREKORD BRECHEN, GEHT NICHT»

Bei einem Geschwindigkeitsrekord darf man eigentlich keine Zeit verlieren. Ex-Seitenwagen-Weltmeister Adolf Hänni muss dennoch geduldig bleiben.

Fotos eines Abenteuers: Das Rekordfahrzeug in der Werkstatt bei Montana. ©zVg.

Adolf Hänni hat Nerven wie Drahtseile: Gestählt wurden sie in über 30 Jahren Motorsport – unter anderem auch mit 25 Knochenbrüchen. So leicht wirft den 62-jährigen Berner Oberländer nichts aus der Bahn: Seinen ersten Grand Prix als Seitenwagen-Passagier fuhr er 1983 auf dem belgischen Achterbahnkurs von Spa-Francor­champs, wo sich sein Fahrzeug auf der ersten Runde auch gleich spektakulär überschlug, weil der Pilot Chris Graf auf der Piste die Orientierung verloren hatte. Den Traum vom Weltmeistertitel, dem ersten von drei, erfüllte er sich spät, erst 2010, also 57-jährig, mit dem finnischen Piloten Pekka Päivärinta. Nun will der scheinbar rastlose, hartnäckige Hänni mit einem Seitenwagen, einem Stream­liner, 500 Stundenkilometer erreichen und den Geschwindigkeitsrekord brechen.

Schwer verletzt in Le Mans

«Anders wird einem ja langweilig», sagt Hänni mit einem Lächeln. Seit über 40 Jahren führt er in Thun BE eine Garage. «Ich habe immer gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet, und zum Ausgleich fing ich damals mit dem Seitenwagenrennsport an. Ich musste einfach auch mal raus.» Wahrscheinlich würde er auch heute noch WM-Läufe fahren, hätte er sich 2012 beim Rennen in Le Mans nicht schwer verletzt und wären ihm in den Nachfolgejahren Operationen erspart geblieben. Noch heute leidet er an einem wiederkehrenden Infekt. Offiziell zurückgetreten ist Hänni nie. Seinem Seitenwagen-Rennsport blieb er erhalten, später auch als Teamchef der britischen Weltmeister-Brüder Birchall bei der legendären Tourist Trophy auf der ­Isle of Man.

Nicht minder legendär in Bezug auf Racing ist die Salzwüste bei Bonneville im US-Bundesstaat Utah. Dorthin, in diese topfebene, weisse Einöde von rund 10 000 Quadratkilometern oder einer Fläche grösser als die Ferieninsel Zypern, zog es Adolf Hänni die letzten Jahre mehrmals. In Bonneville assistierte er bei Speed-Rekord-Veranstaltungen dem Internationalen Motorradverband FIM. «Ich habe die ganze Szene erlebt und ich bekam das Speed-Rekord-Fieber», erinnert sich der Berner. Das bekamen vor ihm unzählige andere «Geschwindigkeitsfanatiker». 1896 gab es in der Salzwüste erste Rennen, zwar noch auf dem Rad, 1914 beschleunigte Teddy Tetzlaff in einem Blitzen-Benz auf fast 230 km/h, in den 1930ern war Malcolm Campbell im «Blue Bird» (mit Kolbenmotor) schon über 480 km/h schnell, in den 70ern knackte Gary Gabelich im Raketenauto «Blue Flame» die 1000-km/h-Grenze. Viel Kult an einem kultigen Ort.

600 PS auf 750 Kilogramm

Adolf Hänni hat bei seinen Besuchen in Bonneville viele solche Geschichten erzählt bekommen und schaute sich in einer Baracke, wo sich die Speed-Verrückten treffen, fasziniert die alten Fotos an den Wänden an. «Die Amis waren aber auch fasziniert von meiner Geschichte und jener über die Seitenwagen.» Diesbezüglich musste sich auch Ralph Bohnhorst nicht verstecken. Der Deutsche, der in Bonneville jeweils die Speed-Delegation der FIM anführt, ist ebenso eine Seitenwagenlegende. In diesem Ort mit seiner Geschichte und seinen Helden musste fast zwangsläufig ein neues Kapitel her, eines mit den Sidecar-Koryphäen Hänni und Bohnhorst. Das ist über drei Jahre her.

Das Spezialfahrzeug für den Rekordversuch ist schon länger bereit. Es wurde von Experten in Montana gebaut. Der Seitenwagen ist eigentlich ein Stream­liner, sieben Meter lang, aus Metall, 750 Kilogramm schwer, ausgestattet mit einem rund 600 PS starken Hayabusa-Twin-Turbo-Motor von Suzuki und auf drei Rädern stehend. Der Pilot hält «zum Lenken» lediglich einen Seilzug in den Händen. Ein Passagier wird bei der angepeilten Geschwindigkeit von 500 km/h nicht im Seitenwagen liegen, sondern ein Gewicht von 30 Kilogramm. Nachvollziehbar. Der Fahrer sitzt in einem Gitterrohrrahmen, der in schützt – falls ein Slickreifen platzt oder die zwei Bremsfallschirme ihren Dienst versagen. «Bei den Speed-Rekorden in Bonneville geht es nur um Ruhm und Ehre, nicht um Geld. Obwohl dort Weltrekorde gebrochen wurden und Geschichte geschrieben wurde, verirren sich jeweils nur an die 30 Zuschauer zu den Versuchen in die Wüste», erklärt Hänni.

Hänni (l.) mit Bohnhorst (r.) und Presseman Coleman. © zVg.

Verkauft, wenn es gelingt

Einen solchen Rekordversuch mussten Hänni und Bohnhorst im September vor einem Jahr abbrechen. Ein Amerikaner verlor bei einem ersten Test mit dem Streamliner sein Leben, weil er während der Fahrt einen Herzinfarkt erlitten hatte, wie später auskam, hält Hänni fest. Im vergangenen September musste ein erneuter Test – und damit auch der geplante Rekordversuch – abgebrochen werden. «Es gab zu viel Wind», erzählt Hänni nicht ganz unaufgeregt. Rekordversuche sind auch eine Geduldsprobe. Selbst der salzhaltige Boden der Wüste darf nicht zu feucht sein, wegen des Grips. «Du kannst da zwar hingehen einen Rekord brechen, der wäre aber nicht offiziell», erklärt der Berner. Es gibt im Jahr, jeweils im September, nur ein Zeitfenster, eine Woche lang, in welcher die FIM vor Ort ist und die Rekorde bestätigt. Oder man kauft sich ein exklusives Zeitfenster, so wie das dieses Jahr der britische Motorradhersteller Triumph dreimal getan hat. «Aber das kostet dich jedes Mal 50 000 Dollar», hält Hänni fest.

Geschätzte 150 000 Dollar hat er bereits in sein Projekt investiert – weshalb Hänni, zwar gestählt aus unzähligen Rennschlachten, auch zunehmend ungeduldig wird. Der einzige grosse «Sponsor» ist ein Technik-Museum: «Es will das Fahrzeug kaufen – aber nur, wenn der Rekord gelingt.» Fotos vom Streamliner in der Salzwüste gibt es übrigens auch nur nach der Rekordfahrt. «Die Sponsoren wollen das so», sagt Hänni. Kräfteraubend sind auch die Rekordversuche selbst. In der Wüste herrschen 40 Grad plus, im Cockpit sind es sogar deren 70. «Du kannst diese Vorbereitungsphase nicht mit einem Grand-Prix-Start vergleichen. Du sitzt ewig in diesem Streamliner drin, festgezurrt, und wartest auf das Kommando. Dann heisst es plötzlich: noch 15 Minuten bis zum Start. Dann wartest du wieder und wieder und wieder, und du konzentrierst dich … Diese mentale Belastung ist enorm. Das raubt dir so viel Energie, dass du im Falle eines Startabbruchs unmöglich gleich wieder fit genug bist», erklärt Adolf Hänni. Deshalb wechseln er und Bohnhorst sich bei den Rekordversuchen auch ab. Einmal die 25-Kilometer-Piste in Rekordtempo runterjagen, reicht nicht. Wer den offiziellen Rekord will, muss innert zwei Stunden wieder zurücksein – mit Highspeed, versteht sich – und nach einer erneuten kräftezehrenden Wartezeit. «Löcher für eine kühlende Luftzufuhr gibt es keine in der Verkleidung. Das ist aus aerodynamischen Gründen unmöglich.»

Zur Erholung bleiben Hänni und Bohnhorst nun wieder ein paar Monate. Sie werden im Dezember wieder nach Bonneville gehen. «Aber nur für ein Roll-out», sagt Hänni mit den Schultern zuckend. Im kommenden September ist der nächste Rekordversuch mit dem Seitenwagen, dem Streamliner, geplant. «Dieser Rekordversuch … Er ist ein Meilenstein, den ich gerne erreichen würde.» Hartnäckig genug ist er, der Berner Oberländer – erwiesenermassen.

Werner J. Haller


 

Robinson ist der «King»

Rocky Robinson düst regelmässig mit seinem Motorrad durch die Bonneville-Salzwüste im amerikanischen Bundesstaat Utah und riskiert dabei sein Leben. Der Töff des Südkaliforniers «Top 1 Ack Attack» sieht nicht wirklich aus wie ein Töff, sondern viel mehr wie eine Rakete – und so fährt er auch: «Es stecken zwei unglaublich leistungsstarke, turbo-geladene Suzuki-Hayabusa-Motoren im Motorrad, «blaue Zigarre» genannt, mit denen bis zu 1000 PS rauszuholen sind. An dem Gefährt ist alles Handarbeit. Seit 2010 ist der US-Amerikaner der schnellste Motorradfahrer der Welt, als er mit 605.698 km/h das erste Mal über 600 Stundenkilometer schnell fuhr. «Das war unglaublich. Wir wussten, dass wir damit etwas Gros­ses erreicht hatten», hielt der frühere Speedway-Champion und Trail-Fahrer später in einem Interview fest. Auf die Frage, ob er schon einmal gestürzt ist, antwortet Rocky so, als wäre es das Normalste der Welt: «Ja, bei knapp 300 Meilen (fast 500 km/h) bin ich einmal abgeflogen. Ich bin dann aber ganz normal weggegangen – war also nicht so schlimm.» Robinson ist ein absoluter Superstar in den Staaten.

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